Der Weg ist gefährlich, er führt über spitze Lavasteine. Sie liegen dort, seit der Vulkan Nyiragongo vor 15 Jahren ausgebrochen ist. Niemand hat aufgeräumt in der ostkongolesischen Millionenstadt Goma. Martin Kasereka Mahamba sollte sein Rennrad lieber schieben. Aber er hebt seinen schmalen Hintern über den Sattel und holpert weiter. Er muss schnell von seiner Holzhütte zum Treffpunkt fahren. Gleich wird er seinen Kollegen vom Goma Cycling Club die Trainingsstrecke erklären.
Fürs Rennradfahren in Goma muss man geboren sein. Geteerte Straßen gibt es nur, wo die Reichen verkehren oder die weißen Entwicklungshelfer. Die übrigen Stadtviertel versinken in der Regenzeit im Schlamm, in der Trockenzeit im Staub.
Assistenztrainer Mahamba kennt die wenigen Asphaltkilometer. Er fährt länger Rad als alle anderen, darum gibt er das Kommando an diesem Samstagmorgen um sechs. Vom Kreisverkehr bei der "Entwicklungsbank der Länder der Region der Großen Seen" geht's zum Flughafen, zum Hauptquartier der UN-Blauhelmsoldaten, zurück zum Kreisverkehr. Sechs Runden, 80 Kilometer. Mahamba muss schreien, um die Wachmänner einer Sicherheitsfirma zu übertönen. Sie marschieren vorbei und brüllen "links, links". Der Befehl geht in kongolesische Rumba über, die Musik schallt aus einem Bierkiosk.
Große Angst haben sie vor den Fahrern der Motorradtaxen
Noch kämpfen die Rennradfahrer nur gegen Lärm. Später, wenn Minibusse, Motorradtaxen und Jeeps der Hilfsorganisationen unterwegs sind, kämpfen sie um ihr Leben. "Die Chauffeure glauben, Radfahrer haben nichts auf der Straße verloren", klagen die Sportler. Große Angst haben sie vor den Fahrern der Motorradtaxen. "Manche kiffen und saufen", erzählt Mahamba. Er hatte schon mehrere schlimme Unfälle.
Wäre Papa nicht gewesen, hätte er den Arzt nicht bezahlen können. Papa nennen die Radler Charles-Guy Makongo. Der 50 Jahre alte Hobbysportler hat den Klub vor einem Jahr gegründet. Er ist Coach, Manager, Vater, Übervater. Normalerweise bringt der Jurist aus Kamerun Vergewaltiger hinter Gitter. Mit dem Job für die amerikanische Anwaltskammer wäre er ausgelastet. Denn sexuelle Gewalt ist im Ostkongo alltäglich. Aber Makongo ist ein Macher, getrieben von seinem Gewissen: "Ich verdiene als ausländischer Experte hier so viel Geld, dass ich etwas hinterlassen möchte." Seine Schützlinge geben ihm ja auch viel zurück. Wenn sie nach dem Training strahlen, fühlt Makongo sich gut.
Die meisten Klub-Mitglieder sind arm und arbeitslos. Als Kinder haben sie unter dem Bett geweint, wenn wieder einmal Krieg war und Bomben fielen. Aus der Stadt trauen sie sich heute noch nicht. Draußen morden Milizen, seit mehr als 20 Jahren. So mancher ist darüber verzweifelt oder selbst bei einer Miliz gelandet. Nicht so Makongos Jungs. Sie hoffen.
"Irgendwann wird alles gut. Ich habe doch mein Fahrrad", sagt Veteran Mahamba. Das Rad ist sein ganzer Stolz. "Tonino Lamborghini" steht in geschwungenem Weiß auf dem blauen Rahmen. 335 Dollar hat Mahamba für den gebrauchten Renner bezahlt. Das ist ein Vermögen für den 26-Jährigen, so, als würde ein Hilfsarbeiter in Deutschland einen Ferrari kaufen.
Das Geld hat Mahamba bei einem Rennen in Kisangani, im Norden der Demokratischen Republik Kongo, gewonnen, obwohl er schlecht abschnitt. Er fuhr damals mit einem Mountainbike gegen Rennräder. Seit er selbst eines hat, versteht er sich als Profi und spekuliert auf eine internationale Karriere. Sein Teamkollege Jimmy Muhindo ist 2016 Meister im Kongo geworden. Er trainiert jetzt mit dem Nationalteam und ist ständig in anderen Ländern Afrikas unterwegs. Mahamba träumt von Größerem: "Vielleicht schaffe ich es zur Tour de France." Er hat gehört, dass die Fahrer dort richtig gut bezahlt würden, dass sie ihr Bike sogar geschenkt bekämen. Nur eine kleine Weile würde der Kongolese in Europa bleiben. "Danach komme ich zurück. Ich lade Freunde und Familie ein. Wir werden feiern und glücklich sein", sinniert Mahamba.
Zunächst aber muss er zusehen, wie er das Training ohne Unfall übersteht. Auch da hilft Papa Makongo. Der schwingt sich in Trainingshose und Stiefeln auf seine 1150er BMW, knipst Warnblinker und Sirene an. Dann fährt er los, verscheucht die gefährlichen Gegner von der Straße. Seine Jungs schnaufen hinterher, geben alles.
Makongo bezahlt ständig Arztrechnungen aus der eigenen Tasche, nicht nur wegen der vielen Unfälle. Letztens hat er 1000 Dollar gegeben, damit ein Fahrer eine verschleppte Malaria behandeln lassen konnte. Für die Besten im Team hat er nun eine Krankenversicherung abgeschlossen, für alle reicht das Geld nicht. Der Klub kann nicht einmal regelmäßig Fahrer zu Wettbewerben schicken. Die Flugtickets sind teuer im riesigen Kongo. Das Land ist so groß wie Westeuropa. Aber wenn einer teilnehmen kann, holen die Jungs aus Goma oft Platz eins oder zwei.
Eine Mahlzeit bis zum nächsten Morgen
Jeden Tag nach dem Training lädt Gönner Makongo die Fahrer zu Pfannkuchen und Buttermilch in ein Café ein. Für viele bleibt es die einzige Mahlzeit bis zum nächsten Morgen. Die Sportler quetschen sich in der baufälligen Bude auf Holzbänke, sie lachen, posieren in Siegerposen. Der Wirt schenkt die Milch von einem Kanister aus. "Premium Motor Oil" steht darauf. Joël Kyaviro kümmert das nicht. Der kleine Bruder des Kongo-Champions schaufelt Zucker ins Glas und trinkt gierig.
Seine Kollegen nennen ihn "Grasfresser", seit er bei einem Training in Ruanda das Rad in eine Wiese warf und Gras in sich hinein stopfte. Der Hunger war einfach zu groß. Im nahen Nachbarland Ruanda üben die Sportler oft: Teerstraßen, Hügel, keine Milizen, ideal für das Training.
Coach Makongo fährt aber auch gern in Goma Rad, um den Menschen zu zeigen, dass es etwas anderes als Gewalt gibt. Am Anfang haben ihn alle ungläubig angestarrt. Dann traf er Mahamba, den heutigen Co-Trainer. Dem arbeitslosen Mann war langweilig. Er sparte für ein Lastenrad, mit dem die Leute normalerweise Wasser in Kanistern vom Kivusee holen und in die Wohnviertel schleppen. Mahamba trainierte damit und überzeugte ein paar Kumpels, mitzumachen. Nun fahren sie für den Goma Cycling Club.
Vereinsgründer Makongo sieht aber nicht nur den Sport: "Ich habe einen erzieherischen Auftrag." Nach dem Training konjugiert er Verben auf Französisch mit den Fahrern. Das klappt schlecht. Ihre Muttersprache ist Kisuaheli. Dann schimpft er und sagt: "Ein Champion muss Französisch reden können."
Makongo vergibt auch kleine Jobs. Den studierten Kaufmann Jacob Kamasua hat er zum Vizepräsidenten des Klubs gemacht. Der 29-Jährige ist einer der wenigen Gebildeten im Team, hat aber nie einen Job gefunden. Seine Eltern drängen, er solle sein Rennrad verkaufen. Dann hätten die elf Geschwister für eine Weile etwas zu essen. "Niemals", schmettert Kamasua ihnen jedes Mal entgegen: "Lieber verrecke ich vor Hunger."
Co-Trainer Mahamba kennt solchen Frust, aber auch die Verantwortung. Nach dem Training kehrt er zu seinen beiden jüngeren Brüdern zurück in die Hütte. Er muss sie durch die Schule bringen. Gegen ein paar kongolesische Francs repariert er Fahrräder oder zeigt Jugendlichen das Radfahren. Er selbst musste nach der vierten Klasse abbrechen, weil niemand für ihn da war. In seinem Schlafzimmer bewahrt er alle Hefte auf. Vor dem Einschlafen liest er im alten Französischbuch. Seit er Papa Makongo kennt, ist Ordnung in seinem Leben. Selbst Hosen und T-Shirts hängen gebügelt und sortiert über dem Bett.
Mahamba blickt ein bisschen niedergeschlagen drein. Wieder muss er seinen väterlichen Freund um etwas bitten. Im Training hat sich das Schaltwerk verbogen. "Ich brauche ein Ersatzteil aus Ruanda", sagt er. Sein Mentor wird zwei Drittel bezahlen. Den Rest muss er als Tagelöhner verdienen. "Papa" will sehen, dass er es ernst meint. Das findet Mahamba korrekt. Ein paar Tage wird er nicht trainieren können. Das allerdings trifft ihn ins Herz.