Radsport:Flämische Dopingtests anno 2007

Die Kokainaffäre um den belgischen Velohelden belegt drei Wochen vor dem Start der Tour de France, in welchem Zustand der Radsport verharrt.

Andreas Burkert

Der Radsport ist in dieser Woche wieder ganz in seinem Element, er strebt sowieso unverdrossen dem Höhepunkt entgegen, der Schleife durch Frankreich, in genau drei Wochen startet die Tour in Brest, in der rauen Bretagne. Es ist die Zeit der Generalproben und Formschliffe, traditionell erfolgen sie bei der Dauphiné Libéré in Südfrankreich, wo auch am Freitag der in seiner Heimat trotz Verwicklung in die Fuentes-Affäre unbehelligte Spanier Alejandro Valverde die Spitze verteidigte. Oder eben bei der Tour de Suisse, die Samstag im Lagnau im Emmental abfährt. Ob die Schweizer nach dem EM-K.o. ihrer Fußballer rasch umschwenken auf die Radveranstaltung, wird sich zeigen. Doch mal ehrlich: Was ist denn schon Dramatisches passiert im Radsport? Eben.

Radsport: Der Sprinter Tom Boonen (links) wurde bei einer Kontrolle im Mai 2007 positiv auf Kokain getestet.

Der Sprinter Tom Boonen (links) wurde bei einer Kontrolle im Mai 2007 positiv auf Kokain getestet.

(Foto: Foto: Getty)

"Ich habe einen Fehler gemacht"

Alles wie immer, sollte man meinen, für ein wenig Aufregung hat ja allenfalls der belgische Frauenschwarm Tom Boonen gesorgt. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Bericht von Het Laatste Nieuws bestätigt, wonach der Sprinter Ende Mai, wenige Tage vor einer Rundfahrt, bei einer Kontrolle positiv auf Kokain getestet worden war. Weil die Droge nach dem Reglement der UCI wie andere Stimulanzien nur im Wettkampf verboten ist, droht dem aktuellen Paris-Roubaix-Champion jedoch weder vom Weltverband noch vom belgischen KBWB eine Strafe. Der Kölner Dopingforscher Mario Thevis hält die Regelung für diskutabel, denn da man durch Substanzen wie Kokain "im Training höhere Leistungen abrufen kann, bin ich auch für den Wettbewerb qualifizierter - deshalb gäbe es Gründe, es auch im Training zu verbieten".

Reagiert haben zumindest die Organisatoren der Tour und der Schweiz-Rundfahrt, sie luden Boonen aus. Er habe eine Vorbildfunktion, sagte Tour-Direktor Christian Prudhomme, "er hat die Integrität der Tour angetastet". Boonens Teamchef bei Quick Step, Patrick Lefevère, will dennoch noch einmal das Gespräch mit der Tour suchen, denn der Sponsor bestehe darauf, "dass Tom bei der Tour fährt".

Dass der namensgebende Finanzier des Teams, das bereits durch zahlreiche Dopingaffären (Johan Museeuw), die Aussagen des deutschen Kronzeugen Patrik Sinkewitz ("bei Quick Step gab es gleich die Rundum-Versorgung . . . , das war systematisches Doping") und einen großen Pressereport über Lefevères dunkle Vergangenheit (ein Prozess ist anhängig) belastet ist, nur am Erfolg und nicht an dessen Hintergründen interessiert ist - das hat die Firma übrigens auch am Tag von Boonens rührender Pressekonferenz ("Ich habe einen Fehler gemacht") belegt: Sie verlängerte den Vertrag mit dem Rennstall unerwartet um drei weitere Jahre.

Keine Erklärung

Die Scheinwelt wird demnach weiterhin üppig alimentiert, auch das Gerolsteiner-Team soll ja bereits einen neuen Sponsor gefunden haben. Über die deutschen Kollegen hat sich Lefevère am Freitag ebenfalls noch ausgelassen, "warum darf Schumacher bei der Tour teilnehmen und Boonen nicht?", fragte er einen belgischen Radioreporter. Der schwäbische Profi Stefan Schumacher war kurz nach seiner Bronze-Fahrt bei der Rad-WM im Oktober angetrunken mit einem Pkw gegen einen Zaun gefahren, ihm wurden Amphetamine im Blut nachgewiesen. Die geringe Konzentration der Stimulanz könne er sich nicht erklären, sagte Schumacher, der keine sportrechtlichen Konsequenzen zu tragen hatte.

Auch Boonen, 27, hat nun in der Vernehmung bei der Polizei ausgesagt, er könne sich nicht erklären, wie das Kokain in seinen Körper gelangt sei. Gut möglich, dass die Justiz, wie zurzeit diskutiert, angesichts derlei abenteuerlicher Erklärungen alsbald eine Haarprobe bei Boonen anordnen wird; somit wäre der mögliche Kokainkonsum der zurückliegenden Monate nachzuweisen.

Dass Boonen, als zweimaliger Roubaix-Sieger und letztjähriger Gewinner des grünen Tour-Trikots längst ein Nationalheld, überhaupt mal kontrolliert wurde, ist offenbar dem flämischen Crossfahrer Tom Vanoppen geschuldet. Er war im Dezember mit Kokain erwischt worden, hatte bei der Polizei von zwei Dutzend Radfahrern erzählt, die ebenfalls koksten - und Boonen als seinen Dealer genannt. Bei einer weiteren Vernehmung, bei der auch Boonen anwesend war, widerrief Vanoppen jedoch dieses Detail seiner Einlassung.

Auf der nächsten Seite: Der flämische Verband reagiert - und warum die Affäre um Boonen nichts wirklich Neues ist.

Flämische Dopingtests anno 2007

Der flämische Verband reagierte trotzdem und kontrollierte seinen Vorzeigeathleten - nachdem Boonen im Jahr 2007 bei insgesamt 757 Dopingtests nicht ein einziges Mal behelligt worden war. Bei der zweiten Kontrolle anno 2008 wurde man dann gleich fündig.

"So etwas kommt in Radsportkreisen häufig vor"

Nicht erst seit Boonens Fall stellt sich die Frage, ob sich mit den zahlreichen Dopern zugleich auch eine veritable Junkieszene im Peloton tummelt. An Kokain ist der Italiener Marco Pantani gestorben, der frühere Giro-Sieger Gilberto Simoni fiel schon zweimal bei Dopingkontrollen positiv mit der Rauschdroge auf, wobei er der Welt 2002 eine Kostbarkeit für das Sammelsurium der besten Ausreden überließ ("Der Tee bei meiner Tante war mit Rohrzucker aus Peru gesüßt").

Und im Doping-Prozess um den Franzosen Laurent Roux vor zwei Jahren beschuldigte dessen Bruder den prominenten Landsmann Laurent Jalabert, durch ihn zum Pot Belge gekommen zu sein, einem Radlerdrink aus Heroin, Kokain und Amphetamin. Auf einer Party habe Jalabert das Gemisch geschluckt, "es war eine von seinem Fanklub organisierte Party. So etwas kommt in Radsportkreisen häufig vor".

Nichts wirklich Neues demnach, und Boonen wird die Ansicht des Schweizer Alpenpanoramas kaum vermissen. Dienstag beginnt die Ster-Elektrotoer-Rundfahrt in Holland. Die Veranstalter haben Boonen eingeladen.

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