Süddeutsche Zeitung

Radsport:Diesel schlägt Elektro

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Bei der 105. Auflage der Flandern-Rundfahrt gelingt dem Dänen Kasper Asgreen das kaum Vorstellbare: Im Zielsprint bezwingt er den Favoriten Mathieu van der Poel. Für dessen Mannschaft kommt der Erfolg zu einem wichtigen Zeitpunkt.

Von Jean-Marie Magro, München

Das Rennen schien in diesem Moment gelaufen zu sein: 17 Kilometer vor dem Ziel lancierte Mathieu van der Poel eine seiner gefürchteten Attacken. Mit einem Mal trat der Niederländer mit solch einer Gewalt in die Pedale, dass man sich mehr Sorgen um das Kopfsteinpflaster des Oude Kwaremont, dem vorletzten Anstieg des Rennens, machen wollte als um van der Poel selbst. Und damit - so wirkte es zumindest im ersten Augenblick - schüttelte van der Poel auch seine härtesten Kontrahenten ab: den Belgier Wout Van Aert, mit dem er eine Rivalität seit Jugendtagen teilt, und den dänischen Meister Kasper Asgreen. Van Aert, einer der Favoriten bei der 105. Ausgabe der Flandern-Rundfahrt, fiel als erster zurück. Doch Asgreen, einer der besten Rouleure des Pelotons, fand den Weg zurück in den Windschatten des großen Favoriten - ehe er ihn auf der Zielgeraden bezwang.

Kasper Asgreen ist ein Fahrer, der häufig eigene Interessen zurückstellt zugunsten seines Teams, die Deceuninck-Quick-Step-Equipe. Sein Gesicht erinnere ein wenig an Rowan Atkinson, den Darsteller des tollpatschigen Mr. Bean, schreibt die französische Sportzeitung L'Équipe. Er hatte vergangene Woche zwar den E3-Klassiker in Harelbeke gewonnen, doch im Vergleich zu den Stars der Szene, den Van Aerts, van der Poels und auch Julian Alaphilippe, den Weltmeister aus Asgreens Team, war der 26-Jährige ein Außenseiter.

Van der Poel und Van Aert dominieren zudem seit Jahren im Winter den Querfeldeinsport. Binnen ein paar Sekunden beschleunigen sie auf unglaubliche Weise. So ähnlich wie ein Auto mit Elektroantrieb. Asgreen hingegen ist ein Straßenfahrer der alten Zunft. Ein formidabler Zeitfahrer, der auf der Ebene über Stunden ein hohes Tempo halten kann, wie ein Diesel. Er kann zwar die schnellen Beschleunigungen nicht mitgehen, aber einbrechen tut er nie.

Es war also keine Überraschung, dass Asgreen auf dem Flachstück nach dem Oude Kwaremont van der Poel wieder einholte. Der Rennstall des Dänen dominiert seit Jahren die Klassiker, seit 2019 ging mehr als jedes dritte Rennen mit Kopfsteinpflasterpassagen an einen Fahrer der belgischen Mannschaft mit dem polarisierenden Sportdirektor Patrick Lefevere. Die Fahrer der Equipe haben sich selbst den Spitznamen "Wolfpack" verpasst. Selbst wenn in ihren Reihen nicht der größte Favorit fährt, so legen sie sich das Rennen (und ihre Beute) meist so zurecht, dass am Ende häufig genug einer aus dem Rudel gewinnt. So auch dieses Mal.

Asgreens Teamchef war zuletzt sogar mit dem Eigentümer der deutschen Bora-Hansgrohe-Auswahl aneinandergeraten

Schon in den ersten Hellingen, den kurzen, knackigen Anstiegen mit Kopfsteinpflasterabschnitten, schlug Deceuninck-Quick Step ein derart hohes Tempo an, dass Van Aerts und van der Poels Teamkollegen den Anschluss verloren. Die Alphatiere des Pelotons mussten die Ausreißer nun selbst einfangen, das schwächte sie vor dem großen Finale immer mehr. So wurde am Ende das schier Undenkbare wahr.

Asgreen wechselte sich mit van der Poel auf den letzten Kilometern in der Führungsarbeit immer wieder ab. Ein großer Fehler, dachten viele Experten. Van der Poels Antritt auf der Zielgeraden ist in der Szene ja gefürchtet, auf kurze Distanz könnte er mit der Energie, die er in die Pedale feuert, ein Waffeleisen zum Laufen bringen. Französische Sportjournalisten, die gerne noch mal einen Tick martialischer sind, verglichen den Dänen mit jemandem, der seinen Leichensarg mit sich schleppe. Doch auf dem letzten Kilometer, der schnurstracks geradeaus ins Ziel nach Oudenaarde führt, verhielt sich Asgreen äußerst geschickt. Er ließ van der Poel nach vorne - und setzte seinen Sprint dann sehr früh an.

Van der Poel versuchte, sich zu wehren; er lag bis zu den letzten 50 Metern noch Kopf an Kopf. Doch dann schien er zu merken, dass Asgreen nicht langsamer wurde - und seine eigene Batterie am Ende war. Fassungslos schüttelte er den Kopf und brach den Sprint ab. Der Diesel triumphierte. Für van der Poel ist die Niederlage schmerzhaft. Der Enkel von Raymond Poulidor und Sohn von Adrie van der Poel, von zwei einstigen Rad-Größen also, hätte den Vater nach seinem Sieg im Vorjahr übertrumpfen können: Zwei Siege bei der Flandern-Rundfahrt, das hat nicht einmal der große Adrie geschafft.

Kasper Asgreen wiederum ist der zweite Däne nach Rolf Sörensen 1997, der den bedeutenden Eintagesklassiker gewann. Für seinen Arbeitgeber kommt der Sieg zu einem passenden Zeitpunkt: Sportdirektor Lefevere sucht mal wieder nach Sponsoren, damit er seinen Rennstall im kommenden Jahr weiter betreiben kann. In den vergangenen Tagen hatte das sogar zum Krach geführt zwischen Lefevere und Ralph Denk, seinem Kollegen aus Raubling. Denk, der die deutsche Mannschaft Bora-Hansgrohe managt, hatte sich für das belgische Ausnahmetalent Remco Evenepoel interessiert, der bei Lefevere unter Vertrag steht.

Lefevere behauptete in einer Zeitungskolumne zuletzt, Denk habe Evenepoel sowie weiteren Fahrern seiner Mannschaft Angebote unterbreitet, was derzeit nicht erlaubt ist. Denk wolle sogar den kompletten Rennstall aufkaufen. Denk wies die Vorwürfe als "lächerlich" zurück: Zwei Teams zu besitzen, erlaubten die Statuten des Radsport-Weltverbands ja gar nicht. Kasper Asgreen muss sich deshalb jedenfalls nicht den Kopf zerbrechen: Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Lefevere keine Sponsoren finden sollte: Einen Diesel kann man im Straßenradsport immer gebrauchen.

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