Süddeutsche Zeitung

Radsport: Patrik Sinkewitz:Angemessen angewidert

Die Verlogenheit des Radsports: Kronzeuge Sinkewitz gewinnt in Portugal erneut - aber im WM-Kader fehlt er natürlich trotzdem. Die meisten Fahrer verachten ihn als Nestbeschmutzer.

Andreas Burkert

Hinterher, bei der Pressekonferenz, wurden dem Etappensieger aus Deutschland von dem guten Dutzend südländischer Berichterstatter "ganz normale Fragen" gestellt, wie Patrik Sinkewitz das selbst empfand. Es waren Fragen nach Emotionen, die sein Erfolg ausgelöst habe. Nach seinen Aussichten für die nächste Etappe oder überhaupt für die Portugal-Rundfahrt.

"Meine Geschichte interessiert hier keinen", sagt Sinkewitz, und in diesem Fall findet er den Übergang zur Tagesordnung nicht einmal beklagenswert. Denn das ist es ja, was er gerne erleben würde, jetzt, in der zweiten Hälfte seiner Karriere als Radprofi: Dass man ihn einfach Rennen fahren ließe. Ohne Vorbehalte, ohne Mobbing. Und ohne ihn ausschließlich nach dem ersten Teil seiner Karriere zu bewerten.

Vor zwei Wochen ist das ja noch ganz anders gewesen. Die Sache war ein wenig untergegangen wegen des gleichzeitigen Finales der Tour de France. Dabei taugte sie zum Skandal und einem Muster für die anhaltende Verlogenheit des Radsports.

Sinkewitz, der einstige Doper, der hinterher den Kronzeugen gab und damit tiefe Einblicke in das Metier, der den damaligen T-Mobile-Kollegen Andreas Klöden, Sechster der Tour 2009, vor Ermittlern und Kommissionen des Blutdopings bezichtigte, weil er eben nicht mehr lügen will - dieser Patrik Sinkewitz hatte es tatsächlich gewagt, auf der Königsetappe der Sachsen-Rundfahrt früh zu attackieren, hatte es gewagt, 150 Kilometer allein voraus zu fahren und auch noch zu gewinnen!

Und was geschah: 21 Verfolger kamen wegen seiner Zähigkeit verspätet ins Ziel, sie klatschten dem Sieger Sinkewitz ironisch Beifall und verzichteten sogar auf den Sprint um Rang zwei. Ein stiller Affront gegen einen Nestbeschmutzer. "Die Aktion gereicht den Radprofis nicht zur Ehre. Zum Glück reagierten die Zuschauer anders", meldete das Verbandsblatt Radsport angemessen angewidert.

Patrik Sinkewitz, 28, aus Künzell bei Fulda will diese Sache nicht so hoch hängen. Obwohl sie seinen ersten Sieg nach dem Ablauf seiner Dopingsperre vor einem Jahr prägte. "Das motiviert mich nur noch mehr", sagt er nun nach seinem nächsten Solosieg in Portugal, wo er den dritten Abschnitt nach Gouveia nach einer Attacke zwei Kilometer vor dem Ziel gewann. "Früher hätte ich das nie gemacht", ergänzt er.

Sinkewitz meint seine mutige Fahrweise ("früher hätte ich nur geschaut, was ein Cunego macht") und auch seinen Weg, sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen über die anderen: "Früher war mir wichtig, was sie über mich dachten. Jetzt sind sie mir egal."

Sinkewitz betont zudem, nicht alle würden ihm ablehnend gegenübertreten. "Es gibt auch viele, die mir gratulieren." Der Rest? Den stellt er auf seine neue Art bloß, offensiv im Sattel und auch sonst. Nach seinem Gesamtsieg in Sachsen habe er einige der Boykotteure ja angesprochen, ob sie ein Problem mit ihm hätten. "Aber wenn du die ansprichst, wie einen André Greipel - da kommt ja dann gar nix. Keiner hat einen Arsch in der Hose."

Womit der Übergang zum BDR hergestellt wäre. Der Verband hat einige Tage nach der Sachsen-Tour sein erweitertes Aufgebot für die WM (22. bis 27.9.) veröffentlicht. 18 Profis gehören dazu, darunter sogar der bei der Tour schwer verletzte Jens Voigt (der natürlich absagte) und der eher ablehnende Heinrich Haussler, der wieder für Australien starten will.Sinkewitz' Name fehlt, obwohl ihm der Kurs in der Schweiz sogar läge.

Sinkewitz fährt trotzdem weiter. Auch 2010 wohl für das tschechische Whirlpool-Team, das allein dem Aussätzigen eine Offerte unterbreitet hatte. "Sie haben gesagt, dass ich bleiben kann, ich bin ihnen auch wirklich richtig dankbar", sagt Sinkewitz. Mit Angeboten anderer Teams, die er nicht ablehnen könnte, ist sowieso kaum zu rechnen. "Ich glaube", sagt Sinkewitz, "bei denen hat sich nicht sehr viel geändert." Ihnen fehlt der Hintern in der Hose.

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SZ vom 10.08.2009/segi
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