Radsport:Lücken hinterm Leuchtturm

Deutschland Tour

Seltene Gäste: Das prominent besetzte Peloton auf der ersten Etappe der diesjährigen Deutschland-Tour von Hannover nach Halberstadt.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Die Deutschland-Tour soll sich als Radsport-Fest erweisen. Zugleich kaschiert sie die Probleme einer Szene, in der es kaum noch Rennen gibt.

Von Johannes Aumüller, Hannover/Frankfurt

Es war ein ziemlich illustres Teilnehmerfeld, das sich am Donnerstagmittag in Hannover zusammengefunden hatte. Der letztjährige Tour-de-France-Sieger Geraint Thomas war dabei, auch der Franzose Julian Alaphilippe - und die besten deutschen Pedaleure um Sprinter Pascal Ackermann sowieso, der am Donnerstag gleich mal die erste Etappe in Halberstadt gewann. Vier Tage Deutschland-Rundfahrt stehen also wieder an, zum zweiten Mal nach der Wiederbelebung des Rennens im Vorjahr. Ein großes Radfest über insgesamt 721 Kilometer soll es wieder werden, ehe die Rundfahrt am Sonntag in Thüringens Hauptstadt Erfurt endet - und das ist aus mehreren Gründen ein bemerkenswerter Zielort.

Es gibt kaum eine Region in Deutschland, der in der jüngeren Vergangenheit so viele starke Radfahrer entstammten; insbesondere der Zeitfahrer Tony Martin und der soeben zurückgetretene Sprinter Marcel Kittel hatten hier prägende Jahre. Zugleich erinnert der Zielort die Radszene an ihr ewiges Problemthema. Denn just in Erfurt lag über Jahre das Zentrum eines großen und auch von diversen Radprofis genutzten Blutdopingringes, wie sich durch die noch lange nicht abgeschlossenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in der "Operation Aderlass" zeigt - diese waren bei der Konzeption der Rundfahrt noch nicht bekannt. Jedenfalls ist der Zielort Erfurt zum Dritten bemerkenswert, weil er stellvertretend steht für die Lage des nationalen Radsports im Schatten der Deutschland-Tour.

Thüringen hatte bis vor ein paar Jahren regelmäßig starke Radfahrer zu Gast. Eine traditionsreiche Rundfahrt gab es quer durch das Bundesland, zuletzt als Rennen für die U23-Klasse konzipiert, die Siegerliste ist gespickt mit prominenten Namen wie Tony Martin. Aber seit 2013 findet diese Rundfahrt nicht mehr statt. Und auch in anderen Bundesländern wie Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Berlin sind mehrtägige Rundfahrten, die lange fest zum Rennkalender gehörten, im vergangenen Jahrzehnt verschwunden. Neben der Deutschland-Tour stehen an bedeutenderen Rennen nur noch vier Eintages-Termine an (Frankfurt, Köln, Hamburg, Münsterland) - und im Rundfahrt-Bereich gibt es in dem so wichtigen Unterbau hinter dem Leuchtturmprojekt große Lücken.

Der zuständige Vizepräsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), Uwe Rohde, glaubt auch nicht, dass sich daran bald etwas ändern wird. "Ich denke schon, dass durch die Deutschland-Tour wieder viel über Radsport gesprochen wird und auch neue Impulse kommen können", sagt er: "Aber dass einzelne Rundfahrten wiederbelebt werden, sehe ich nicht."

Es sind verschiedene Gründe, die zu dieser schwierigen Situation geführt haben. Die Bereitschaft der Sponsoren ist nach all den offenkundigen Dopingjahren noch immer angespannt. BDR-Vize Rohde verweist auch auf die nachlassende Bereitschaft, sich in einem Verein zu engagieren - und vor allem auf die behördlichen Vorgaben. "Das Problem ist oftmals, dass Auflagen und insbesondere auch die Sicherheitsauflagen so hoch geworden sind, dass die Vereine überfordert sind." Früher, so erinnert er sich, seien bei manchen Veranstaltungen die Parkzonen-Hinweise eben händisch auf Schilder gemalt worden, so etwas ginge heute halt nicht mehr. Man führte immer wieder Gespräche mit den Behörden und den Verkehrsministerien zu diesen zunehmenden Auflagen. "Da müssen Wege gefunden werden, Sachen zu entschärfen", sagt Rohde. Zugleich muss der BDR auch registrieren, dass Jedermann-Rennen großen Zulauf haben.

Im Vorjahr und in diesem Jahr kaschiert die Deutschland-Tour die Schwierigkeiten auf der Ebene darunter. Das liegt in erster Linie daran, dass die Veranstalter von der Amaury Sport Organisation (Aso), die auch hinter der Tour de France stehen, Deutschland als Markt ausgeguckt haben und entsprechend investieren. Ein Umfang von mehr als vier Renntagen ist bisher zwar nicht vorgesehen, weil die Aso verstärkt auf diese kürzeren Formate setzt, aber sie will diese vier Tage noch aufwerten.

Durch ihren Einfluss in der Radszene garantiert sie auch ein prominentes Starterfeld und größere Aufmerksamkeit, das Fernsehen überträgt live - und das wiederum führt bei Städten und Ländern dazu, sich eher finanziell zu engagieren, weil sie darin eine Werbemöglichkeit sehen. Das Land Thüringen etwa, wo die dritte Etappe endet (Eisenach) und die vierte Etappe nach Erfurt komplett stattfindet, zahlt 350 000 Euro an "Mediakosten", dazu kommen die Aufwendungen für Streckenabsicherungen und Polizeieinsätze. Etappenzielorte müssen noch einmal mit rund 100 000 Euro kalkulieren. Dafür gibt es nun knapp eineinhalb Tage Top-Radsport. Andererseits: Für dieses Budget hätte sich auch eine komplette, einwöchige Thüringen-Rundfahrt finanzieren lassen.

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