Radsport:Weltmeister Sagan von Tour de France ausgeschlossen

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Peter Sagan (links) beim Zielsprint in Vittel. Im Hintergrund geht der Brite Mark Cavendish zu Boden. (Foto: AP)
  • Der slowakische Radweltmeister Peter Sagan ist von der Tour de France ausgeschlossen worden.
  • Grund dafür ist Sagans Einsatz des Ellenbogens im Zielsprint der vierten Etappe der Rennserie.
  • Dabei hatte er den Briten Mark Cavendish in ein Absperrgitter gedrängt. Dieser stürzte und verletzte sich so schwer an der Schulter, dass er aus dem Wettbewerb ausscheiden muss.
  • Das Team von Sagan hat gegen den Ausschluss Protest eingelegt.

Von Johannes Knuth, Vittel

Vielleicht hatte es Peter Sagan schon ein wenig geahnt. Als er zunächst wie ein wildgewordener Tiger in seinem Käfig vor dem Teambus des Briten Mark Cavendish hin und herwanderte, den er gerade mit einem Ellenbogencheck ins Gitter gedrückt hatte.

Als Cavendish sich endlich hinauswagte, nachdem sie im Teambus seine lädierte rechte Schulter verarztet hatten, und Sagan hastig ein paar Entschuldigungen absetzte. Als er seinem Freund sagte, dass es ihm leid tue, dass es keine Absicht war, er habe ihn nicht gesehen, Ehrenwort, und dann hastig in den dichten Nebel seines Ärgers verschwand.

Hatte Sagan da bereits gefürchtet, dass die 104. Tour de France für ihn in diesem Moment schon beendet war?

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Rückschlag für deutsches Bora-hansgrohe-Team

Eineinhalb Stunden später trat tatsächlich Philippe Marien, der Chef der Rennjury, der vom Weltverband UCI entsandt wird, ins Pressezentrum. Man habe entschieden, dass Sagan nicht bloß ans Ende des Tagesklassements versetzt gehöre, mit 30 Sekunden Zeitstrafe dazu, so, wie die Kommissare in einem ersten Verdikt geurteilt hatten. Nein, man habe entschieden, Sagan für den Rest der Tour zu verbannen, "weil er die Gesundheit mehrerer Fahrer gefährdet hat". Sagams deutsche Equipe Bora-hansgrohe legte noch am Dienstagabend Protest ein, Sagan habe den Sturz "weder verursacht noch in irgendeiner Weise beabsichtigt", hieß es.

So oder so war das Team da längst aus seiner Euphorie gerissen worden, die es durch die vergangenen zwei Tage getragen hatte. Sagan, zweimaliger Weltmeister, fünfmaliger Inhaber des Grünen Trikots bei der Tour, war im Winter zur aufstrebenden Auswahl aus Oberbayern gewechselt, es war der bislang größte Transfer von Teamchef Ralph Denk.

Am Montag verschaffte der 27-Jährige seinem neuen Arbeitgeber dann gleich dessen ersten Sieg bei der Frankreich-Rundfahrt, auf der dritten Etappe, obwohl er 200 Meter vor dem Ziel auf der giftigen Rampe aus einem Pedal rutschte. Am Dienstag gewann Sagan dann zunächst beinahe auch den von zwei Stürzen aufgewühlten Sprint in Vittel; er wurde Zweiter hinter dem Franzosen Arnaud Démare, der dem Deutschen Marcel Kittel das Grüne Trikot abnahm. Allerdings fiel Sagan dabei mit einer Einlage auf, die ihn wie so oft in seiner Karriere vom Feld abhob. Diesmal freilich auf unrühmliche Weise.

Sagan ist eigentlich nicht bekannt für derartige Vergehen

Als sich Cavendish (Dimension Data) im Spurt an Sagan vorbeischieben wollte, zuckte Sagans Ellenbogen nach außen. Cavendish rasselte ins Gitter, knallte auf den Beton, er zog sich einen Schulterbruch zu - auch für ihn ist die Tour beendet. Glück im Unglück hatte der Deutsche John Degenkolb (Trek-Segafredo): Er rauschte in den Briten hinein, stürzte ebenfalls und verletzte sich an der Schulter, kann aber wohl weiterfahren.

"Ich komme mit Peter klar, Stürze passieren, aber ich würde gerne wissen, was es mit dem Ellbogen auf sich hatte", sagte Cavendish später zu den Reportern. Dann schafften sie ihn ins Krankenhaus. "Da fährt ein Typ im Weltmeister-Trikot, der meint, er könne sich alles erlauben", polterte unterdessen der Deutsche André Greipel. Sagan sei zuvor schon bei einem Zwischensprint auffällig geworden. Nach Ansicht der TV-Bilder sagte Greipel freilich, Sagans Ausschluss sei "zu hart". Greipel war schon auf Rang drei vorgerückt, als Sagan von der Jury zunächst eine Zeitstrafe aufgedrückt bekam. Rund eine Stunde später wurde dem Protest von Cavendishs Team stattgegeben, den Slowaken ganz aus dem Rennen zu vertreiben.

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Für den 27-Jährigen ist es der erste wirklich schwere Eintrag im Sündenregister seines Sports. Er war zwar in den vergangenen Jahren immer wieder aufgefallen, doch diesen Status hatte er vornehmlich durch seine Unangepasstheit gemehrt, seine unkonventionelle Art. Sagan ist ungewöhnlich vielseitig, bei Eintagesklassikern, welligen Etappen, Massensprints. Er hebt sich ab mit seinen langen Haaren, die ein wenig an die verstorbene Grunge-Ikone Kurt Cobain erinnern; er ist bei Rennen stets mit Bodyguard unterwegs, nur so kann er die kurzen Wege zum Bus und zum Start bewältigen. Er rezitierte in einem selbstgedrehten Film schon mal die Pralinenphilosophie des Filmcharakters Forrest Gump.

Sagan hat Privilegien im Team

Sagan war früher auch mal bei der schlecht beleumundeten Liquigas-Mannschaft angestellt und beschäftigt den Italiener Giovanni Lombardi als Manager, der in aktiven Zeiten oft in Teams tätig war, wo die Manipulation systemisch wurzelte (Telekom/CSC). Aber an solchen Dingen stoßen sie sich im Radsport eher selten. Sagan und die Oberbayern, nicht alle waren sich sicher nach dem Transfer im vergangenen Winter, ob das gut gehen würde. Zu Unrecht, wie zumindest die ersten Tour-Tage zeigten.

Sagan verdiene gut, klar, sagt Denk, zumindest nicht weniger als die kolportierten vier Millionen Euro pro Jahr, die sie ihm beim Tinkoff-Team überwiesen. Aber er fahre nicht mehr wegen des Geldes, davon hat er genug, sagte Denk zuletzt: "Er will Spaß haben, auf dem Rad und in der Gruppe. Er ist ein Gefühlsmensch, Artist, Freestyler, was auch immer. Wenn er für etwas motiviert ist, reißt er Bäume aus." Sagan darf bei Bora daher ein wenig mehr als die anderen.

Bergab Mountainbike fahren, zum Spaß, das würden ihm andere Chefs nie gestatten. Seine Frau darf ihn ebenfalls öfter besuchen als die anderen Frauen ihre Fahrer. Sagan habe nun mal viele Verpflichtungen, sagt Denk, kaum Zeit für Privates. Auch deshalb ist es ihm wichtig, Bekannte im Team um sich zu haben; er durfte seinen Bruder Juraj und drei befreundete Fahrer seiner alten Mannschaft mitbringen, später stieß auch Rafal Majka nach Raubling, Boras Fahrer für die Gesamtwertung.

Letztlich, sagt Denk, habe sich diese Behandlung bislang immer rentiert. Er würde zwar auch gerne einen Christopher Froome beschäftigen, den dreimaligen Tour-Sieger vom Team Sky, dessen Fahrer Geraint Thomas das Gelbe Trikot verteidigte, obwohl er einen Kilometer vor dem Ziel in Vittel in einen weiteren Sturz verwickelt war, wie Marcel Kittel. Aber für die Sponsoren sei Sagan wertvoller als Froome, sagt Denk, darauf würden viele Werbewerte hindeuten. Zumindest jene, die vor der vierten Etappe am Dienstag in Vittel ermittelt wurden.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da musste die Tour zum vorerst letzten Mal eine Serie von Stürzen moderieren. "Sie fahren, als hätten sie kein Hirn", schimpfte damals der beste Fahrer des Feldes in Richtung seiner Kollegen. "Es gibt so viele dumme Stürze." Früher sei das alles vernünftiger und ein anderes Rennen gewesen. "Da gab es Respekt. Wenn einer was Dummes tat, flog eine Flasche, oder er bekam eine Luftpumpe ab. Das ist verloren gegangen."

Diese Sätze stammten von Peter Sagan.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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