Radsport:Warum gibt es keine Tour de France für Radfahrerinnen?

Dutch Annemiek Van Vleuten celebrates on the podium after winning the La Course by Le Tour de Franc

Gewann das 112 Kilometer lange Rennen nach Le Grand-Bornand wenige Meter vor dem Ziel: Annemiek van Vleuten.

(Foto: Yorick Jansens/imago)
  • Seit 2009 gibt es keine eigene Tour für Radsportlerinnen. Die Profis kämpfen um Anerkennung.
  • Beim größten Radrennen der Welt tauchen Frauen hauptsächlich als Staffage auf dem Podium auf.
  • 13 Fahrerinnen fahren jede Tour-Etappe einen Tag vor den Männern ab - in Eigenregie.

Von Johannes Knuth, Saint-Lary-Soulan

Cecilie Uttrup-Ludwig hockte auf dem Asphalt hinter der Ziellinie, sie schluchzte, lachte, redete, alles gleichzeitig. "Vor einem Monat bin ich total beschissen gefahren", begann sie, "ich hatte einen Infekt im Weisheitszahn. Wir haben ihn rausgenommen", sie schluchzte, "seitdem wurde es viel besser. Also Leute, wenn ihr Probleme mit Eurer Kondition habt", Uttrup-Ludwig lachte jetzt kurz, "nehmt Eure Weisheitszähne raus!"

Die 22-Jährige war auf den 112 Kilometern nach Le Grand-Bornand dem Peloton entwischt, auf der Etappe der Frauen, die an diesem Tag vor dem Rennen der Männer im Programm stand. Doch es reichte nicht ganz, Uttrup-Ludwig wurde von der Niederländerin Anna van der Breggen überholt, die dann von ihrer Landsfrau Annemiek van Vleuten abgepasst wurde, wenige Meter vor dem Ziel. "Ich habe wirklich kurz gedacht, dass ich es schaffe", sagte Uttrup-Ludwig, als sie auf dem Asphalt hockte: "Aber dann habe ich mich gefühlt, als hätte mich ein Laster angefahren. Verdammt, das ist so verrückt", rief sie, und als die Reporter nachhakten, ob sie eigentlich traurig oder glücklich sei, entgegnete die Dänin: "Ich bin so glücklich! Wisst ihr, wir haben gezeigt, wie gut Frauen-Radsport ist. Schaut! Mehr! Frauenradsport! Bitte! Das ist einer der besten Tage meines Lebens. Heute werde ich alles genießen, Champagner, Schokolade, Pizza, oh mein Gott - und bald ist Urlaub!"

Es war wirklich eine beeindruckende Etappe, die Uttrup-Ludwig und ihre Kolleginnen da aufgeführt hatten. Als seien sie nie von der Furcht nach einer Niederlage getrieben, sondern der Sehnsucht nach dem Sieg. "La Course" heißt dieses Eintagesrennen der Frauen, das die Ausrichter der Tour vor vier Jahren in ihre Rundfahrt einbetteten. Wobei die Fahrerinnen längst wieder in den Schatten der Männer gerückt sind, ein Schatten, der so groß wirkt wie alle Pyrenäenmassive, auf denen die Profis gerade ihren Tour-Sieger ermitteln. Uttrup-Ludwig wusste schon, warum sie vor einer Woche für ihren Sport warb. Und ein paar Fragen ins Bewusstsein rief, zum Beispiel die: Warum gibt es eigentlich keine vollwertige Tour der Radfahrerinnen?

Frauen waren bei der Tour über Jahrzehnte nur präsent, wenn sie den Siegern Blumen und Küsschen gewährten. Das Tour-Organ L'Équipe hat die Geschichte dieser Podiumsfrauen vor Kurzem noch mal nachgezeichnet: Von den Anfängen, als die Ehefrauen der Fahrer die Blumen überreichten, über Profis, die auf dem Podium ihre Ehefrau erst kennenlernten - George Hincapie, Eddy Seigneur, Christophe Moreau - bis zum Aufruhr um den Belgier Jan Bakelants ("Ich habe immer Kondome dabei, weil man nie weiß, in welchem Hotel sie schlafen"). Heute ist jede Trikotankleidung, jeder Kuss auf die Sekunde geplant. "Küsschen links, Küsschen rechts, ich weiß nicht, wo das Problem ist", sagte die Hostess Mathilde Duriez, und überhaupt: Der Job sei anspruchsvoll, sie betreute bei der Tour den ganzen Tag über Kunden. Anderen geht das am Kern des Problems vorbei. "Es ist inakzeptabel, dass Frauen nur als Staffage dienen", befand die Politikerin Fadila Mehal im Frühjahr.

Der Tour-Veranstalter ASO beschloss damals, an den Hostessen festzuhalten, trotz Protesten. Christian Prudhomme, der Tour-Direktor, sagte: "Bei den Frauen-Rennen der ASO geben ja die Männer den siegreichen Frauen ein Küsschen."

Wenn es denn so einfach wäre mit der Gleichberechtigung. 1984 gab es schon mal eine Tour für die Frauen, die Tour Cycliste Féminin, Siegerin Mary Ann Martin stand in Paris auf dem Podium mit Männer-Sieger Laurent Fignon. Es folgten: Sponsorenschwund, Streit, weil die Rundfahrt den Begriff "Tour" nicht verwenden sollte, 2009 stellten sie das Rennen ein. Vor vier Jahren legte die Tour dann "La Course" auf. Wie halbherzig das ist, zeigt der Umstand, dass die diesjährige Etappe zwei Tage nach dem Giro Rosa angesetzt war, der derzeit wichtigsten Rundfahrt der Frauen.

Uttrup-Ludwig hat immer wieder auf diese Missstände gezeigt. Der Radsport präsentiere ständig neue Attraktionen, sagte sie, den diesjährigen WM-Parcours der Männer in Innsbruck zum Beispiel, der einen spektakulären Schlussanstieg bietet. "Warum können wir den nicht auch fahren? Glaubt man, dass wir das nicht schaffen?" Die Antwort gab sich die 22-Jährige selbst: "Es hat den Anschein, als würde der Radsport an den Traditionen festhalten", sprich: Frauenrennen als gehobenes Vorprogramm betrachten.

Weltverbands-Präsident David Lappartient entgegnete, dass die Kommune nur eine Befahrung des WM-Berges zugelassen habe, da habe man sich für die Männer entschieden. Sein Verband arbeite dafür an der Gleichberechtigung, einem Mindestlohn für Frauen-Profiteams etwa, der 2020 kommen soll. Wie hoch der sein wird, sagte Lappartient leider nicht. Beobachter vermuten, dass er das aktuelle Mindestgehalt der Männer (38 000 Euro jährlich) weit unterschreitet. Und was eine Tour de France für die Frauen angeht, da gab sich Lappartient zuletzt zurückhaltend; er verwies auf die Profitteams, die mit dem derzeiten Wettkampfkalender "zufrieden" seien. Was freilich nicht auf Fahrerinnen wie Uttrup-Ludwig zutrifft. "Ich kenne keinen Sport", sagt sie, "in dem der Unterschied zwischen den Geschlechtern so groß ist." Und jetzt?

Dass Frauen natürlich auch eine dreiwöchige Rundfahrt schaffen, zeigen gerade 13 Fahrerinnen, die jede Tour-Etappe einen Tag vor den Männern abfahren. "Es bräucht gar keine dreiwöchige Frauen-Tour, nur ein paar Renntage mehr", sagte die Initiatorin Claire Floret dem Tages-Anzeiger. Letztlich gehe es um eine ganz simple Botschaft: dass es die Frauen auch noch gibt.

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