Tadej Pogacar badete am Comer See im grünen Konfetti-Regen, spritzte schelmisch grinsend eine Prosecco-Fontäne ins Publikum und nahm schließlich selbst einen dicken Schluck aus der mächtigen Pulle. Nach dem spektakulären Schlusspunkt einer Saison für die Geschichtsbücher verwandelte sich der sonst so coole Ausnahme-Radfahrer in ein kleines Feierbiest. „Ich wollte den Moment mit den Fans genießen“, sagte Pogacar nach seinem vierten Sieg bei der Lombardei-Rundfahrt: „Es war schließlich ein schweres Rennen und ein harter Tag.“
Moment: Schwer? Hart? Das war dem 26-jährigen Slowenen nach einer neuerlichen Darbietung seiner Stärke kaum seriös abzunehmen. Nach 255 Kilometern der 118. Lombardia, die letzten 48 erneut als Solist, war der Weltmeister entspannt ins Ziel geradelt, hatte auf der Linie haltgemacht, lässig in Jubelpose sein Bike in die Luft gestemmt. Und irgendwann, mit 3:16 Minuten Rückstand, kam Belgiens Olympiasieger Remco Evenepoel abgekämpft als Zweiter an.
Pogacars Dominanz, das bewies Sieg 25 in diesem Jahr, ist schier erdrückend. Am Samstag siegte er beim „Klassiker der fallenden Blätter“ mit dem größten Vorsprung seit Eddy Merckx vor 53 Jahren, als erster Profi seit Merckx 1975 gewann er drei der fünf Radsport-Monumente in einer Saison, 75 Jahre nach Fausto Coppi als zweiter Fahrer „Il Lombardia“ zum vierten Mal in Serie. Und dass jemand wie er in einem Jahr die Tour de France, den Giro d’Italia und die WM gewinnt, hat es auch schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.
Diesmal versucht es die Konkurrenz mit einem Überraschungsangriff – es führt zu nichts
„Jeder Sieg ist mir wichtig“, sagte Pogacar, der in der Lombardei, bei einem seiner Lieblingsrennen, aber besonders. Diesmal war es ein sechsstündiges Lehrstück für all jene, die dachten, dem Ausnahmefahrer irgendwie beikommen zu können. Sie hatten es versucht, die Konkurrenten, mit einer konzertierten Überraschungstaktik: 30 Kilometer nach dem Start in Bergamo hatten 21 Profis aus 14 Teams angegriffen, darunter Mitfavoriten wie Pogacars Landsmann Matej Mohoric. Fünf Minuten Vorsprung fuhren sie heraus, aber Pogacar blieb unbeeindruckt.
Gegen Rennmitte drückte sein UAE-Team aufs Tempo, rund 50 Kilometer vor dem Ziel war am Colma-di-Sormano-Anstieg der letzte Ausreißer eingeholt. Jeder wusste, was kommen musste, keiner konnte es verhindern: Pogacar attackierte sofort – und war weg. „Ich habe durchgezogen“, sagte er, „um das mentale Match mit Remco zu gewinnen.“ Er gewann es nicht nur, er brach den Olympiasieger und alle anderen mental.
Diese „Pogi-Soli“ in loser Folge – eine Woche zuvor hatte Pogacar den Giro dell’Emilia nach 38 Kilometer Solofahrt gewonnen, bei der WM waren es 51, bei Lüttich-Bastogne-Lüttich 37, bei Strade Bianche gar 82 – sind auf diesem Niveau ohne Präzedenz. Doch wer so fährt wie Pogacar, bei dem fährt der Zweifel stets mit. Auch in der Lombardei musste er sich dahingehend erklären. „Wo immer es Dominanz gibt, im Sport, in der Wirtschaft, wird es Eifersucht und Verdächtigungen geben“, sagte er: „Und dagegen kann ich nichts machen.“