Radprofi Julian Alaphilippe:Kleine Zweifel am neuen Entertainer

Radprofi Julian Alaphilippe: Champagner-Dusche für Julian Alaphilippe.

Champagner-Dusche für Julian Alaphilippe.

(Foto: AFP)
  • Der beste Fahrer des Frühjahres gewinnt auch Mailand - Sanremo: Julian Alaphilippe festigt seine Rolle als neuer Hingucker des Radsports.
  • Der Franzose ist Teil des Teams Quickstep-Deceuninck, das sich in diesem Frühjahr weigert zu verlieren.
  • Manche Beobachter finden den Aufstieg von Alaphilippe aber ein wenig zu unbeschwert.

Von Johannes Knuth

Als es fast geschafft war, war Julian Alaphilippe nur noch von einem Gedanken erfüllt - nach fast 300 Kilometern im Sattel, am längsten Tag des Jahres für die Radprofis, der oft binnen Zehntelsekunden entschieden wird. Bloß nicht schon wieder Zweiter werden, dachte Alaphilippe also, nicht schon wieder auf den letzten Metern die Arbeit eines ganzen, langen Tages vergeuden.

Am Wochenende war es mal wieder so weit: La Classicissima stand an, Mailand - Sanremo, das erste der fünf sogenannten Monumente, das nebenbei den Übergang vom Winter in den Frühling symbolisiert (auch wenn es in den vergangenen Jahren gerne mal skandinavisch genebelt und geregnet hatte). Diesmal waren die Bedingungen jedenfalls angemessen pittoresk, und das Finale der 110. Auflage war wieder eines, das der Vorfreude gerecht wurde. Das Peloton rauschte nervös auf Cipressa und Poggio zu, auf die beiden Anstiege, an denen schon manche Schienen für einen späteren Erfolg gelegt wurden.

Die ersten Angriffe verpufften, am Poggio forcierte Alaphillipes Team dann das Tempo - ehe der Franzose attackierte, der bislang stärkste Fahrer in diesem Jahr, der große Favorit. Aber weil Julian Alaphilippe von allen scharf beäugt wurde - so wie Maradona von Italiens Claudio Gentile bei der WM 1982, wie die Gazzetta dello Sport im Vorfeld prophezeit hatte - hingen jetzt noch viele an seinem Hinterrad: Peter Sagan, Michael Kwiatkowski, Matteo Trentin, die Hoffnung der Gastgeber. John Degenkolb dagegen fehlte, der deutsche Sieger von 2015: Ihm war kurz zuvor die Kette rausgesprungen. 300 Kilometer und eine Sekunde, in der alles zerrinnt.

Das Team Quickstep-Deceuninck weigert sich zu verlieren

Die Favoriten machten sich derweil zur Via Roma auf, wo es zum Zielsprint kam. Ein Skript wie gemacht für Sagan, den dreimaligen Weltmeister in den Kleidern der deutschen Bora-hansgrohe-Equipe. Aber der Slowake hatte gerade erst eine Magenerkrankung kuriert, sein gefürchteter Punch war am Samstag bestenfalls zu ahnen. Wieder kein Sanremo-Triumph für den ewigen Favoriten. Und Alaphilippe? Der riss den Spurt und sein erstes Monument fast spielerisch an sich, vor dem Belgier Oliver Naesen und 2017-Sieger Kwiatkowski. Er spüre "einfach eine Explosion der Freude", sagte der Sieger später, man sah das an seinen Tränen, oder als sie die Marseillaise auf der Via Roma spielten. Die schwersten Siege sind ja oft diejenigen, die alle von einem erwarten.

Nebenbei blieb am Wochenende ein bewährtes Frühjahrshoch erhalten: Quickstep-Deceuninck, wie die belgische Equipe des Tagessiegers mittlerweile heißt, weigert sich schlicht zu verlieren. 19 Rennen hat sich das selbsternannte Wolfsrudel in diesem Jahr schon einverleibt, das bislang wichtigste nun durch Julian Alaphilippe, 26, aus Saint-Amand-Montrand. Akkurat getrimmter Bart, funkelnde schwarze Haare, als hätte man die Romanfigur D'Artagnan entwaffnet, einer Intervallfasten-Kur unterzogen und aufs Rennrad gesetzt.

Er ist noch immer ein junger Fahrer nach den Maßstäben seines Sports, einer, "der so fährt, wie er sich fühlt", wie sein Teamchef Patrick Lefevere im vergangenen Sommer im Gespräch erzählt hatte: "An einem schlechten Tag bleibt er im Feld, aber wenn er attackiert, will er gewinnen. Er hat ein sehr jugendliches Charisma, die Franzosen, vor allem die Kinder, lieben das. Er ist sehr direkt, authentisch. Und witzig."

Niemand ist größer als das Team - aber jeder erhält irgendwann seine Chance

Lefevere hatte Alaphilippe so aufgespürt, wie er fast alle Fahrer entdeckt: Er schickte seine Späher los - im Radsport ist das noch immer ein ungewöhnliches Unterfangen - und erhielt eine Liste mit knapp 30 Namen. Einer davon war Alaphilippe, ein erfolgreicher Junior bei den Querfeldein-Fahrern, die mit Rennrädern durch meist unbefestigtes Gelände hetzen. Der junge Franzose bestand alle weiterführenden Tests, man schaue da nicht nur auf die Leistung, sagt Lefevere, sondern auch auf das Mentale. Bei Alaphilippe fiel ihm sofort dieses Wilde, Ungeschliffene auf, auch die Vorliebe für Rock'n'Roll, wenn es um die Musikauswahl im Teambus ging. Der Teamchef wurde nicht enttäuscht. Vor vier Jahren tanzte Alaphilippe den Favoriten bei den Ardennen-Klassikern schon auf der Nase herum, er wurde einige Male Zweiter und ärgerte sich fürchterlich, aber dabei sollte es nicht lange bleiben.

Manche Beobachter fanden seinen Aufstieg bald auch ein wenig zu unbeschwert: Wie Alaphilippe bei der Tour 2018 den leichten Kletterern davonflog und sich das Bergtrikot sicherte. Oder wie er in diesem Frühjahr die schweren Jungs im Sprint bezwang, nun die Klassiker-Haudegen auf der Via Roma, es war schon sein siebter Saisonsieg. Aber unlautere Methoden? Also bitte! Am Samstag habe er während der sechs Stunden viele Kräfte gespart, sagte Alaphilippe, so habe er im schnellen Finale bestehen können, das ihm eigentlich nicht so sehr liegt. Und sonst? "Ich habe sehr von meinen Fehlern gelernt", sagte er, "ich will mich immer im Sport und im Leben verbessern." Sein Teamchef hatte bereits vor einem Jahr erkannt: "Er ist nicht mehr ganz so wild, bereitet sich besser auf die Rennen vor. Er ist wirklich sehr leicht zu betreuen. Aber fährt noch immer mit viel Temperament und zieht sein Ding durch."

Lefevere ist übrigens auch so ein Fall, ein Teamchef aus der alten Schule: Unter seiner Aufsicht soll laut Aussagen früherer Fahrer beim Team Mapei systematisch gedopt worden sein, was Lefevere immer vehement zurückwies. Wenn er über den Erfolg reden soll, erzählt er lieber vom berühmten Scouting seiner Equipe, das schon deshalb überlebensnotwendig ist, weil Quickstep laut eigenen Angaben chronisch klamm ist. Als eines der erfolgreichsten Teams der Zunft wohlgemerkt. Und dann sei da natürlich das Betriebsklima, sagt Lefevere: "Wenn jemand ein großes Ego hat, passt er nicht zu uns." Niemand ist größer als das Team, man sah das wieder am Samstag: Elia Viviani, ihr bester Sprinter, wurde am Poggio abgehängt, weil seine Teamkollegen Philippe Gilbert und Zdenek Stybar an der Spitze für Alaphilippe strampelten. Aber jeder im Rudel bekommt seine Chance, und irgendwann klappt es dann meist auch, wie bei Alaphilippe auf der Via Roma.

Der Radsport hat also einen neuen Champion und Entertainer. Auch wenn manches an die alten Zweifel erinnert.

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