Radsport:Düsternis über Klein-Paris

Radsport: "Ich wollte immer eine vorbildliche Rolle im Peloton einnehmen": Der 32-jährige Portugiese André Cardoso, der bei einer Trainingskontrolle positiv auffiel.

"Ich wollte immer eine vorbildliche Rolle im Peloton einnehmen": Der 32-jährige Portugiese André Cardoso, der bei einer Trainingskontrolle positiv auffiel.

(Foto: Philippe Lopez/AFP)

Kurz vor dem Auftakt der Tour de France in Düsseldorf wird der Portugiese André Cardoso positiv auf Epo getestet. Der Fall erinnert daran, wie schwer sich die Branche noch immer mit ihrer Erneuerung tut.

Von Johannes Knuth, Düsseldorf

Regen und Wolken waren am Mittwoch nach Düsseldorf gekrochen, als wollte das Wetter die Vorfreude ein wenig dämpfen, die sich zuletzt über die Stadt gelegt hatte. Düsseldorf trommelt ja seit Tagen für die Tour de France, die am Samstag zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder in Deutschland beginnt. Der öffentliche Nahverkehr ist nahezu lückenlos beworben, in U-Bahnen, Bussen, Straßenbahnen. Sogar auf Müllautos. Knapp eine Million Gäste könnten kommen, wenn das Wetter mitspielt (was wohl eher nicht geschieht), 13 Millionen Euro beträgt das Budget, acht Millionen Euro wollen die Veranstalter einnehmen. Ein teurer Spaß, aber das moderiert Düsseldorfs radsportbegeisterter Oberbürgermeister Thomas Geisel routiniert weg. Die Tour zu Gast in Klein-Paris mit seinen Shoppingfestungen und Rheinpromenaden, dieses Bild möchten sie zeichnen. Nebenbei soll das Wochenende ein Fanal des Aufbruchs sein, rund zehn Jahre nachdem der deutsche Radsport um Jan Ullrich im Dopingmorast versank.

Diese Aufbruchstimmung könnte sich nun allerdings verflüchtigen, trotz aller Anstrengungen der Düsseldorfer. Am Dienstagabend war durchgesickert, dass der Portugiese André Cardoso bei einer Trainingskontrolle am 18. Juni mit Erythropoetin (Epo) erwischt worden war, einem Klassiker des Ausdauerbetrugs. Es folgte der bekannte Dreiklang: Der Radsport-Weltverband UCI pflanzte die Meldung in die Welt. Cardosos Team Trek-Segafredo teilte in einer von Zerknirschtheit getränkten Botschaft mit, man habe den Fahrer suspendiert, "im Einklang mit unserer Null-Toleranz-Politik". Und Cardoso beteuerte seine Unschuld. Er habe nie illegale Substanzen genommen und sei am Boden zerstört.

Die UCI setzt im Doping-Kampf auf den biologischen Pass. Aber manche Experten sind skeptisch

André Cardoso hat auf der Radsport-Tournee eine bislang eher unauffällige Karriere verlebt. Er stieg vor elf Jahren in den Profibetrieb ein, in seiner Personalakte sind ein neunter Platz bei der Algarve-Rundfahrt 2006 vermerkt, dazu ein Etappensieg bei der Portugal-Rundfahrt 2011. Sieben Mal wirkte er unauffällig am Giro d'Italia und an der Vuelta mit, die 104. Frankreich-Schleife wäre seine erste gewesen, mit 32 Jahren. Sein Team Trek-Segafredo, das auch den deutschen Klassiker-Fachmann John Degenkolb beschäftigt, hatte Cardoso vor der Saison verpflichtet, er sollte dem Spanier Alberto Contador bei der Tour zuarbeiten. Contador ist nach zwei Tour-de-France-Siegen und einem zweijährigen Dopingbann mittlerweile von seiner alten Edelform entfernt, für die diesjährige Ausgabe hatte er sich aber noch mal Außenseiterchancen ausgerechnet, hinter dem dreimaligen Titelträger Chris Froome, Großbritannien.

Cardoso schwante unterdessen, welche Wucht die Kunde von seiner positiven A-Probe entfachen würde. "Mir ist bewusst, dass diese Nachricht eine dunkle Wolke über mich, unseren Sport und meine Teamkollegen bringt", teilte er mit. Er habe während seiner Laufbahn ja miterlebt, wie schwer der Pharmabetrug seinem Sport in der vergangenen Dekade zugesetzt hatte: "Ich wollte deshalb immer eine vorbildliche Haltung im Peloton einnehmen." Das passt irgendwie nicht recht zu einem digitalen Schnappschuss, der Cardoso zuletzt bei einer Trainingsausfahrt mit Landsmann Sergio Ribeiro zeigte. Ribeiro war 2013 für zwölf Jahre gesperrt worden wegen Epo-Dopings und Anomalien in seinem Blutprofil. Aber Cardoso wähnte sich trotzdem im Glauben, dass seine B-Probe ihn "so schnell wie möglich" entlasten werde. "Bis dahin hoffe ich", schrieb er, "dass mich meine Kollegen und Fans nicht zu schnell verurteilen". Und jetzt?

UCI-Präsident Brian Cookson hatte in einem Interview mit dem Portal Cyclingtips zuletzt die Anti-Doping-Politik seines Verbandes verteidigt. Der biologische Pass, der bei auffälligen Blutwerten der Fahrer ausschlage und weitere Tests nach sich ziehe, sei eine scharfe Waffe, gegen zwei Fahrer werde deshalb akut ermittelt. Die Fälle werde man "im nächsten Monat oder so" veröffentlichen. Das war am 15. Juni, drei Tage vor Cardosos Test. Cookson deutete das jedenfalls als Zeichen, dass der biologische Pass wirke. Was Dopingexperten anzweifeln. Fahrer mit entsprechenden Ressourcen seien nach wie vor in der Lage, sagen sie, ihre Werte in unverdächtigen Regionen zu halten. Übrig blieben die Helfer, die sich derartige Expertise nicht leisten können. Vor Cardosos positiver Probe waren zwei Profis aus einem kleinen italienischen Radteam enttarnt worden, vor dem Giro im Mai. Die Nationale Anti-Doping-Agentur erinnerte am Mittwoch daran, dass Radsport nach wie vor auf Platz vier der Sportarten mit den meisten Dopingfällen rangiere: hinter Bodybuilding, Leichtathletik, Gewichtheben.

Viele frühere Radprofis sind in Düsseldorf dabei. Nur einer ist nicht eingeladen: Jan Ullrich

Nebenbei lässt Cardosos Fall auch Rückschluss darauf zu, wie schwer sich der Radsport noch immer mit der Erneuerung tut. Auch in seinem Team haben manche Unterschlupf gefunden aus jener Generation, in der ohne Doping nicht viel zu holen war. Sportdirektor Alain Gallopin etwa, der in den skandalumwehten Teams CSC und Astana als Sportdirektor arbeitete. Oder der Italiener Ivan Basso, einst einer der bekanntesten Kunden des Blutpanschers Eufemiano Fuentes und für zwei Jahre gesperrt. Oder Steven De Jongh, der zugab, zwischen 1998 und 2000 "ein paar Mal" mit Epo gedopt zu haben, deshalb 2012 als Sportdirektor beim britischen Team Sky zurücktrat. Während viele dieser früheren Recken am Wochenende wieder dabei sind, wurde ein anderer vom Tour-Veranstalter ASO gar nicht erst eingeladen: Jan Ullrich, Deutschlands gefallener Tour-Sieger. Er wolle am Rand der zweiten Etappe in Korschenbroich auftreten, teilte er mit.

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