Radsport:Rattern im Kopf

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Überholt auf den letzten Metern: Michael Teuber im WM-Straßenrennen über 68 Kilometer. (Foto: imago/Beautiful Sports)

Michael Teuber, 50, wird zum zehnten Mal Weltmeister im Einzelzeitfahren, es ist sein 20. Titel bei einer Paracycling-WM: Belege einer besonderen Lebensleistung.

Von Anna Dreher

Auf den letzten Metern wäre Michael Teuber fast noch gestürzt, so sehr stemmte er sich gegen das, was er dann doch nicht verhindern konnte. Elf Radfahrer rasten im Straßenrennen der Paracycling-Weltmeisterschaften auf die Ziellinie zu. Teuber war unter den ersten dreien, er trat und trat und strauchelte und trat - und wurde doch noch überholt. Die Medaille, die am Sonntag im italienischen Maniago so nah zu sein schien, sie war wieder weg. Teuber wurde zeitgleich mit dem Chinesen Zhangyu Li Vierter, drei Sekunden hinter den ebenfalls zeitgleichen Ricardo Ten Argiles aus Spanien und dem bisherigen und neuen Weltmeister Pierre Senska, 30, aus Berlin (1:49:09). "Ich konnte einfach nicht mehr fester treten", sagte Teuber. "Für mich war es das Maximum und insgesamt eine sehr gute WM."

Der Fokus bei seiner zwölften Teilnahme lag ohnehin nicht auf dem Straßenrennen. Seine Spezialität ist das Einzelzeitfahren, neun WM-Titel hat er in dieses Disziplin bisher gewonnen, und schon da machte er am Freitag Erfahrung mit engen Ergebnissen, allerdings gute.

Michael Teuber fuhr in den sieben Vorbereitungsmonaten 13 000 Kilometer auf dem Rad

Teuber, der Perfektionist, hat sein Training in diesem Jahr wieder genau abgestimmt auf diese WM. Der Fahrer des BSV München spulte 13000 Kilometer in den sieben Vorbereitungsmonaten auf seinem Rad ab. Und am Freitag wusste er nach 13,6 Kilometern, bei denen er seine Bestleistung abgerufen hatte: Es hatte sich wieder gelohnt. Teuber gewann in der Wettkampfklasse C1 Gold mit zwei Sekunden Vorsprung auf den 14 Jahre jüngeren Kanadier Ross Wilson. "Für mich", sagte Teuber, "war das ein perfektes Rennen."

Perfekt ist ein Wort, das der 50-Jährige aus Odelzhausen oft benutzt, weil es seine Herangehensweise widerspiegelt. Er arbeitet seit Jahren akribisch, aber er hat ja auch keinen Grund, daran etwas zu ändern. Für ihn funktioniert das immer noch ganz gut, perfektionistisch zu sein. Der Titel vom Freitag ist sein zehnter im Einzelzeitfahren und sein 20. bei Weltmeisterschaften. Insgesamt hat er schon 33 WM-Medaillen gewonnen. So oft erreichte im paralympischen Sport kein anderer Athlet nach Radrennen das Podest.

Teuber ist wie ein Getriebener, für den sich mit jedem Tag die eigene Leistungsgrenze verschiebt, der sich damit ganz automatisch neue Trainingsanreize setzt. Er nennt die intensive Bewegung, die Arbeit mit Extremen sein Elixier. Anders, sagt der fünfmalige Paralympicssieger, könne er gar nicht mehr leben.

Die nächsten paralympischen Spiele finden 2020 in Tokio statt. Teuber hat sie fest eingeplant

Bei einem Autounfall während eines Urlaubs verletzte sich Teuber als 19-Jähriger so schwer, dass er mit einer inkompletten Querschnittslähmung im Rollstuhl saß: Seine Beine sind unterhalb des Kniegelenks gelähmt. Aber ohne Bewegung, das wusste Teuber schon damals, würde er nicht weitermachen können. Zwei Jahre nach dem Unfall fuhr er wieder Rad. Seit 21 Jahren ist er nun Profi, er ist Teil der paralympischen Bewegung, zu deren gesellschaftlichen Akzeptanz und Aufmerksamkeit er sich durchaus kritisch äußert. Die Medaillen sind ihm Bestätigung für seine Herangehensweise, Teuber sieht sie als wichtige Wegmarken einer beachtlichen Lebensleistung - besonders die aus Maniago. "Eigentlich ist es schon krass, was ich geschafft habe, das ist schon etwas besonderes", sagt Teuber. Für ihn persönlich. Und für den Sport. Aber er weiß auch: "An meinen Lebensverhältnissen ändert sich durch die Titel nichts."

Solange er noch konkurrenzfähig mitfahren kann, will Teuber an den Start gehen. Er setzt sich seine Höhepunkte wie die Weltmeisterschaft vergangenes Wochenende sehr gezielt, um seinen Ansprüchen und Erwartungen gerecht zu werden, und um nach wie vor mithalten zu können im professioneller arbeitenden Teilnehmerfeld, das immer größer wird. "Nachdem die beiden letzten WM-Rennen so knapp waren, rattert es jetzt natürlich bei mir im Kopf. Früher hatte ich größere Zeitpolster, aber die anderen Fahrer kommen immer näher", sagt er. Dass es schwieriger wird für ihn, gefällt ihm aber auch, es ist ja wieder etwas, das ihn anspornt: "Und dem Sport hilft das natürlich." Mehr Spannung kann zu mehr Aufmerksamkeit führen. Und vor allem in den Phasen zwischen den durch Fernsehübertragungen einem größeren Publikum zugänglich gemachten Paralympics ist das für den Behindertensport wichtig.

Die nächsten paralympischen Spiele finden 2020 in Tokio statt. Teuber hat sie fest eingeplant, er fühlt sich gut in Form und hat ja gerade erst bestätigt, was möglich ist für ihn, auch als einer der älteren Teilnehmer. Nächste Woche fliegt er nach Kanada, zum Weltcupfinale. Dann ist seine Saison für dieses Jahr vorbei - und er bereitet sich auf die nächsten Höhepunkte vor. Auf den letzten Metern überholt zu werden, das mag Michael Teuber nicht so gerne.

© SZ vom 07.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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