Radsport:Die Farbe Pink

Radsport: Vielleicht eine der wichtigsten Medaillen in der Karriere von Miriam Welte (l.): Bei der EM in Glasgow sicherte sie sich im Teamsprint Bronze mit der neuen Partnerin, der 20-jährigen Emma Hinze.

Vielleicht eine der wichtigsten Medaillen in der Karriere von Miriam Welte (l.): Bei der EM in Glasgow sicherte sie sich im Teamsprint Bronze mit der neuen Partnerin, der 20-jährigen Emma Hinze.

(Foto: Andy Buchanan/AFP)

Bahnradfahrerin Miriam Welte gewinnt mit ihrer neuen Partnerin Emma Hinze Bronze bei der EM in Glasgow. Allgegenwärtig bleibt jedoch der Unfall von Kristina Vogel. Welte widmet ihr den Erfolg.

Von Volker Kreisl, Glasgow

Miriam Welte ist Polizistin, somit kennt sie den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Vorstellung. "Wenn man zu einem Unfall kommt, und man sieht das Ausmaß der Verletzungen nicht selber, dann ist das gleich was anderes", sagt sie. Echte Schreckensbilder zu verarbeiten dauere länger als das Erzählte, und vielleicht steht Miriam Welte auch deshalb nun mit einer Bronze-Medaille da.

Die hat die Bahnradsprinterin Welte am Freitag gewonnen, zum Auftakt der Europameisterschaften in Glasgow, sechs Wochen, nachdem ihre vier Jahre jüngere Teampartnerin und Freundin Kristina Vogel beim Training schwer verunglückt war. Zwölf Jahre lang hatte sie mit ihr trainiert, war mit ihr für die Jagd nach Medaillen um die Welt gereist - aber als sich Vogel im Training bei einem extremen Sturz die Wirbelsäule schwer verletzte, da war Welte nicht dabei, sondern trainierte gerade woanders.

Von Glück zu reden, wäre natürlich falsch, denn Glück ist ja etwas Absolutes, und Welte ist seit Wochen innerlich hin- und hergerissen. Sie konnte sich zwar vor der EM einigermaßen wieder auf ihren Sport konzentrieren, "aber wegen Kristina", sagte sie, "war ich trotzdem traurig". Sie weiß wie alle anderen zwar noch nichts über die genaue Diagnose, aber sie versucht nun eben, positiv an eine Heilung zu denken. Und Welte sah zuletzt zwar ein, dass auch ihr Sport weitergehen müsse, und doch ist dieses alte Immer-Weiter-Dogma "brutal", sagt sie: "Denn die Gedanken an Kristina Vogel sind doch immer dabei."

Welte/Vogel, das ist im Sportdeutsch ein zusammengeschweißter neuer Name geworden

Das Dilemma zwischen Weitermachen und Gebundenfühlen bleibt also, aber Miriam Welte hat es zusammen mit ihrer neuen Partnerin Emma Hinze geschafft, beides zusammenzuführen, und damit ist diese Medaille von Glasgow vielleicht eine der wichtigsten in ihrer außergewöhnlichen Karriere. Die beiden sprinteten am Freitagabend im kleinen Finale zu Bronze, knapp, per Fotofinish. Und natürlich kannten die vielen Bahnrad-Interessierten, die europäischen Rad-Kollegen, die Betreuer und Trainer den Unglücksfall Vogel, sahen aber nicht die kleinen Zeichen, mit denen Welte und Hinze die Verunglückte für sich mit nach Glasgow genommen hatten. Den hashtag "#staystrongkristina" an die Riemen ihrer Pedale, oder das Mini-Handtuch als Nachfolger des alten Welte-Vogel-Glücksbringers, wieder in Vogels Lieblingsfarbe: Pink.

Welte/Vogel, das ist im Sportdeutsch ein zusammengeschweißter neuer Name geworden, wie ihn im Winter zum Beispiel erfolgreiche Doppelsitzer im Rodeln tragen. Nach unzähligen Übungsläufen, Windschattenfahrten, präzise getimten Attacken und gemeinsamen Auftritten auf Siegerpodien wird aus zwei perfekt zusammenwirkenden Bahnradfahrerinnen mehr als eine Kooperation: es entsteht eine neue Einheit.

Welte/Vogel, also die Anfahrerin Welte und die Schlussprinterin Vogel, sind seit Juniorinnentagen zusammen. Einen der ersten größten Erfolge errangen sie beim Weltcup in Cali in Kolumbien mit dem zweiten Platz, vor zehn Jahren. Zwei Jahre später gewannen sie Bronze bei der EM, danach steigerte sich Welte/Vogel zum zeitweise alles beherrschenden Radgespann. 2012 gewannen sie den Teamsprint bei den Olympischen Spielen in London, und dann auch noch die Weltmeister-Titel 2013 und 2014. In Rio 2016 holten sie Bronze, und 2018 wurden sie in Apeldoorn/Niederlande abermals Weltmeisterinnen.

Hinze, die neue Partnerin, wurde 2015 dreimal Juniorenweltmeisterin in Kasan

Welte/Vogel erlebte also nicht einen Karriere-Höhepunkt, sondern einen Karriere-Höhenweg, aber mittendrin hat der Unfall von Cottbus das Paar nun auseinander gerissen. Dass der Sport aber immer weitergehen muss, wird meistens mit dem Beginn der nächsten Olympiaqualifikation deutlich. Und im Falle der Bahnradfahrer erstreckt sich diese Zulassungsphase für die Sommerspiele 2020 in Tokio über zwei Jahre und begann also am Freitag, mit den ersten Entscheidungen bei den Europameisterschaften in Glasgow.

Die Trainer des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) suchten nach einer neuen Partnerin nur kurz, und kamen schnell auf Emma Hinze. Die Hildesheimerin ist zwar erst 20 Jahre alt, hat aber internationale Erfahrungen auf der Bahn gesammelt. Sie gewann diverse Rennen in Deutschland, im Einzel und im Teamsprint, und wurde 2015 dreimal Juniorenweltmeisterin in Kasan. Nun war die Eingewöhnungszeit für dieses bedeutsame Sprintrennen mit ihrer elf Jahre älteren neuen Teamgefährtin Welte zwar kurz, erwies sich aber als effektiv.

Im Halbfinale unterlagen die beiden den Ukrainerinnen, doch das kleine Finale um Bronze gegen die Niederlande, um diese Medaille, die ihnen und dem gesamten BDR so wichtig war, das hatten sie sich richtig eingeteilt: Welte übernahm die Arbeit in der ersten Runde, zog Hinze im Windschatten durch das Rund, und die Jüngere führte den Sprint in der zweiten Runde sicher zu Ende.

Das war übliche korrekte Bahnradfahrer-Arbeit, aber vielleicht gab doch etwas anderes den Ausschlag. Miriam Welte erzählt, sie habe die junge Kollegin eigentlich nicht mit ihren Gedanken über Kristina Vogel belasten wollen, und habe es sich verkniffen, die Verletzte vorab noch einmal zu erwähnen. Dann aber sagte ihr Emma Hinze kurz vor dem Start von selber das, was sich Welte natürlich schon die ganze Zeit dachte: "Wir fahren für Kristina."

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