Süddeutsche Zeitung

Radsport:Bald auch mit Frauen-Tour

2022 gibt es erstmals eine eigene Frankreich-Rundfahrt für Fahrerinnen. Der Frauen-Radsport entwickelt sich, zugleich mischen dort traditionelle Männer-Teams verstärkt mit. Aber nicht allen gefällt die Nähe zu den etablierten Strukturen.

Von Johannes Aumüller

So ein richtiges Tour-de-France-Gefühl hat sich bei Ronny Lauke noch nicht eingestellt. Seit ein paar Tagen strömt die Radsport-Gemeinde nach Brest, um sich zum Grand Départ zu versammeln, am Donnerstagabend sind bei der obligatorischen Präsentation der Teams die ersten netten Bilder produziert worden. Lauke kam erst später, für ihn ging es am Freitag erstmal zum Training auf die Straße: Grau und nass war es, klassisch-bretonisch. Natürlich hat Lauke etwas mitbekommen vom Vor-Tour-Geplänkel. "Aber man fühlt jetzt nicht, dass hier bald eines der größten globalen Sportereignisse des Jahres beginnt", berichtet er. Das liegt, so mutmaßt er, auch an den Corona-Vorgaben. Aber es liegt auch daran, dass Lauke und sein Team in Brest eher eine Nebenrolle spielen.

An diesem Wochenende startet dort die 108. Tour de France. Zwei ungemein eklige Auftakttage in der Bretagne stehen an, ehe sich das 184-köpfige Peloton um Primoz Roglic und Tadej Pogacar, den beiden slowenischen Favoriten auf den Gesamtsieg, auf die 3414,4 Kilometer lange Drei-Wochen-Schleife in Richtung Paris begibt.

An diesem Wochenende steigt in Brest aber auch noch ein zweites Radrennen: "La Course", ein Eintagesrennen für die besten Fahrerinnen der Welt, 107 Kilometer und knapp drei Stunden lang - daran nimmt auch das von Lauke geleitete Canyon-Sram-Team teil. Seit 2014 ist dieser Frauen-Wettkampf in die Frankreich-Rundfahrt der Männer eingebettet, nun soll er letztmals stattfinden. Denn von 2022 an soll es eine eigene, acht Tage dauernde Tour de France für Frauen geben. "Dies ist ein großer Moment für den professionellen Frauenradsport", sagte dazu die Niederländerin Anna van der Breggen, neben ihrer Landsfrau Annemiek van Vleuten eine der herausragenden Fahrerinnen der vergangenen Jahre.

Eine eigene Tour, das ist in der Tat das klarste Signal, wie sich die Situation im Radsport der Frauen entwickelt. Lange Jahre wurde er nur mäßig beachtet, führten die Sportlerinnen einen mühseligen Kampf um mehr Aufmerksamkeit. Canyon-Chef Lauke kennt das aus eigener Erfahrung. 2016 übernahm er das Team, dessen Vorläufer in der Frauen-Sparte des Teams Telekom wurzeln. Seitdem wuchsen die Strukturen und das Interesse von Sponsoren wie der Gesellschaft. Der Weltverband führte eine eigene Rennserie für Frauen ein, im Vorjahr vergab er erstmals auch im Frauen-Radsport World-Tour-Lizenzen; Canyon erhielt sie als einzige deutsche Mannschaft. "Viele sehen einfach ein riesiges Entwicklungspotenzial", sagt Lauke, aber er warnt davor, eine "Eins-zu-eins-Kopie" zum Geschäft der Männer schaffen zu wollen.

Die Unterschiede zum Männer-Radsport sind erheblich

Dabei unterscheiden sich die Rahmenbedingungen im Frauen-Radsport gegenüber den Männern noch erheblich. Das Mindestsalär für Fahrerinnen der World Tour beträgt nur 20 000 Euro jährlich, bei den Männern ist es mehr als das Doppelte. Die Ausnahmefahrerinnen verdienen um die 200 000 Euro, bei den Männern streichen die Topathleten fast ein halbes Dutzend Millionen Euro ein. Die besten Frauen-Teams verfügen über ein Budget von zirka zwei bis 2,5 Millionen Euro, bei den Männern fußten die Erfolge des britischen Vorzeigeteams Ineos im vergangenen Jahrzehnt auch auf einem Saison-Etat von um die 36 Millionen Euro. Zugleich gibt es deutlich weniger Fahrerinnen, die auf einem hohen Niveau fahren können - auch wenn die Leistungsdichte zuletzt etwas enger geworden ist. Das alles führt dazu, dass oft nur zwölf bis 14 Fahrerinnen einem Team angehören und dass es bei Weitem nicht so viele Rennen gibt wie bei den Männern mit ihrem von Februar bis Oktober fast durchgehend gefüllten Kalender.

Das soll sich nun also stetig weiter ändern, und es gehört zu den bemerkenswerten Entwicklungen, dass sich im Frauen-Radsport auch verstärkt Mannschaften aus dem Männer-Radsport engagieren - auch wenn dies sehr unterschiedlich ausfällt. Bei der in Deutschland lizensierten Equipe DSM etwa oder bei Jumbo-Visma um Tour-Favorit Roglic sind Frauen- und Männer-Mannschaften eng verflochten: Sie teilen sich die wissenschaftliche Expertise und sogar die Sportliche Leitung, und tragen das traditionelle Trainingslager zu Saisonbeginn gemeinsam aus. Bei anderen, etwa FDJ, haben die Fraktionen über den Sponsorennamen hinaus wenig gemein.

Die Idee, dass jedes Männer-Team verpflichtend auch eine Frauen-Mannschaft haben solle, wurde abgelehnt. Aber offenkundig sehen die Sponsoren verstärkt einen Markt. DSM erklärt, es sei "sicherlich gut, eine Mischung aus reinen Frauen-Teams und Modellen von gemeinsamen Teams zu haben, um gemeinsam für eine größere Aufmerksamkeit kämpfen zu können". Auch beim deutschen Team Bora-Hansgrohe, so Teamchef Ralph Denk, habe man das Thema auf dem Zettel, sich aber bisher noch nicht auf ein Engagement verständigen können. Manch eigenständiges Frauen-Team sieht das Engagement der Männer-Mannschaften zwiespältig. "Ich finde das auf der einen Seite schön, dass die sich darum kümmern", sagte Canyon-Chef Lauke: "Aber wir bieten als alleinstehendes Frauen-Team den Fahrerinnen schon viel und ich scheue den Vergleich nicht."

Die Frage, wie nahe am Männer-Radsport sich die Frauenszene entwickeln soll, tangiert auch die Rennstruktur. Einerseits will man sich ein paar etablierte, eigenständige Events erhalten, andererseits sollen die Frauen auch bei all jenen Rennen starten, die in der Radsport-Welt einen klangvollen Namen tragen. Den in diesem Jahr ausgefallenen Giro d'Italia für Frauen gibt es schon seit 1988, eine Flandernrundfahrt seit 2004. Der Kopfstein-Klassiker Paris - Roubaix und die Clasica San Sebastian wiederum sollten im Vorjahr zur Premiere kommen, werden es Corona-bedingt aber erst in diesem Herbst. Als Höhepunkt dieser Entwicklung steht 2022 die Tour de France an.

In den Achtzigerjahren riefen die Tour-Bosse schon mal eine Frauen-Rundfahrt ins Leben

Die hat im Übrigen durchaus eine kleine Tradition. Schon in den Fünfzigerjahren gab es einen ersten Versuch, fernab der offiziellen Tour-Organisation. Diese rief Anfang der Achtziger dann eine offizielle Rundfahrt ins Leben, aber über die Jahre gab es viel Ärger um Sponsoren und die Namensgebung, ehe sie 2009 komplett abgesetzt wurde. Fünf Jahre später installierten die Veranstalter dann "La Course", das eintägige Schaufenster.

Welchen Stellenwert der Frauen-Radsport genießt, wird sich aber nicht nur an der Einberufung neuer Rennen zeigen, sondern auch daran, wie mit den Sportlerinnen umgegangen wird. So war in diesem Jahr eigentlich geplant, dass "La Course" an diesem Sonntag stattfindet, auf der Route, auf der auch die Männer ihre zweite Etappe zur berüchtigten Mûr-de-Bretagne bestreiten. Doch dann verlegte das Departement kurzfristig die Kommunalwahlen auf diesen Tag - und das Frauenrennen wurde auf Samstag vorgezogen. Canyon und die anderen Starter hatten große Mühe, überhaupt noch ein Hotel zu finden, und der Rennbeginn ist jetzt schon um 8 Uhr, wenn das Village der Tour noch nicht einmal eröffnet ist.

Auf den Ablauf des Männerrennens hatten die Kommunalwahlen übrigens keinerlei Einfluss.

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