Er verfolgte, wie Kristina Vogel, die nach ihrem Unfall auf der Bahn im vergangenen Jahr eine Querschnittslähmung erlitt, sich auf ein neues Leben einließ und damit nicht nur das Sportpublikum inspirierte. Er lernte die Berlinerin Elisa Chirino kennen, einst ein großes Turntalent, nach einem Trainingsunfall gelähmt. Und er dachte, so erzählt er es: "Mann ey, das Thema Behinderung wird stiefmütterlich behandelt in Deutschland." Er dachte auch: "Wir fahren immer im Kreis und uns geht's nicht schlecht." Aber im Grunde komme es ja auf mehr an, Förstemann drückt es so aus: "Mal sehen, was in der Welt wirklich abgeht." Im Januar stürzte er beim Bremer Sechstagerennen schwer und kam mit mehreren Brüchen noch ausgesprochen glücklich davon. Da hatte er sich längst entschieden, Kruse zuzusagen.
Das gemeinsame Training hätte Anfang des Jahres beginnen sollen, verzögerte sich aber durch Förstemanns Sturz. Vor den Weltmeisterschaften im März in den Niederlanden hatten sie bloß ein paar Übungseinheiten zusammen absolviert. Sie wurden Siebte. In Tokio wollen sie im kommenden Jahr um eine Medaille fahren. Es gibt also noch viel zu tun.
Im Tandem sind beide Partner am Limit gefordert, die Belastung ist kaum zu vergleichen mit anderen Disziplinen im Para-Sport, in denen ein Guide dem sehbehinderten Athleten den Weg weist. Es kommt auf Feinabstimmung an, Synchronisation, sekundengleiches Aufstehen auf dem Rad. Für Förstemann bedeuten die 1000 Meter zudem längere Belastungszeiten als im Sprint. Bundestrainer Uibel sagt über seinen früheren Athleten, dass er allem Ehrgeiz zum Trotz zuletzt die Erwartungen im Nationalteam nicht mehr habe erfüllen können, dass er technische und taktische Defizite nicht kompensieren konnte, große Kraft nicht mehr in Schnelligkeit umsetzte. Über Förstemanns neues Ziel sagt er: "Das zeigt, dass er wirklich ein Sportler ist." Und Kruse sagt über seinen Piloten: "Er macht sich wirklich gut."
Es gehört nicht nur das Training zu zweit zu den neuen Aufgaben, sondern zum Beispiel auch der Weg dahin. Im Auto, erzählt Kruse, bitte ihn Förstemann noch manchmal aus Gewohnheit, für ihn nachzuschauen, ob die Straße frei ist. "Dann lacht man sich halb tot", sagt Kruse: "Er hat keine Vorurteile, er geht mit gesundem Menschenverstand da ran."
Und so spricht Robert Förstemann, der für seine großen Oberschenkel berühmt wurde, neuerdings von Inklusion. Er sagt, er wolle etwas bewegen für den paralympischen Sport, mehr Aufmerksamkeit schaffen. Im olympischen Nationalteam soll er in Lehrgängen noch als Ratgeber für die Jungen dabei sein, bei Weltcups darf er allein nicht mehr starten, bei Sechstagerennen fährt er weiterhin als Solo-Sprinter, neulich in Manchester wurde er Fünfer von sechs. Das helfe ihm, um in Form zu bleiben, sagt er. Auch dort, bei den Veranstaltungen, die das Radsportpublikum anziehen, will er dafür werben, Tandems ins Programm zu integrieren. Am liebsten in Berlin, wo er mit Kruse trainiert.
Wenn ihn noch mal jemand fragen sollte, ob es das jetzt war mit seiner Karriere, dann hat er überzeugende Argumente dagegen. "Ich habe 17 Jahre lang für mich alleine gekämpft. Jetzt haben wir ein gemeinsames Ziel. Wenn ich einen scheiß Tag habe, dann haben wir den jetzt gemeinsam." Robert Förstemann sagt: "Das ist schon 'ne coole Sache."