Tour de France:Alles, was die Apotheke hergibt

Tour de France: Gleich zweimal musste das Peloton in diesem Jahr den Col du Galibier bezwingen.

Gleich zweimal musste das Peloton in diesem Jahr den Col du Galibier bezwingen.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

Seit sieben Jahren hatte die Tour keinen Dopingfall - doch das sagt nichts über die Sauberkeit des Feldes aus. Der Radsport verdient sich quasi täglich seine Verdachtsmomente. Und dann ist da auch noch der Graubereich.

Kommentar von Johannes Aumüller

Il Gerva riefen sie den Mann, der in der Statistik des Radsports für einen interessanten Vermerk verantwortlich ist. Fast eineinhalb Jahrzehnte gehörte der Italiener Luca Paolini zum Peloton, ein Klassiker-Spezialist war er, einmal WM-Dritter, zweimal Etappensieger bei Grand Tours. Aber vor allem war er: der bisher letzte offizielle Dopingfall bei der Tour de France.

2015 musste Paolini nach einem positiven Kokain-Test abreisen. Sieben Jahre ohne Dopingausschluss, das ist ein erstaunlicher Wert angesichts der dopingreichen Vergangenheit der Frankreich-Schleife. Und doch sagt das quasi nichts darüber aus, wie sauber das Peloton ist, das nun wieder nach Alpe d'Huez oder Hautacam hinaufdüst.

Der Zweifel ist ein Dauerbegleiter des Radsports, und das liegt nicht nur an den vielen Skandalen der Vergangenheit. Der Radsport verdient ihn sich quasi täglich dazu. Nur eine kleine Auswahl: Bei Fahrern und Betreuern der Equipe Bahrain schauten die Ermittler kurz vor der Tour gleich mehrmals vorbei. Bei der Ineos-Mannschaft, dem Trendsetter der vergangenen Dekade, sind die Umstände einer mysteriösen Testosteron-Lieferung bis heute nicht aufgeklärt. Und insgesamt sind im Tross des Pelotons immer noch unglaublich viele Protagonisten aus den verseuchten Neunzigern und Nullerjahren aktiv, die nie wirklich bereut oder ausgepackt haben: Sportliche Leiter, Teammanager, Ärzte.

Längst geht es auch um den großen Graubereich, in dem Fahrer alles nehmen, was die Apotheke hergibt

Als die Staatsanwälte vor drei Jahren ein Blutdoping-Netzwerk rund um einen Erfurter Mediziner aufdeckten, konnte sich jeder selbst die Frage beantworten, wie wahrscheinlich es ist, dass nur die paar aufgeflogenen Hinterherradler Teil eines solchen oder eines ähnlichen Zirkels waren. Wer sich mit Anti-Doping-Experten unterhält, hört von deren Suche nach neuen Wunderwaffen, deren Nachweis so schwer ist. Das ist ja eh eine Kernerkenntnis der schmutzigen Zeit: Negative Dopingtests beweisen gar nichts, der Superdoper Lance Armstrong hatte in seiner Karriere mehrere Hundert davon. Wie sauber ein Peloton ist, das zeigt sich meist erst Jahre später.

Aber es braucht ja nicht einmal den Nachweis verbotener Substanzen, um an der Sauberkeit des Feldes zu zweifeln. Längst geht es auch um den großen Graubereich, in dem manche Fahrer alles nehmen, was die Apotheke hergibt, um irgendwie die Torturen der Tour zu überstehen. Aktuell verdeutlichen das zum Beispiel die sogenannten Ketone, die den Körper angeblich besser regenerieren lassen. Die sind nicht verboten. Aber Anti-Doping-Experten raten von dem Konsum ab, weil die gesundheitlichen Folgen unklar sind, sogar der Rad-Weltverband empfiehlt, sie nicht zu nehmen. Doch Mannschaften wie Jumbo-Visma mit ihrem Gelb-Träger Jonas Vingegaard und auch einige andere verteidigen die Nutzung von Ketonen, weil das ganz normale Nahrungsergänzungsmittel seien.

Just zwei Protagonisten, die zur Hochzeit des Epo-Dopings in sehr unterschiedlichen Rollen waren, haben diese Art von Konsum dieser Tage sehr anschaulich beschrieben. Der Dauerbetrüger Armstrong bemerkte in seinem Tour-Podcast zur Mentalität im Peloton: "Wenn ich 15 Prozent Leistung gewinnen könnte, würde ich Benzin trinken." Und der einstige Dopingverweigerer Christophe Bassons, von Armstrong und anderen damals aus dem Peloton gemobbt, sagte im SZ-Interview, dass ihm die umfangreiche medizinische Unterstützung fast noch mehr Angst mache als Doping. "Wenn Sie die Wahl haben zwischen einer kleinen therapeutischen Dosis Epo oder 20 bis 30 Tabletten pro Tag, um eine Tour de France zu fahren", sagte er, "dann können Sie mal kurz nachdenken, was davon gefährlicher ist."

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