Radport:"Riis war randvoll"

Die Doping-Vorwürfe gegen den Tour-de-France-Gewinner von 1996 tangieren auch Freiburger Sportärzte. Schließlich fuhr Bjarne Riis zu dieser Zeit für den deutschen Rennstall Telekom.

Andreas Burkert

Im vergangenen August hat Bjarne Riis noch ganz anders reagiert. Der CSC-Teamchef hatte gerade eine Tour de France hinter sich, vor der er seinen Siegkandidaten Ivan Basso wegen der spanischen Dopingaffäre suspendieren musste; bald darauf trennte sich Riis vom Giro-Sieger, sein eigenes Image war schlecht genug. Ob er früher als Profi selbst gedopt habe, wollte das dänische Fernsehen damals wissen. Der Däne schaute ganz fest aus seinen himmelblauen Augen und sagte: ,,Niemals.''

Bjarne Riis

Sieht sich Dopingvorwürfen ausgesetzt: Bjarne Riis.

(Foto: Foto: AP)

Derart klar ist die Erklärung nicht, zu der sich Riis nun gedrängt sah. Für ihn sei die Vergangenheit ,,ein beendetes Kapitel'', ist die Kernaussage, er müsse ,,nicht jedes Mal Rechenschaft ablegen zu Dingen, die vor zehn Jahren passierten''. Ein Dementi zu den Vorwürfen fehlt, obwohl sie sein Image erneut massiv beschädigen: Bjarne Riis soll bei seinem Tour-de-France-Sieg 1996 mit Erythropoetin (Epo) gedopt gewesen sein.

Überall Gicht

Ein inzwischen 64 Jahre alter Weggefährte von damals hat dies jedenfalls am Sonntagabend im belgischen Fernsehen behauptet: Joseph ,,Jeff'' Leon d'Hont, eine Pfleger-Legende des Pelotons. ,,Randvoll'' sei Riis bei seinem Triumph mit dem Blutbeschleuniger gewesen, einmal habe er einen Hämatokritwert von 64 gehabt. ,,Er hatte überall Gicht und konnte seine Füße kaum noch bewegen, es war unglaublich.''

Diese Aussagen tangieren nicht nur Dänemarks Sportszene, denn d'Hont und Riis verdienten damals in Deutschland ihr Geld: beim Telekom-Rennstall, der heute T-Mobile-Team heißt. Dem belgischen Sender Sporza sagte d'Hont, in der Bonner Equipe habe es kein systematisches Doping gegeben: ,,Es waren die Fahrer selbst, die nach Epo fragten.'' Beschafft hätten die verbotene Substanz ,,unsere Ärzte von der Universität Freiburg''. Ein schwerer Vorwurf, denn das Medizinerteam von damals mit Oberarzt Andreas Schmid und Mannschaftsarzt Lothar Heinrich ist noch heute für T-Mobile aktiv. Und der Rennstall hält trotz der Dopingaffäre um sein einstiges Idol Jan Ullrich und seines ambitionierten Kontrollprogramms an der Zusammenarbeit fest.

Dabei hatte sich gerade Teamarzt Heinrich bei der Aufarbeitung des Skandals seltsam verrenkt, verbal zumindest. ,,Solange konkrete Beweise fehlen, sehen wir keinen Grund zum Handeln'', sagte Teamchef Rolf Aldag am Dienstag. Man wolle das Thema mit den Beteiligten besprechen, ,,und die Freiburger sollten die Sache nicht auf sich beruhen lassen''.

"Riis war randvoll"

Rolf Aldag zählte 1996 zu Riis' Tourteam, er fühlt sich von den Vorwürfen angesprochen und sagt: ,,Ich schließe das für mich aus, wie ich auch großflächiges Doping im Team ausschließe.'' Während Schmid und Heinrich am Dienstag nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung standen, sagte der Leiter der sportmedizinischen Abteilung in Freiburg, Hans-Hermann Dickhuth, es habe intern ,,niemals einen Hinweis auf so etwas gegeben''.

Dickhuths Vorgänger indes war Joseph Keul; der inzwischen verstorbene Olympia-Arzt bezeichnete einst die Einnahme von Anabolika oder Epo unter ärztlicher Anleitung als ,,unbedenklich''. Keul sei jedoch beim Team Telekom ,,nicht in die direkte Betreuung involviert gewesen'', betont Dickhuth. ,,Ich kann vielleicht nicht ausschließen, dass bei Riis was gelaufen ist - aber dass offiziell über unsere Ärzte etwas stattfand, ist für mich undenkbar.'' Die Klinik werde über rechtliche Schritte beraten.

Riis war 1996 zu Telekom gestoßen, Ullrich debütierte in dem Jahr in Frankreich und belegte hinter seinem Kapitän gleich Platz zwei. In italienischen Ermittlerakten fanden sich später für Riis Hämatokritwerte, welche die zulässige Grenze von 50 Prozent deutlich überstiegen. Seitdem trägt Riis den zweifelhaften Künstlernamen ,,Mister 60 Prozent''. Der beteiligte Arzt hieß Luigi Cecchini, der Italiener arbeitete später auch mit Ullrich. Chef bei Telekom war Walter Godefroot, auch er betont, es habe ,,kein organisiertes Doping gegeben''. Der Zeitung Het Laatste Nieuws sagte der Belgier indes, er habe damals vom Epo-Gebrauch in der Mannschaft ,,gehört'' und dem Weltverband UCI gemeldet. Godefroot kennt d'Hont gut: Jener massierte einst auch den Profi Godefroot.

D'Hont arbeitete seit 1964 als ,,soigneur'', wie die Mischung aus Betreuer und Medizinmann genannt wurde. Im Dezember 2000 wurde er beim Festina-Prozess in Lille zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt wegen Verstößen gegen das französische Antidopinggesetz. D'Hont war von Festina-Fahrern als Lieferant von Dopingpräparaten bezeichnet worden; er leugnete bis zuletzt. Der französische Fahrer Erwan Manthe'our schilderte in dem Verfahren zum Tourskandal 1998 unter Eid, d'Hont sei ihm später als ,,der Betreuer von Ullrich'' vorgestellt worden. Und d'Hont habe auf Nachfrage geantwortet, ja, auch Ullrich habe gedopt.

Zabels kategorische Ablehnung

Über Ullrich hat sich d'Hont nun nicht geäußert. Nur über Riis - und Erik Zabel. Der heutige Milram-Sprinter habe von Epo nichts wissen wollen, ,,er hat es kategorisch abgelehnt''. Die damalige Modedroge Epo habe der frühere Profi Uwe Ampler eingeführt, der 1992 und 1993 bei Telekom war. Der mehrmals des Dopings überführte Leipziger hatte 1996 in Interviews behauptet, er sei bei Telekom gegen seinen Willen gedopt worden. Vor Gericht unterlag Ampler indes seinem früheren Arbeitgeber.

Auch d'Hont legt nun wohl keine Belege vor; er habe die Unterlagen zur Zeit des Verfahrens 1998 verbrannt. Riis vermutet finanzielle Motive hinter den Anschuldigungen. D'Hont will angeblich eine Autobiografie schreiben. In Belgien sind Dopinggeständnisse gerade in Mode. Zuletzt hatte Nico Mattan zugegeben, während seiner Karriere ,,wie alle'' gedopt zu haben. Davor hatte Nationalheld Johan Museeuw, überführt in einem Prozess, jahrelangen Betrug zugegeben. Riis streitet alles ab, er verweist auf sein neues Kontrollsystem bei CSC und sagt: ,,Die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit.'' Jens Evald, Vorsitzende der dänischen Antidoping-Agentur, bedauert diese Haltung. ,,Es ist ein Mantra, dass jetzt im Radsport alle nur nach vorne schauen'', sagt er. ,,Dabei geht es doch gar nicht mehr darum, Schuld zu beweisen - sondern um eine kritische Betrachtung der Zukunft.''

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: