Süddeutsche Zeitung

Radsport:Mit letzter Kraft

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Der Däne Mads Pedersen sichert sich bei extremen Bedingungen den Sieg im Straßenrennen der Rad-WM vor dem Italiener Matteo Trentin. Der niederländische Top-Favorit Mathieu van der Poel überschätzt dagegen seine Kräfte.

Von Johannes Aumüller, Harrogate/Frankfurt

Mads Pedersen sah völlig abgekämpft aus. Ein wirklich extremer Wettkampf lag hinter dem dänischen Radprofi, ein 261 Kilometer langer und grausamer Tag im Dauerregen. Aber nun stand er als überraschender Sieger des WM-Straßenrennens von Harrogate vor dem Mikrofon, noch merklich schnaufend ob der Anstrengungen, und ständig wischte er sich mit dem Trikotärmel den Mix aus Schweiß und Nässe aus dem Gesicht. "Es ist wirklich unglaublich. Das hatten wir heute Morgen nicht erwartet", sagte Pedersen nach seinem Erfolg in dieser denkwürdigen Wasserschlacht, in der John Degenkolb als bester Deutscher auf Platz 15 kam.

Gerade mal 23 Jahre ist der Däne alt, und gänzlich aus dem Nichts kommt er natürlich nicht. Im Vorjahr etwa deutete der Fahrer aus der amerikanischen Trek-Mannschaft als Zweiter der schweren Flandern-Rundfahrt schon an, wie stark er sein kann. An diesem Tag in Harrogate galten andere Fahrer als favorisiert. Doch für Pedersen lief es perfekt. Erst erwischte er gut 30 Kilometer vor dem Ziel die entscheidende Fünfergruppe, die sich absetzte. Dann profitierte er davon, dass den in dieser Fluchtgruppe befindlichen Top-Favoriten Mathieu van der Poel aus den Niederlanden plötzlich die Kräfte verließen. Und als 200 Meter vor der Ziellinie der Italiener Matteo Trentin den Sprint anzog und schon wie der Sieger aussah, schob sich Pedersen mit letzter Kraft noch vorbei und gewann das Rennen vor Trentin und dem Schweizer Stefan Küng. "Jeder ist mega überrascht. Er hat es aber auch verdient, wenn man so ein Rennen fährt. Das war schon beeindruckend", sagte Degenkolb, bei Trek bis zum Saisonende noch Teamkollege von Pedersen.

Es war ein hartes Rennen, das die Fahrer auf den hügeligen Straßen rund um Harrogate in der englischen Grafschaft North Yorkshire bestreiten mussten. Das Profil war ohnehin schon schwer genug, und dazu herrschten den ganzen Tag über sehr widrige herbstliche Bedingungen. Es windete und stürmte, und der Regen war so stark und ausdauernd, dass die Organisatoren einen Teil des ursprünglich ausgeheckten Parcours strichen. Auf den verbliebenen 261 Kilometern standen des Öfteren noch Pfützen mitten auf der Straße. Die Folge: diverse Stürze und Defekte, und am Ende erreichten nur rund vier Dutzend Fahrer überhaupt das Ziel.

"Es war extrem. So etwas habe ich noch nie erlebt. Man musste jederzeit aufpassen, dass man nicht tauchen geht", sagte Degenkolb. Auch sein Mannschaftskollege Pascal Ackermann, der nach einem Defekt das Rennen zwei Runden vor Schluss aufgeben musste, sagte: "Das war das zäheste Rennen dieses Jahres."

Aber auch vom Renngeschehen her tat sich Bemerkenswertes. Schon die erste Ausreißergruppe war ungewöhnlich prominent besetzt, inklusive solcher Protagonisten wie Primoz Roglic (Sieger der Spanien-Rundfahrt 2019), Richard Carapaz (Sieger des Giro d'Italia 2019), oder Nairo Quintana. Ein paar Belgier verschärften das Tempo just in dem Moment, als ihr eigentlicher Kapitän Philippe Gilbert nach einem Sturz hinter dem Feld fuhr, begleitet vom belgischen Groß-Talent Remco Evenepoel, und fuhren ihn so aus dem Rennen. Und Favorit van der Poel attackierte gut 30 Kilometer vor dem Ziel recht früh, doch offenbar hatte er sich verschätzt - 13 Kilometer vor dem Ziel musste er die Ausreißerkollegen um Pedersen ziehen lassen.

Die deutschen Fahrer spielten in den entscheidenden Momenten keine Rolle. Außer Degenkolb erreichte nur noch Nils Politt (19.) das Ziel. "Wir haben alles probiert. Top 10 wäre schön gewesen, aber ich denke, wir haben ein super Rennen gezeigt", sagte der Kölner. Schon am Vortag hatten im Frauen-Rennen und im U23-Rennen die Vertreter des Bundes deutscher Radfahrer (BDR) die Podiumsplätze verpasst. Lisa Brennauer auf Platz neun sowie Georg Zimmermann auf Position zwölf waren in diesen Rennen die besten Deutschen.

Damit schloss der BDR die WM mit zwei Medaillen ab: In der neu eingeführten Mixed-Staffel gleich zu Beginn der Veranstaltung reichte es für Silber, im Einzelzeitfahren der Junioren sicherte sich Marco Brenner Bronze. Ein bisschen mehr hatten sich die Verantwortlichen schon versprochen, insbesondere in den Zeitfahren. So aber gab es schon das dritte Mal nacheinander keine Medaille in den olympischen Disziplinen.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2019
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