Radsport:Zu Besuch bei einem der bizarrsten Regime der Welt

Radsport: Bereits 2013 fand in Minsk die Bahnrad-WM statt. Im Sommer soll die Bahnrad-EM folgen, während die Welttitelkämpfe 2021 in Turkmenistan steigen.

Bereits 2013 fand in Minsk die Bahnrad-WM statt. Im Sommer soll die Bahnrad-EM folgen, während die Welttitelkämpfe 2021 in Turkmenistan steigen.

(Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Der Radsport plant ein anrüchiges Doppel: Die Bahnrad-EM soll in Belarus stattfinden, die WM in Turkmenistan - das Event in der Hauptstadt Aschgabat ist ein besonderer Tabubruch.

Von Johannes Aumüller

Einige Vertreter des Radsports haben kürzlich mit ein bisschen Stolz auf eine aktuelle Statistik aus der Welt des Dopings verwiesen. Gemäß des Jahresreportes 2020 liegt ihre Sportart nur noch auf Platz acht der Liste mit den meisten Dopingfällen, in den hochklassigen Teams wurden sogar nur drei Athleten erwischt. Der Radsport habe "immer noch ein Problem", aber er sei "nicht mehr das zentrale Tummelfeld, auf dem sich diese Missstände breitgemacht haben", sagte dazu etwa Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).

Nun dürfte eine solche Statistik kaum als Ausweis neuer Sauberkeit dienen: angesichts der Erfahrungen in den vergangenen Jahren und des Zustandes des Kontrollsystems, das traditionell lückenhaft ist und in der Corona-Saison 2020 noch größere Schlupflöcher ermöglichte. Zum anderen gibt es da eine weitere unrühmliche, interdisziplinäre Tabelle, in der der Radsport eine Spitzenposition einnimmt: die Nähe zu den Potentaten dieser Erde. Denn der Radsport plant in diesem Jahr ein besonders anrüchiges Doppel: Im Juni soll die Bahnrad-EM in der belarussischen Hauptstadt Minsk stattfinden - und im Oktober die Bahnrad-WM in der turkmenischen Kapitale Aschgabat, in einem der autoritärsten und bizarrsten Regime des Globus.

Das Event in Turkmenistan ist ein besonderer Tabubruch: Es ist das erste Mal, das eine große Föderation einen seiner Jahreshöhepunkte dort ausrichtet. Seit Jahren monieren Kritiker massiv die Lage in dem von Gurbanguly Berdimuhamedow geführten zentralasiatischen Land. In den üblichen Rankings von Menschenrechtsorganisationen landet Turkmenistan verlässlich in der Nähe von Nordkorea.

Sport spielt für das Regime deshalb, wie in so vielen Autokratien, eine besondere Rolle. Berdimuhamedow ist in Personalunion nicht nur Staats-, Regierungs-, Justiz- und Armee-Chef, er ist auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. 2017 veranstaltete das Land mit viel Prunk die Asian Indoor & Martial Arts Games. Jetzt soll die Rad-WM im 6000 Zuschauer fassenden Stadion von Aschgabat die nächste Möglichkeit sein für eine Selbstdarstellung Berdimuhamedows, der sich rund um das Thema Fahrrad ohnehin gerne inszeniert.

Der Radsport-Präsident greift zur klassischsten aller Funktionärs-Ausreden

Der Rad-Weltverband UCI gewährt ihm die gewünschte Bühne jedenfalls gerne. Kurz nach der Vergabe tat dessen Präsident David Lappartient Kritik daran mit dem klassischsten aller Funktionärs-Argumente ab. "Sport ist Sport. Politische Fragen sollten auf politischer Ebene diskutiert werden", sagte er. Am Dienstag verdeutlichte der Weltverband auf Anfrage, dass sich daran auch nichts ändern werde. Man wolle bei den Großveranstaltungen die geografische Diversität seiner 197 nationalen Mitglieder spiegeln, heißt es; und die politische Situation in einem Land sei im Übrigen kein Grund dafür, eine WM zu entziehen.

Noch vor diesem Event zu Berdimuhamedows Ehren steht ein weiteres umstrittenes Ereignis an: die Bahn-EM in Belarus, wo der Staatspräsident Alexander Lukaschenko und sein Regime mit großer Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vorgehen, um die Proteste gegen die offenkundig gefälschten Präsidentschaftswahlen zu unterdrücken. Für Ende Juni ist die EM vorgesehen, bisher gibt es noch keine Ausweichpläne. Das ist auch deshalb besonders erstaunlich, weil Belarus aufgrund des großen internationalen Druckes zuletzt verschiedene Sportveranstaltungen verlor: die WM im Eishockey ebenso wie die WM im Modernen Fünfkampf.

Bei dem für die Bahn-EM zuständigen europäischen Radsport-Verband (UEC) sieht man hingegen trotz des repressiven Vorgehens des Regimes keinen Handlungsbedarf, sondern verweist auf eine andere Instanz. Da man sich nur mit Sport beschäftige, sagt UEC-Generalsekretär Enrico Della Casa, könne man bestätigen, dass die EM in Minsk wie geplant stattfindet, sofern das Internationale Olympische Komitee (IOC) keine anderen Entscheidungen treffe.

Das IOC hat im Dezember das nationale Olympische Komitee von Belarus sowie dessen Chef Lukaschenko selbst suspendiert. Dies sollte bis zur Neuwahl eines belarussischen NOK-Vorstandes im Februar gelten. Aber was hätte Europas Rad-Verband daran gehindert, Minsk die Veranstaltung zu entziehen, wie es die Kollegen aus dem Eishockey oder dem Modernen Fünfkampf taten?

Es ist nun auch die Frage, wie der deutsche Rad-Verband und seine Verantwortlichen damit umgehen. BDR-Chef Rudolf Scharping gibt sich dieser Tage auf Anfrage ausweichend. Er teile die Einschätzung, dass man "da genau hingucken muss". Das betreffe die internationalen Verbände, aber auch den nationalen Verband mit Blick darauf, was man der Mannschaft an Informationen und Möglichkeiten mitgebe und ob man überhaupt Leute dorthin schicke. Diese Frage wolle man sich genau angucken, aber erst einmal abwarten, was der Europa- und der Weltverband sagen.

Die sagen recht klar, dass Minsk und Aschgabat die Bahnrad-Kombination des Jahres bleibt.

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