Radsport: Tour de France 2010:Versteckspiel in Paris

Debatten rund um das Team Astana begleiten die Tour-Präsentation. Dabei ist die nächste Rundfahrt wie gemacht für seinen Anführer Alberto Contador - weniger für Lance Armstrong.

Andreas Burkert

Lance Armstrong absolvierte eine Art Riesentorlauf, augenscheinlich unter höchster Anspannung lenkte er sich durch enge Kurven, wie schon zuvor auf der Leinwand. Dort sah man ihn auf einer Alpenetappe der Tour 2003 die Abfahrt nach Gap hinunterrasen, als vor ihm der Spanier Beloki stürzte und Armstrong nur mit geschicktem Lenkerschwung eine Karambolage vermied. Beloki brach sich damals drei Knochen, er heulte wie ein Kind über den schmerzhaft verpassten, möglichen Toursieg. Armstrong überstand auch diesen Unfall unbeschadet und wirkte noch am Mittwoch in der historischen Filmschau irgendwie lässiger als später im Gedränge des Pariser Kongresszentrums.

Radsport: Tour de France 2010: Die Tour 2010, von Rotterdam nach Paris, sollte dem Bergspezialisten Contador liegen.

Die Tour 2010, von Rotterdam nach Paris, sollte dem Bergspezialisten Contador liegen.

(Foto: Foto: AFP)

Denn die Tour de France 2010, die er gewinnen möchte, sieht aus seiner Sicht "leider nur ein Zeitfahren vor". Sie ist für Kletterer gemacht. Für jemanden wie Alberto Contador. Und der Spanier stand nun gleich neben ihm.

Sie werden nie mehr gemeinsam fahren

Der aktuelle Champion und der Rekordsieger der Tour de France sind als Ehrengäste geladen gewesen bei der Streckenpräsentation für die 97. Frankreich-Rundfahrt, zusammen fuhren sie diesen Juli für die kasachische Skandalequipe Astana. Doch Freunde sind sie dort nicht geworden, der aus der Frühpension zurückgekehrte Texaner und Contador rivalisierten lange um Kapitänsrolle und Gesamtsieg - den schließlich der überlegene Bergfahrer aus Madrid vor Andy Schleck (Luxemburg) und Armstrong einfuhr. Armstrong, 38, hat dann noch am Tag des unwirklich anmutenden Zeitfahrsieges von Contador in Annecy seinen Neuanfang beim frisch gegründeten US-Rennstall RadioShack angekündigt.

Sie werden nie mehr gemeinsam fahren und können sich nicht ausstehen, das betonte Contador, 26, am Mittwoch in Paris erneut. "Ganz ehrlich", sagte er, "noch so eine Saison unter diesen Bedingungen könnte ich mir nicht vorstellen." Damit hat es sich dann allerdings schon mit den Gewissheiten zu Contador, Armstrong und Team Astana; die übrigen Fragen, welche wohl auch die Zukunft der kriselnden Branche beeinflussen, werden derzeit heftig hinter den Kulissen diskutiert. Und dort geht es offenkundig ebenso unerbittlich zu wie vermutlich nächsten Sommer, wenn nach dem Prolog in Rotterdam (3.Juli), der Überfahrt durch Belgien und Nordfrankreich - darunter 13 Kilometer über das Kopfsteinplaster von Paris - Roubaix - sechs Bergfahrten anstehen, darunter die Königsetappe auf dem Tourmalet (22.Juli).

Der Kampf läuft bereits, und nicht einmal die wiederholten Anschuldigungen durch Frankreichs Antidoping-Behörde AFLD, Astana sei im Juli vom Weltverband UCI bei den Dopingtests geschützt worden und habe -wie auch zwei andere Teams - im Tour-Müll auffällige Spritzen hinterlassen, sorgen für eine gewisse Verbundenheit der beiden Rivalen. Ihr Duell beeinflussen zudem die Kasachen, auch sie stören die Harmonie maßgeblich. Denn die Lizenzeigner weigern sich bislang, einerseits Contador ziehen zu lassen, der trotz bis 2010 gültigen Vertrags gehen möchte, zu Caisse d'Epargne. Andererseits dürfen bislang auch Astanas Edelhelfer wie Andreas Klöden oder der Ukrainer Popowitsch nicht ihrem Favoriten Armstrong zu RadioShack folgen. Gleiches gilt für dessen langjährigen Teamchef Johan Bruyneel.

Seriöses Management gefordert

Der Belgier ließ sich zwar in Paris unwidersprochen als "neuer Teamchef von RadioShack" ansprechen. Doch so weit ist es noch nicht. "Bruyneel hat einen Vertrag mit uns, und wir haben bislang nichts schriftlich von ihm, dass er gehen will", sagt auf SZ-Anfrage Nikolaj Proskurin, der mächtige Vize des kasachischen Radsportverbandes. Klöden? "Für ihn gilt das Gleiche, er fährt nächstes Jahr bei uns - genau wie Contador. Sie haben einen Vertrag!" Johan Bruyneel könne Armstrong folgen, aber dann müsse er zahlen.

Wie so vieles im Radsport ist auch diese Episode als Versteckspiel zu werten. Das kasachische Konsortium spielt auf Zeit, obwohl es diese eigentlich gar nicht hat. Zwar sind die Finanzprobleme des Projektes - das bislang vor allem für prominente Dopingfälle wie Winokurow oder Kascheschkin und hochgradig verdächtigte Asse wie Contador, Klöden und Armstrong steht - offensichtlich auf kasachischem Weg gelöst worden. "Unsere Strukturen stehen und sind abgesichert", sagt der 55-jährige Proskurin nachdem sich der Samruk-Kazyna-Konzern, ein "Staatsfonds für nationalen Wohlstand" (Selbstbezeichnung), soeben bis 2012 verpflichtet hat. Doch die UCI, Astanas Imageproblemen überdrüssig, verlangt nach Bruyneels mutmaßlichem Abschied für die Lizenzerteilung ein seriöses Management - obwohl sie auch Armstrongs kritisch beäugten Mentor Bruyneel dort duldete.

Zuletzt bemühten sich die Kasachen um Theo de Rooij, der vermutlich das Anforderungsprofil der UCI erfüllt: Der Niederländer war früher Profi, Teammanager von Rabobank - und dort am Skandal um den Dänen Michael Rasmussen beteiligt, der 2007 kurz vor dem Toursieg in Paris aus dem Rennen genommen wurde.

"Astana und RadioShack werden nächstes Jahr sehr wettbewerbsfähig sein", sagte Bruyneel in Paris, "und wir werden in den nächsten Tagen eine Lösung finden." Vermutlich beschert sie Astana hübsche Ablösesummen. Und die Vorwürfe der AFLD, welche nun sogar die Staatsanwaltschaft beschäftigen und Astana und damit auch ihm Doping unterstellen? Das sei ihm alles neu, sagte Bruyneel in ein TV-Mikrophon, "wir wissen nur, dass wir clean gefahren sind".

Dann startete der Belgier Bruyneel eine Art Riesentorlauf durchs Foyer. Er rannte fort.

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