Radsport: Interview mit Frankie Andreu:"Ich will glauben, dass weniger Fahrer dopen"

Lance Armstrongs einstiger Helfer und Dopingzeuge Frankie Andreu über das Warten auf Wahrheit, die Konsequenzen der Betrugsbekämpfung und einen neuen, sauberen Radsport.

Andreas Burkert

Lange hat Frankie Andreu, 44, keine Interviews gegeben zu einer Sache, die ihn und den Radsport intensiv beschäftigte. Zu groß war wohl die Sorge vor der Reaktion Lance Armstrongs, dessen Teamkollege Andreu einst bei Motorola und US Postal (1992 bis 2000) gewesen ist. 2006 hatten Andreu und seine Frau Betsy in einem Rechtsstreit des Tour-Rekordsiegers mit einer Versicherung vor Gericht unter Eid ausgesagt. Sie erklärten, dabei gewesen zu sein, wie Armstrong 1996 nach seiner Krebs-Diagnose den Krankenhausärzten von umfangreichem Doping berichtet habe. Armstrong gewann das Verfahren, weil andere Zeugen das nicht bestätigten. Doch die Dinge haben sich geändert, seitdem die früheren Teamkollegen Floyd Landis und Tyler Hamilton vor Gericht über Armstrongs Dopingprogramm aussagten. In den USA ermittelt Cheffahnder Jeff Novitzky, der im Balco-Dopingskandal gegen US-Idole wie Baseballer Barry Bonds und Marion Jones ermittelte; die Leichtathletin saß wegen Meineids sogar in Haft.

Radsport: Interview mit Frankie Andreu: Frankie Andreu bei der Tour im Jahr 2000 - damals war der heute 44-Jährige Lance Armstrongs Teamkollege.

Frankie Andreu bei der Tour im Jahr 2000 - damals war der heute 44-Jährige Lance Armstrongs Teamkollege.

(Foto: AFP)

Andreu, der neunmal die Tour beendete, leitet heute das kleine US-Continental-Team Kenda. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern nahe Detroit. Bei der Tour de France macht der Amerikaner derzeit Interviews für den Online-Kanal des Magazins "Bicycling". Und angesichts der Entwicklungen im Fall Armstrong redet Andreu, der 2005 Doping während seiner Karriere einräumte, auch wieder über sich.

SZ: Mister Andreu, der US-Radsport erlebt gerade ein Hoch bei der Tour, Team Garmin gewann das Zeitfahren, Tyler Farrar eine Sprintetappe, und Kollege Thor Hushovd hat dem Team erstmal das Gelbe Trikot beschert. Wird das daheim positiv aufgenommen nach den Enthüllungen um Armstrong?

Frankie Andreu: In Amerika ist Radsport bei weitem nicht so populär wie in Europa. Das CBS-Interview von Tyler Hamilton zuletzt war zwar eine größere Geschichte in den USA. Aber nur sehr kurz - und dann war es schon wieder vorbei. Dabei war das doch sehr interessant, sogar für mich, da war viel Neues dabei, was auch ich nicht wusste.

SZ: Hamilton soll zuletzt von Armstrong bei einem zufälligen Treffen bedroht worden sein. Wie war es nach Ihrer Aussage, wurden Sie gemieden?

Andreu: Bedroht hat er mich nicht, und wir reden schon lange nicht mehr. Aber am Anfang war es schon sehr hart. Ich wusste ja nicht, wer noch mein Freund ist, mit wem ich reden konnte. Viele haben sich abgewendet, nachdem ich über Lance die Story aus dem Krankenhaus erzählt hatte. Es hat sich etwas beruhigt, aber es gibt immer noch Leute, denen ich mich lieber nicht nähere.

SZ: Weil Armstrong immer noch so viel Einfluss hat, einen langen Arm?

Andreu: Er hat keinen langen Arm - er ist wie ein Tintenfisch, denn er hat seine Tentakeln immer noch überall. Er war wahrscheinlich der populärste Fahrer dieses Sports für alle Zeit, und viele empfinden offenbar noch eine verrückte Leidenschaft für ihn. Und wenn du denen dann etwas von der Wahrheit über ihn sagst, dann interessiert sie das nicht.

SZ: Hat Sie die jüngste Dopingbeichte von Hamilton überrascht? Halten Sie ihn und Floyd Landis für glaubwürdig?

Andreu: Mich hat grundsätzlich nichts überrascht. Und ich halte sie für sehr glaubwürdig. Nur weil sie in der Vergangenheit gedopt und gelogen haben, muss man sie jetzt nicht als Lügner ansehen. Aber das ist ja Armstrongs Argument: Sie haben gedopt, sind nicht glaubwürdig! Nehmen Sie Marion Jones: Sie hat ihr halbes Leben gelogen, und im Balco-Skandal sagte sie plötzlich, dass sie gedopt hat - glauben wir ihr das jetzt etwa nicht, wegen früher? Nein, das ist albern. Beide Storys, die von Landis und von Hamilton, ähneln sich doch auffallend in den Details. Und nun hat ja sogar George Hincapie etwas beigetragen, sein alter, bester Freund und Teamkollege. Auch ich habe mit den Ermittlern kooperiert. Der Druck auf Armstrong ist enorm.

SZ: Hincapie fährt bei der Tour für BMC. Er schweigt zu seinen angeblich belastenden Aussagen. Reden Sie mit ihm?

Andreu: Nein. Ich hätte Angst, ihn anzusprechen. Weil ich nicht weiß, wie er reagiert, was er denkt. Und das ist ein mieses Gefühl, wenn du hier im Ziel stehst und die Leute siehst, die du so lange kennst. Das zermürbt dich.

"Lance wird in der Sache nie zurückstecken"

SZ: Wann werden die Ermittlungen gegen Armstrong abgeschlossen sein?

Andreu: Ich wäre sehr glücklich, wenn das zu einem Ende gebracht würde. Ich möchte bewiesen haben, dass meine Frau und ich die Wahrheit gesagt haben. Dann gibt es eine Party, ich wasche mir die Hände - und bin endlich fertig mit dieser Sache und bekomme auch das Geld für meine Anwälte. Das wäre fantastisch. Aber ob es passiert und wann? Keine Ahnung. Eines ist sicher: Lance glaubt, es wird gar nichts passieren.

SZ: Denken Sie, dass Armstrong jemals irgendetwas einräumen wird?

Andreu: Nein, er ist zu sehr ein Kämpfer. Ich denke nicht, dass er jemals etwas einräumen wird, selbst wenn ihm dann wie Marion Jones das Gefängnis drohen könnte. Er würde nicht mal zugeben, dass er mal jemandem fünf Mäuse geklaut hat. Eigentlich ist das eine Frage für Lance, aber ich kenne seine Persönlichkeit - er wird in der Sache nie zurückstecken, er wird jeden niedermachen, der sich ihm in den Weg stellt. Wie er das mit Floyd tat, mit Tyler, mit mir.

SZ: Droht dem Radsport durch den renommierten Ermittler Novitzky womöglich die nächste Enthüllungswelle?

Andreu: Eine gute Frage. Vielleicht wird das nur für Lance Armstrong eine Bombe, sie muss ja nicht gleich auch den Radsport wieder erschüttern. Sie sehen es doch hier: Die Tour de France geht weiter, obwohl er nicht mehr da ist.

SZ: Allerdings rollt auch die alte Garde weiter mit, etwa Armstrongs ewiger Teamchef Johan Bruyneel, der ebenfalls schwer belastet wurde, oder Bjarne Riis, der nun Alberto Contador dirigiert.

Andreu: Das stimmt, aber auch solche Dinge werden sich allmählich ändern. Wenn du Probleme mit einer Dopingsache hattest, darfst du ja künftig nicht mehr Teil des Teammanagements sein, das führt der Weltverband neu ein. Und ich bin sicher, dass einige Teamchefs - ich sage einige, nicht alle - inzwischen einen guten Job machen. Weil sie früher, wie auch ich, in einer Position waren, über die sie ihren Leuten heute warnend erzählen können: "Das war alles verrückt und außer Kontrolle, du hattest keine Wahl!" Ich glaube, dass sie jetzt alles tun, was sie können, damit ihre Fahrer nicht in eine ähnliche Situation geraten. Zum Beispiel mag ich jemanden wie Rolf Aldag oder Brian Holm, die beide ihre Geschichte hatten und nun bei Highroad offensiv damit umgehen.

SZ: Die übliche Meinung im Radsport, nicht nur zum Fall Armstrong, ist allerdings: "Alte Geschichten, nicht mehr der Rede wert." Schadet die Aufarbeitung dem Radsport mehr als dass sie nützt?

Andreu: Nein, du musst einfach wissen, wie schlecht es früher war, und was die Gefahren für die Gegenwart sind. Du musst herausfinden, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist, damit es dir nicht wieder passiert. Zumal ich glaube, dass das inzwischen ein anderer Radsport ist. Vor fünf, sechs Jahren fand ich es schwieriger, an ihn zu glauben. Die Kontrollen und vor allem die Haltung haben sich verändert. Natürlich betrügen einige der 200 Fahrer im Peloton weiterhin. Aber man sieht, dass Fahrer, die sich in der Vergangenheit abrackerten, nun weiter nach vorne kommen. Ich will glauben, dass der Grund dafür ist, dass weniger Fahrer dopen.

SZ: Dann könnte Sie vielleicht ein Job als Teamchef bei der Tour reizen?

Andreu: Nein. Fürs Fernsehen mal wieder gerne. Aber die andere Seite, das wäre mir zu viel Druck und zu gefährlich.

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