Harrogate (dpa) - Der fast schon obligatorische Regen konnte den britischen Radsport-Fans nun wirklich nichts anhaben. Zahlreich waren sie zum Auftakt der WM in Yorkshire wieder an die Strecke gepilgert, wahlweise mit Schirmen oder Regencapes ausgestattet.
Denn Cycling ist angesagt auf der Insel, seit mehr als einem Jahrzehnt hält der Boom inzwischen an. Nur das Mastermind hinter dieser Erfolgsgeschichte hat derzeit ganz andere Sorgen. Sir Dave Brailsford ist schwer erkrankt und musste sich im vergangenen Monat einer fünfstündigen Operation unterziehen.
„Er hat eigenhändig den britischen Radsport unter die Top-Nationen geführt. Er ist der Hauptgrund für den großen Erfolg der Sportart in diesem Land“, lobte der frühere Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins seinen Ex-Chef, mit dem er längst nicht immer auf einer Wellenlänge lag. Als Brailsford anfing, waren die Fahrer von der Insel noch belächelt worden. Inzwischen ist den großen Nationen längst das Lachen vergangen. „Rule Britannia“ heißt es schon seit vielen Jahren.
Erst führte Brailsford den britischen Bahnradsport im Zuge des Projekts London 2012 mit einem zentralisierten System und viel Geld an die Weltspitze, was sich in zahlreichen Olympiasiegen auszahlte. Dann gründete er den Radrennstall Sky und dominierte fortan die Straßenszene. „Think big“, heißt Brailsfords Credo. Wiggins, Chris Froome und Geraint Thomas sorgten für sechs britische Toursiege, nachdem es zuvor in gut 100 Jahren Frankreich-Rundfahrt nicht einen einzigen Triumph gegeben hatte. Brailsford lebte das Prinzip der „Marginal Gains“ vor, also minimale Vorteile in allen Bereichen, die in der Gesamtheit den entscheidenden Unterschied ausmachen können.
Als sich Sky in diesem Jahr als Sponsor zurückzog, brach das Imperium nicht zusammen. Es wurde vielmehr noch mächtiger. Typisch Brailsford halt. Das Chemie-Unternehmen Ineos ist mit rund 40 Millionen Euro jährlich eingestiegen, ein Quantensprung im Radsport. Herausgekommen ist der nächste Toursieger - der erst 22 Jahre alte Kolumbianer Egan Bernal, aufgespürt von Brailsford bei einem zweitklassigen italienischen Rennstall. Ein weiterer Erfolg Made in Britain quasi.
„Der Radsport hat dort eine Entwicklung erlebt, die phänomenal ist. Es tut dem internationalen Radsport sehr gut“, sagte Deutschlands Sportdirektor Patrick Moster der Deutschen Presse-Agentur und fügte hinzu: „Man hat einen sehr starken Partner gefunden und über Jahre etabliert. Es ist für jeden Verband erstrebenswert, ähnliche Strukturen wie in England zu schaffen – mit entsprechenden Partnern.“
Immer häufiger spielt sich dabei das Geschehen auf der Insel ab. 2014 trug Yorkshire bereits den Tour-Start aus. Die Begeisterung war derart groß, dass sich die Veranstalter gleich um die WM bewarben. Dazu gibt es immer mehr Rennen in England: Die Tour de Yorkshire, die Großbritannien-Rundfahrt, Eintagesrennen in London, und, und, und.
Ähnliches hatte sich nach dem Toursieg von Jan Ullrich in Deutschland abgespielt, ehe die Sportart nach den Dopingskandalen eine heftige Bruchlandung hinlegte. Kann das den Briten auch passieren? Die Skepsis bleibt jedenfalls. Erst der Skandal um die medizinischen Ausnahmegenehmigungen im Sky-Team um Wiggins, dann die positive Salbutamol-Probe von Froome. Letztlich blieben beide Fälle folgenlos, kosteten den Stars aber gerade in Frankreich viele Sympathien.
An Brailsford prallten die Kritik und die Verdächtigungen all die Jahre ab, die Rolle des Buhmanns hat er für den Erfolg gerne in Kauf genommen. Umso mehr dürfte ihn die große Anteilnahme nach Bekanntwerden seiner Krankheit gefreut haben. „Wir wünschen ihm alle das Beste“, sagt Wiggins stellvertretend und dürfte die positiven Signale gerne vernommen haben. In der vergangenen Woche hat Brailsford auf seinem Internet-Tracking-Programm Strava eine 45-Kilometer-Trainingsfahrt hochgeladen.