Radsport:Ein riskanter Sprung

Marco Brenner zählt zu den Nachwuchshoffnungen. Der 18-Jährige ist zu den Profis gewechselt - wird schon mit Jan Ullrich verglichen.

Von Christian Bernhard

Die Bretagne, Stuttgart, Erfurt, Augsburg und die Schweiz: Marco Brenner hat zuletzt sehr viele Autokilometer zurückgelegt, um dann sehr viele Radkilometer abzuspulen. Vergangene Woche fehlten dem Augsburger bei der Europameisterschaft im französischen Plouay als Zweiter nur 3,5 Sekunden zu Gold im Junioren-Einzelzeitfahren. Im Straßenrennen fuhr er einen Tag nach seinem 18. Geburtstag auf Rang vier. Nach einer sechzehnstündigen Autofahrt mit Übernachtung in Stuttgart trat Brenner noch am selben Wochenende bei einem Bundesligarennen in Erfurt an - und gewann es. Und gerade bestreitet er mit der Junioren-Nationalmannschaft eine dreitägige Rundfahrt in der Schweiz.

Brenner ist eine der großen Nachwuchshoffnungen. Seine größte Stärke sei, "dass er ein Allrounder ist", sagt Wolfgang Ruser. Der Junioren-Bundestrainer vergleicht ihn mit dem früheren Junioren-Weltmeister Lennard Kämna, der aktuell bei der Tour de France fährt. Dort, auf der ganz großen Bühne, will auch Brenner bald fahren. "Geringes Körpergewicht, sehr gute Wattwerte, sehr gute Sauerstoffversorgung, sehr schnelle Regenerationsfähigkeit, gute Rennübersicht" - für den Bundestrainer bringt Brenner das gesamte Paket mit. Für Ruser steht jetzt schon fest: "Marco ist ein Rundfahrtsiegertyp."

Marco Brenner (GER) - Aktion/Rennszene - Querformat - quer - horizontal - Event/Veranstaltung: Strassen Rad WM Yorkshire; Radsport - Marco Brenner

„Ich denke, dass ich dem Ganzen gewachsen bin“: Marco Brenner, 18, ist der jüngste Fahrer mit einem Vertrag in der Pro- oder WorldTour.

(Foto: Imago Images/Mario Stiehl)

Für Patrick Moster ist Brenner "eines der größten Talente im Straßenradsport der letzten zehn Jahre". Der Leistungssportdirektor beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) sagte der Augsburger Allgemeinen: "Man muss bei Jugendlichen vorsichtig sein, aber wenn Marco so weitermacht, dann kann er sich mit 25, 26 sicher in der Weltklasse etablieren."

Brenners Bestrebungen in diese Richtung waren schon früh zu erkennen. Bereits bei seiner Einschulung verkündete er, dass er Radprofi werden wollte. Sein Vater Christian fuhr Rennen, und da seine Mutter Sabina Italienerin ist, war die Familie regelmäßig in Italien, wo Marco schon als Siebenjähriger seine ersten Straßenrennen bestritt. Auch sein jüngerer Bruder Mauro ist Radsportler. "Der Tagesablauf richtet sich bei uns nach dem Radsport", erzählt Brenner, der in Deutschland seit Jahren seine Nachwuchsklassen dominiert. Knapp 100 Jugendsiege konnte er schon feiern. 2019 sicherte er sich den dritten Platz bei der Junioren-Weltmeisterschaft in Großbritannien.

Im Juni unterschrieb Brenner einen Profivertrag beim deutschen Team Sunweb und wurde damit zum jüngsten Fahrer, der je einen Vertrag in der Pro- oder WorldTour unterschrieb. Da Brenner damals noch minderjährig war, musste auch sein Vater unterzeichnen. "Ich mache mir deshalb keinen großen Druck, weil ich weiß, was ich kann", sagt er. "Ich denke, dass ich dem Ganzen gewachsen bin." Junioren-Bundestrainer Ruser spricht von einer "sehr riskanten Sache", die U23-Kategorie zu überspringen und direkt zu den Profis zu wechseln. Brenner habe nicht die Klasse eines Remco Evenepoel (Belgien), der diesen Schritt vor zwei Jahren wagte und als Jahrhunderttalent gilt. Ruser traut aber auch dem Augsburger einiges zu. Brenner müsse sich in seinen ersten zwei Profi-Jahren "ein bisschen unterwerfen" und für die anderen fahren, sagt der 60-Jährige, "dann wird er seinen Weg gehen."

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Marco Brenner.

(Foto: Imago/Mario Stiehl)

Die Grundlagen dafür sind vorhanden. Aufgrund seiner sehr guten physiologische Voraussetzungen wurde Brenner in der deutschen Radsportszene schon als nächster Jan Ullrich gehandelt. Sein maximales Sauerstoffvolumen soll höher sein als jenes von Ullrich im gleichen Alter. "Das ist schon eine gute Voraussetzung", sagt Brenner, den solche Vergleiche eher anspornen als hemmen: "Wenn man das Training gut daran anpasst, kann das schon was werden."

Bereits zu spüren bekommen hat er die dunklen Seiten seines Sports. Im April kollidierte Brenner bei einer Trainingsfahrt rund um Augsburg mit einem Traktor und zog sich eine 15 Zentimeter lange, bis zum Knochen reichende Wunde am Schienbein zu. "Das hätte viel schlimmer ausgehen können", erzählt Brenner, der glücklicherweise mit dem Kopf ausweichen konnte. Er passt seitdem im Training noch besser auf, guckt jetzt lieber zweimal. Im Rennen habe er sich dadurch aber nicht verändert: "Wenn ich in einer Abfahrt durch etwas mehr Risiko Zeit gut machen kann, mache ich das trotzdem." Er ist kein nachdenklicher Typ: "Wenn man sich zu viele Gedanken macht, fliegt man schon." Die zahlreichen schweren Stürze, die den Profiradsport zuletzt überschattet haben, beschäftigen ihn zwar, aber aus Selbstschutz nur bis zu einem gewissen Punkt. "Man muss sich schon bewusst sein, was man macht", sagt Brenner, "aber im Rennen blendet man es aus."

Vor vier Wochen ereilte ihn die tragische Nachricht, dass sein Teamkollege Jan Riedmann an den Folgen eines Trainingsunfalls in Mittelfranken verstarb. Brenner war mit Riedmann befreundet, seine Familie hatte den 17-Jährigen und dessen Zwillingsschwester öfters mit zu Radrennen genommen. Marco Brenner hätte Riedmann gerne den Sieg bei der Europameisterschaft gewidmet. Womöglich kann er dies dann schon bald bei den Profis tun.

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