Radsport:"Die Fahrer denken, sie könnten alles machen"

Armin Meier, Ex-Doper und Chef der Schweiz-Rundfahrt, über das Boonen-Aus und seine Forderung nach mehr Macht für Veranstalter.

Armin Meier, 38, war von 1995 bis 2001 Radprofi - 1998 beim Festina-Rennstall, dessen Dopingsystem bei der Tour de France aufflog. Meier, zweimaliger Schweizer Meister, gab die Einnahme von Epo zu, wurde für acht Monate gesperrt. Seit 2004 ist er Direktor der Schweizrundfahrt, die vorige Woche Kokain-Sünder Tom Boonen auslud, obwohl das Stimunanz nur im Wettkampf verboten ist und der belgische Robaix-Sieger nicht sportrechtlich belangt werden kann. Meier ist Chef der IMG Schweiz, die Agentur organisiert und vermarktet u.a. die Tour de Suisse.

Radsport: Armin Meier ist seit 2004 Direktor der Schweizrundfahrt.

Armin Meier ist seit 2004 Direktor der Schweizrundfahrt.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Meier, Sie haben den Sprinthelden Boonen ausgeladen nach dessen Kokain-Affäre. Hat der neueste Radsport-Skandal dem Rennen geschadet?

Armin Meier: Nein, wir haben wieder viele Leute entlang der Strecke und gute Einschaltquoten im Fernsehen. Wir haben eben schnell entschieden, das war gut. Denn wir denken einfach, dass es nicht positiv für das Image ist, wenn sich ein Athlet vom Format Boonens alles erlaubt - und dann noch denkt, er könne bei uns starten, als sei nichts gewesen.

SZ: Eine rechtliche Grundlage für den Ausschluss gab es allerdings nicht, oder?

Meier: Nein, stimmt, aber das war mir egal. Und wenn Boonen rechtliche Schritte einleiten möchte, schauen wir uns das gerne an. Wir sind aber für das Image und die Finanzierung unseres Events zuständig. Wir bemühen uns darum, dass wir unsere, ich sage mal: Gaststätte in einem ordentlichen Zustand halten. Deshalb haben wir gewisse Rechte, die wir wahrnehmen möchten, auch in Zukunft.

SZ: Sie verlangen mehr Einfluss?

Meier: Ja, wir müssen uns wirklich ansehen, wie der neue Vertrag mit der UCI-ProTour aussieht. Denn für uns steht fest: So, wie es bisher war, dass der Organisator einfach zu allem Ja und Amen sagt und alles akzeptieren muss, werden wir es in Zukunft sicherlich nicht mehr akzeptieren. Wir wollen mitreden.

SZ: Die Tour de France ist ein Einladungsrennen, da sie nicht der ProTour des Weltverbandes UCI angehört. Auch Sie möchten künftig Herr im Haus sein?

Meier: Ja. Ich akzeptiere die 18 ProTour-Teams sowie den größten Teil des UCI-Reglements und die Antidoping-Maßnahmen. Aber wir werden in Zukunft verdächtige Leute durchleuchten - und dann möchte ich Athleten ausladen können, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten. Vor drei, vier Jahren lief vielleicht noch alles wie früher. Aber jetzt ist der Festina-Skandal zehn Jahre her, und gewisse Athleten denken immer noch, sie könnten machen, was sie wollen. Davon habe ich jetzt endgültig genug. Beispiel Boonen: Da denkt einer, er sei Privatperson, wenn er kokst. Und dann im Rennen ist er eine ganze andere Person? Nein, das funktioniert bei mir nicht mehr.

SZ: Das Argument des Privatvergnügens halten ja Boonen und Team Quick-Step aufrecht. Sie sind ein Insider ...

Meier: ...und der sagt Ihnen: Tom Boonen ist ein Vorbild, und dieser Mensch kann sich nicht einfach zweiteilen. Solche Unterschiede zwischen Privatperson und Profi, die Herr Lefevère (Quick-Step-Chef; d. Red.) bei Boonen geäußert hat - das ist für mich völlig unverständlich und überhaupt nicht nachvollziehbar. Ich bewundere Boonen als Athlet, aber sorry, er hat sich auch privat gut aufzuführen. Das ist nun mal die Kehrseite für Ruhm und Erfolg. Der Verdacht ist doch jetzt: Er ist nicht nur privat ein Draufgänger, sondern auch als Athlet.

SZ: Tom Boonen hat kundgetan, jemand müsse ihm das Zeug bei einer Party in den Drink gemixt haben. Der ewige Reflex erwischter Radfahrer?

Meier: Vielleicht meint er wirklich, man müsste so etwas in der kurzen Zeit als Argument bringen, in der man sich zu rechtfertigen hat. Von mir aus. Aber klar war: Er hat Kokain genommen und wurde positiv auf Kokain getestet - und das kurz vor der Tour de Suisse! Das war für mich ausschlaggebend.

Auf der nächsten Seite: Warum andere Veranstalter scheinbar kein Problem mit Boonen haben und die Debatte um Gerolsteiner-Profi Stefan Schumacher.

"Die Fahrer denken, sie könnten alles machen"

SZ: Andere Veranstalter haben kein Problem mit Boonen, er wurde am Dienstag beim Start d Ster-Elektrotoer in Holland herzlich willkommen geheißen.

Meier: Leider wird es wohl schwierig bleiben, Einigkeit unter den Veranstaltern zu erlangen. Wenn sie mit ihm kein Problem haben, kann ich nichts machen. Nicht alle haben eben die gleiche Risikobereitschaft. Dabei ist die Macht der Veranstalter ein Mittel, das der Radsport hat. Ich will hier nicht den Starken herauskehren, aber ich will es nicht länger akzeptieren, dass dies manche Leute zehn Jahre nach Festina immer noch nicht verstehen wollen.

SZ: Sie fuhren 1998 selbst gedopt bei Festina. Gab es jetzt im Feld Vorbehalte gegen ihre strikte Haltung?

Meier: Mir egal, ich stehe zu meiner Vergangenheit, ich habe mich zu meinen Vergehen bekannt und meine Strafe abgesessen. Jetzt arbeiten wir eng mit dem Schweizer Verband im Anti-Doping zusammen. Ich wüsste also nicht, warum ich nicht das Recht hätte, gegen solche Leute vorzugehen. Soll ich sagen: Ich habe gedopt, also unterstütze ich jetzt weiter die Jungs, die dopen? Das wäre komplett falsch. Mein Auftrag heute ist ein anderer. Vor zehn Jahren sollten wir Rennen gewinnen, egal wie. Heute will ich das Rennen sichern.

SZ: Erschüttert es Sie nicht, dass der Radsport seit Festina nichts gelernt hat?

Meier: Ich denke schon, dass viele Athleten viel gelernt haben, vor allem die jungen; sie haben eine andere Denke als wir 1998. Aber es braucht eben seine Zeit, bis es auch die Letzten begreifen.

SZ: Die UCI spricht von rund 40 offenen Fuentes-Fällen und von etwa zwei Dutzend Fahrern, deren Blutprofil auffällig sind. Haben Sie kein Angst, dass mehrere davon ihrem Feld angehören?

Meier: Ich kann mich nur an Fakten orientieren, nicht an schwammigen Aussagen. Mir wurde von der UCI nichts gesagt, also kann ich nichts unternehmen.

SZ: Deshalb lassen Sie auch das in Frankreich nicht willkommene Team Astana und seinen deutschen Profi Andreas Klöden, der mutmaßlich im Dopingsystem von T-Mobile steckte, starten?

Meier: Logisch, wenn keine Fakten vorliegen und er auch nicht erwischt wird - dann kann ich nichts machen. Wenn mir ein Verband etwas anzeigt, reagiere ich. Boonen war jetzt positiv auf Kokain. Das sind Fakten, da kann ich reagieren.

SZ: Aus dem Feld kommt Kritik, dass Sie Gerolsteiner-Profi Stefan Schumacher dulden, trotz dessen Autofahrt im Oktober nach der WM unter Alkohol- und Amphetamin-Einfluss.

Meier: Den Fall hatte ich gar nicht mehr richtig präsent, aber er wurde halt auch nicht offiziell positiv getestet wie jetzt Boonen. Ich kann auch nicht zehn Jahre zurückschauen und sagen, der hat das gemacht und der andere das...

SZ: ... dann bekämen Sie ja auch kaum noch ein Feld zusammmen! Kokain, Amphetamine, früher der Drogen-Cocktail "Pot Belge" - tummelt sich im Radsport eine echte Junkie-Szene?

Meier: Na ja, es ist doch wohl so wie generell in der Gesellschaft, denn Wirtschaftsmanager unter Kokain finde ich auch eher zweifelhaft. Boonen ist sicherlich nicht der einzige in einer Top-Position unter Kokain. Aber ich bin jetzt wirklich kein Weltverbesserer. Ich versuche nur, die Tour de Suisse zu schützen.

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