Süddeutsche Zeitung

Radsport:Die Fernfahrer

Lesezeit: 3 min

"Alles Low Budget": Oberbayerische Extrem-Mountainbiker gründen ein eigenes Team, um etwas professioneller zu arbeiten.

Von Christoph Leischwitz

Am Donnerstag ist Julian Philipp 63 Kilometer gefahren, auf 2500 Höhenmeter verteilt. Zeit, sich auszuruhen, hatte er danach nicht. Der Extrem-Mountainbiker musste sich erst einmal um das Zelt kümmern, das sie im Start-Ziel-Bereich für die Sponsoren aufgebaut hatten. Danach ging es ins angemietete Apartment, zum Kochen und Wäsche waschen. Möglichst viel Kohlenhydrate, "Reis, Thunfisch, Gemüse", sagt Philipp. Und eine gründliche Vorwäsche, denn am Freitag stand schon die nächste Etappe an. Zweiter war er zum Auftakt der Alpentour Trophy in Schladming geworden, "bei den alten Säcken" wie der 42-Jährige sagt. Und auch am zweiten Tag landete er auf Platz zwei - trotz der geringen Zeit, zwischendurch mal die Beine hochzulegen, so wie viele andere es machen. "Alles ist Low Budget bei uns, alles in Eigenverantwortung."

Sein Team Rocklube gründete sich 2018, und zusammengetan haben sich die Mountainbike-Marathon-Spezialisten, weil sie dadurch alle ein kleines bisschen professioneller arbeiten können in einer Randsportart, in der sich trotz Topleistungen kein Geld verdienen lässt. Sie wohnen recht weit verstreut, Philipp in Markt Indersdorf nördlich von Dachau, der beste der vier Fahrer, Andreas Seewald, in Lenggries. Trainer ist Björn Kafka, der Bücher über Fitness und Radfahren schreibt, er lebt in Unterföhring. Sponsoren und Ausrüster gibt es natürlich. "10 000 bis 15 000 Euro mehr pro Jahr wären gut, um wirklich Profi zu sein", sagt Philipp, der auch als Teammanager fungiert. Mit dem Geld könnte man beispielsweise einen Mechaniker oder Betreuer bezahlen. Um nach einem Rennen die Füße hochzulegen, statt den Team-Haushalt zu schmeißen.

"Mein Leben ist ziemlich durchgetaktet", sagt Philipp, aber er wolle das auch genau so. Er ist selbständiger Softwaretester, arbeitet meistens projektbezogenen für verschiedene Auftraggeber. Seine Jobs sucht er auch danach aus, ob der Arbeitgeber eine Dusche im Büro hat - denn selbstverständlich kommt Philipp immer mit dem Rad zu Arbeit. Die größte Herausforderung aber sei es, das Sportlerleben und das Familienleben unter einen Hut zu bekommen. Acht bis zehn Stunden müssten es schon sein, sagt er, und da ist die Zeit für PR noch nicht mit drin. Deshalb fährt er zum Beispiel gerne am Wochenende um 4.30 Uhr los auf eine 100-Kilometer-Tour, und um neun Uhr steht er dann mit den Semmeln in der Küche. Philipp sagt, er habe eine perfekte Tour herausgearbeitet: Einmal um München, und komplett, ohne einen einzigen Weg mit Autos teilen zu müssen. 2019 ist er schon 7500 Kilometer gefahren.

Nicht weniger Kilometer dürften es bei Teammitglied Andi Seewald sein, und das nicht nur, weil er 15 Jahre jünger ist. Er fährt auch mal Touren von bis zu sechseinhalb Stunden. Der 27-Jährige ist mit Abstand der erfolgreichste Fahrer des Teams. Im vergangenen Jahr wurde er bei der Mountainbike-Marathon-WM in Auronzo di Cadore Achter. "Da hatte ich keinen guten Tag, ein Wochenende später hätte ich das Ding gewonnen", sagt er. Aktuell ist er Sechster der Weltrangliste, mit Abstand der beste Deutsche. Und der Hoffnungsträger dafür, dass man zusätzliche Sponsoren gewinnt.

Dafür geht Seewald schon seit Jahren in Vorleistung. Der gelernte Elektrotechniker arbeitete zwischenzeitlich nur in Teilzeit, eine Weile finanzierte er sich aus Ersparnissen und von Preisgeldern. Dabei ist er Seiteneinsteiger. Ursprünglich war er in Gaißach im Skiklub, Radfahren war das Konditionstraining im Sommer. Irgendwann stellte er fest: Je länger die Strecken, desto mehr kann er seine Stärken ausspielen. 2016 fuhr er ein Rennen am Himalaya mit, 556 Kilometer, 15 000 Höhenmeter. Er gewann, der Dalai Lama gratulierte.

In Wochen ohne Wettkampf trainiert Seewald fünfmal, "sechs Stunden bei 200 Watt, wenn es mal nur zwei Stunden sind, dann Richtung 300", sagt er. Ein 75 Kilo schwerer Mann kommt mit 200 Watt Leistung auf einem Rennrad ohne Gegenwind auf knapp 30 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Bei 300 Watt auf gut 34 km/h. Seewald tritt das stundenlang.

Seit Anfang Juni macht er die Grundausbildung bei der Bundeswehr, das sichert die Existenz schon deutlich besser ab. Weshalb er allerdings in Schladming, einem der wichtigeren Rennen des Jahres, nicht dabei sein kann. "Aber wir sind auch so ein Podiumsgarant", sagt Philipp. Das Team tritt in verschiedenen Kategorien und Altersklassen an. Zum Saisonauftakt Anfang Mai am Gardasee gab es gleich drei Plätze auf dem Treppchen. Die guten Platzierungen tragen dazu bei, dass sich die Fahrer für weitere Rennen der Union Cycliste Internationale qualifizieren. Es läuft gut für das Low-Budget-Team.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4479691
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.