Radsport:Es war doch nur Hustensaft

Bradley Wiggins

Gewann fünfmal Gold bei Olympia: der frühere Radprofi Bradley Wiggins.

(Foto: AP)
  • Die nationale Anti-Doping-Agentur in Großbritanien stellt die Ermittungen um ein mysteriöses Medikamentenpaket ein, das unter anderem an Bradley Wiggins ging.
  • Da war nur Hustensaft oder etwas gegen Heuschnupfen, wiegeln die Verantwortlichen ab.
  • Die Affäre geht aber weiter, weil auch Rugby- und Fußballspieler betroffen sind.

Von Johannes Knuth

Lange hatten sie gerätselt und gehofft in Großbritannien, nun ist es amtlich: Bradley Wiggins hat es getan. Er habe sich für die nationalen Hallen-Rudertitelkämpfe im Dezember eingeschrieben, richtete der 37-Jährige jetzt aus. Endlich! Wiggins hatte schon vor fünf Jahren mit dem Sport geflirtet, er streichelte dann aber erst mal die nationale Seele, indem er als erster Brite die Tour de France gewann. Als Zugabe beschaffte er in London olympisches Zeitfahrgold; davor sammelte er vier Olympiatitel auf der Bahn.

Wiggins, mittlerweile zum Sir ernannt, legte seine erste Karriere dann im Dezember 2016 still, er ruderte, um sich fit zu halten. "Und irgendwann", erzählte er nun, "waren meine Werte so gut, dass ich es professionell verfolgte. Vielleicht bin ich etwas verrückt, aber meine Zeiten erzählen das Gegenteil" sagte er: "Ich will herausfinden, wie weit ich es bringen kann. Vielleicht zu einer sechsten olympischen Goldmedaille?"

Sir Brad im Boot, vielleicht sogar bei Olympia 2020 - das war natürlich eine tolle Fährte, auf die sich Englands Gazetten zuletzt stürzten. Und Wiggins kam das schon deshalb gelegen, weil sein Ruhestand bis dahin in etwa so erholsam verlaufen war wie eine Atlantiküberquerung bei Windstärke 16. Hacker hatten enthüllt, dass er als Radprofi dreimal medizinische Ausnahmegenehmigungen für Triamcinolon erhielt, das im Wettkampf verboten ist und leistungssteigernd wirken kann. Angeblich wegen Heuschnupfens. Der Wiggins rein zufällig vor großen Rundfahrten befiel.

Und dann war da dieses ominöse Paket, das 2011 an Wiggins geliefert wurde, während der wichtigen Dauphiné-Rundfahrt. Steckte darin Triamcinolon? Oder bloß Fluimucil, ein Hustensaft, wie Wiggins und sein Team Sky beteuern? Aber warum schickten sie dann einen Boten mit Hustensaft vom britischen Verbandssitz in Manchester bis zum Teambus nach Frankreich, wo der Stoff überall vertrieben wird?

Sky verstrickte sich in diverse Merkwürdigkeiten, irgendwann gelangten sie zu der Erkenntnis, dass man ein ganz bestimmtes Medikament für Wiggins ordern musste (der die Dauphiné auch mit Husten gewann). Belege dafür, dass das Mittel tatsächlich im Paket steckte, habe man leider nicht. Nur auf dem Laptop des Teamarzts, Richard Freeman. Das Gerät sei ihm halt in Griechenland gestohlen worden. Mist! Die britische Anti-Doping-Agentur (Ukad) leuchtete die Vorfälle 14 Monate lang aus, sie stellte die Forschungen vor Kurzem ein, ergebnislos. Ukad könne den Inhalt nicht bestimmen, entsprechende Protokolle fehlten. Sie rüffelte Team Sky - das stets beteuert, seine Überlegenheit speise sich daraus, dass es jedes Detail noch gewissenhafter beachte als der Rest. Wiggins beteuerte, er könne nichts für schlampige Buchhaltung, die Ermittlung sei "für mich und meine Familie die Hölle auf Erden" gewesen. Aber jetzt sei ja öffentlich verbrieft, dass er nie die Anti-Doping-Regeln verletzt habe.

Das ist freilich eine, nun ja, originelle Interpretation. Zum einen umweht den Freispruch die Aura, dass er aus Mangel an Beweisen fiel. Zum anderen spült die Affäre munter neue Details ans Licht. Die britische Daily Mail enthüllte zu Wochenbeginn den Namen jener Firma, die bis zuletzt den britischen Radsportverband belieferte: Fit 4 Sport Ltd. Die offeriert auf ihrer Internetseite "eine große Auswahl an Erste-Hilfe-Produkten - innerhalb von 24 Stunden". Stammkunden seien britische Profiteams, Fußball, Rugby.

Ausnahmegenehmigungen für verbotene Medikamente sind die Regel

Vor sechs Jahren lieferte die Firma auch eine Ladung Testosteronpflaster an das britische Radsportzentrum in Manchester, adressiert an: Verbandsarzt und Sky-Doktor Richard Freeman. Der beteuerte intern, er habe die Pflaster nie bestellt, die Firma müsse die Fracht versehentlich abgesetzt haben, es gebe da auch eine E-Mail. Doch als Verband und Ukad schriftliche Belege verlangten, weigerten sich sowohl Freeman als auch Fit 4 Sport zu kooperieren. Diese Ermittlungen seien laut Medienberichten auch noch nicht abgeschlossen. Der britische Verband teilte am Dienstag mit, man werde sich von dem Zulieferer trennen.

Auch nicht schlecht: Vor Kurzem trat Shane Sutton in einer Dokumentation der britischen BBC auf. Sutton war bis vor einem Jahr technischer Direktor beim Radsportverband, er führte Wiggins einst zum Tour-Sieg. Das Narrativ von Team Sky, damals wie heute, bei Wiggins' Nachfolger Chris Froome: marginal gains. Als Sutton nun gefragt wurde, ob diese kleinen Gewinne auch bedeuten, Ausnahmegenehmigungen für verbotene Medikamente zu erlangen, wenn ein Athlet nicht fit sei, sagte Sutton: "Ja, denn die Regeln erlauben das."

Der mutmaßliche Dopingarzt behandelte auch Fußballprofis

Und dann ist da noch die Rolle von Ukad, der Anti-Doping-Behörde, und ihrer Leiterin Nicole Sapsted. Als ARD und Sunday Times vor zwei Jahren kurz davor waren, Versäumnisse im Anti-Doping-Kampf zu entblättern, schrieb Sapsted an das Nationale Olympische Komitee: "Wir tun alles, was wir können, um den Fokus auf die positiven Nachrichten zu richten. Das Letzte, was wir wollen, ist eine Story, die den Countdown für die Spiele in Rio beeinträchtigt." Das Timing der Mail sei etwas unglücklich gewesen, verteidigte sich Sapsted später. Unglücklich?

Im April 2016 enthüllten Recherchen dann, dass der mutmaßliche britische Dopingarzt Mark Bonar auch Fußballprofis behandelte, und Rad-Amateure wie Dan Stevens. Stevens wurde positiv getestet, bot sich Ukad als Informant an, um seine Strafe zu beschneiden. Er könne mehr als 100 Namen liefern, darunter "69 mit Sportbezug und einige Berühmtheiten". Ukad blieb untätig, Stevens ging zur Presse. Und nicht nur jenseits der Insel fragen sich längst viele Beobachter, wie eine Anti-Doping-Agentur so verlässlich die aufklärerischen Kräfte verlassen, wenn sich heimische, seit Jahren reich dekorierte Heroen im Gestrüpp des Verdachts verheddern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: