Radsport: Neue Regeln:Die Tour - jetzt mit mehr Spannung

Gedopt wird vermutlich weiterhin, aber die Tour de France hat sich trotzdem verändert. In positiver Hinsicht: Neue Regeln versprechen mehr Dramatik, Sekunden sind mehr Wert. Davon könnte am Ende ein deutscher Radprofi profitieren - der allerdings nicht unumstritten ist.

Andreas Burkert

Er sei doch nicht bescheuert, hatte Jens Voigt vor dem Start dem französischen Fernsehen versichert und laut gelacht, "wenn ich euch das jetzt sage, weiß es jeder!" Sie hatten den in Frankreich wegen seiner heiteren, polyglotten Art beliebten Radprofi aus Deutschland gefragt, was denn die Taktik seines Leopard-Rennstalls sei für das schwere Finale an der Mûr-de-Bretagne. Voigt hat wortreich geantwortet und im Grunde doch nichts erzählt, "ich muss da meinen Mund abschließen", erklärte er, "ritsch-ratsch". Aber von Taktik war dann sowieso nichts zu sehen im giftigen Schlussanstieg, den sie hier das Alpe d'Huez der Bretagne nennen.

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Der Brite Mark Cavendish (rechts) gewann die fünfte Etappe der Tour de France. Der HTC-Profi holte sich nach 165 km von Carhaix nach Cap Frehel den Sieg vor dem Belgier Philippe Gilbert und Jose Joaquin Rojas aus Spanien.

(Foto: AFP)

Inmitten der Menschenmassen am Hausberg der bretonischen Veloszene kämpfte jeder gegen jeden und um das eigene Überleben, die Männer fürs Gesamtklassement sprinteten um den Sieg gegen Klassikerspezialisten, auf welche dieser Tag eigentlich ausgerichtet war. Es ging am Ende um Millimeter. Aber Kleinigkeiten wie Sekunden besitzen bei diesem Rennen neuerdings einen besonderen Wert.

Für die Puristen des Radsports, die den dringenden Dopingverdacht etwa gegen den Tageszweiten Alberto Contador und viele andere ausblenden können, müsste das eine schöne Tour werden. Wann hat man zuletzt schon mal namhafte Klassement-Fahrer wie Cadel Evans, Contador oder Frank Schleck am vierten Tag um einen profanen Etappenerfolg sprinten sehen? Erst am Samstag im Zentralmassiv, in Super-Besse, wären sie nach den bisher geltenden Regeln gefordert. Und geht es nicht erst in einer Woche in die steilen Rampen der Pyrenäen?

Vieles ändert sich leider nicht im Radsport, vermutlich sogar nie, aber das Rennen hat sich doch ein wenig verändert, in positiver Hinsicht. Was den Gesamtsieg angeht hat natürlich Contadors Zeitverlust nach einem Sturz im Feld während der Auftaktetappe den neuen Drang nach Initiative gefördert. 1:38 Minuten lag er nach dem Teamzeitfahren zurück, und in Mûr-de-Bretagne verschwendete er Kraft für einen Sieg, der inzwischen jedoch keine Bonus-Sekunden mehr einbringt.

Der umstrittene Spanier wollte wohl zum einen dokumentieren, dass ihn das Malheur auf der ersten Etappe und die Antipathien der Gastgeber nicht demoralisieren. "Dieser zweite Platz ist wirklich gut für die Moral, für mich und mein Team", flötete der Madrilene im Ziel, wo er zunächst irrtümlich an seinen Sieg geglaubt und die Faust zum Himmel gereckt hatte. Zum anderen gelang es ihm immerhin, seinem mutmaßlich schärfsten Widersacher Andy Schleck acht Sekunden abzunehmen. Dem Luxemburger liegen keine kurzen Steigungen. "Das ist ärgerlich, aber mich hat es nicht überrascht", sagte er entspannt.

Allerdings ist nun sein Bruder Frank Schleck - der mit Evans ankam und jetzt als Dritter nur drei Sekunden hinter dem Australier und vier hinter dem führenden Norweger Thor Hushovd liegt - in einer Position, die den Familienfrieden bedroht. Was passiert, wenn der ältere Bruder, 31, in den Bergen ins gelbe Trikot fährt? Andy Schleck, 26, hat bei der Tour zuletzt zweimal hinter Contador Rang zwei belegt. Er will und soll diesmal gewinnen. Aber seinen Bruder und Teamgefährten könnte er nicht attackieren.

Lachende Dritte lauern schon, als erstes natürlich Evans, der ewig Zaudernde, der seine Chance sieht und sich plötzlich angriffslustig gibt. Gelb brauche er derzeit aber nicht, "nein, wir bleiben ruhig und freuen uns über die schöne Situation", sagt der 34-Jährige, der 2007 um 23 Sekunden den Toursieg verpasst hatte, hinter Contador. Auch der nicht minder umstrittene Cottbuser Andreas Klöden, zurzeit Fünfter, könnte Nutznießer eines Durcheinanders der Interessen sein.

Aber man sollte deshalb nicht gleich schwarzmalen, zumal in das Rennen womöglich noch andere Gruppen eingreifen. So wird das gepunktete Bergtrikot nicht mehr verschenkt - diesmal soll wirklich ein guter Kletterer ausgezeichnet werden: Die Organisatoren haben ihr Reglement geändert, viele Punkte gibt es nun nur noch bei den (vier) Bergankünften. Und auch die schnellen Männer müssen sich umstellen, denn in den Zwischenwertungen erhält der Sieger diesmal 20 statt bisher drei Zähler (Etappensieg: 45). Was das für den Kampf ums grüne Trikot, bisher eine Trophäe für Sprinter, bedeutet, könne man noch nicht sagen, meint der Kölner Gerald Ciolek. "Das ist für alle neu - mal sehen, wer nun unterwegs verkrampft auf Punkte geht."

Die Tour de France hat bislang sehr wenig erreicht im Anti-Doping-Kampf. Aber offenbar gelingt es ihr gerade bei der 98. Ausgabe, ein anderes Ziel zu erreichen: das Rennen mit neuem Streckenverlauf und neuen Regeln spannender und ausgewogener zu gestalten. Und im Radsport erfreuen sie sich schon an kleinen Dingen.

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