Rad-WM in Stuttgart:Bettini wird wieder Weltmeister

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Der Radsport hat den Weltmeister bekommen, den er verdient: den umstrittenen Italiener Bettini. Sein Start hatte zuvor die Gemüter erhitzt - und die Gerichte beschäftigt.

Andreas Burkert

Der Händedruck ist flüchtig, aber er findet statt, "er hat halt gewonnen", hat Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster nach dem Finish gesagt, "ich hätte mir aber einen anderen Sieger gewünscht.''

Paolo Bettini nimmt seine Blumen unter Pfiffen des Publikums entgegen, auch seine Kontaktaufnahme zu Schuster ist nicht sonderlich herzlich. Der Italiener schaut lieber runter vom Podium, dort stehen seine Landsleute und singen gegen den allgemeinen Unmut an, sie rufen seinen Namen.

Der Radsport hat demnach den Weltmeister bekommen, den er verdient, es ist der 33 Jahre alte Titelverteidiger aus Cecina, der als einziger von rund 600 WM-Teilnehmern nicht die obligatorische Ehrenerklärung für einen sauberen Sport unterzeichnet hat.

Nach dem Landgerichtsentscheid vom Freitag ist Bettini zumindest formaljuristisch startberechtigt gewesen und hat sich also nicht irritieren lassen von den Dopingverdächtigungen. Im Zielsprint einer Fünfergruppe auf dem Killesberg siegte er vor dem Russen Alexander Kolobnew und dem starken Lokalmatador Stefan Schumacher aus Nürtingen.

"Das war eine schwere Woche für mich'', sagt Bettini nachher trotzig, "mit diesem Sieg habe ich meine Antwort gegeben, damit basta.'' Und UCI-Chef Pat McQuaid, dessen Erklärung Bettini ignoriert, säuselt: "Wie Paolo trotz aller Widerstände dem Druck standgehalten hat, das ist großartig."

Bettini hat sich ja am Wochenende nicht nur um den rekordverdächtig schweren Kurs von 267,4 km gekümmert, der mit insgesamt 5670 Höhenmetern beinahe anspruchsvoller war als eine Gebirgsetappe der Tour. Über seinen Bozener Anwalt ließ er außerdem ankündigen, er wolle "zivil- sowie strafrechtlich gegen die Initiatoren der medialen Verleumdungskampagne - insbesondere gegen die Stadt Stuttgart, das OK und das ZDF - vorgehen''.

Der Olympiasieger hatte sich schwerer Vorwürfe zu erwehren, auch weil angebliche Aussagen des überführten Testosteron-Sünders Patrik Sinkewitz zu Dopingmittel-Lieferungen Bettinis bekannt worden waren. Vielleicht wären Klagen auf Schadensersatz wirklich hilfreich, denn vor Gericht kämen alle Fakten auf den Tisch - höchstwahrscheinlich auch Sinkewitz' Aussagen.

Ob Bettinis Revolver-Geste nach dem Zielstrich auch auf ihn gemünzt war, blieb unklar, "sie galt denen, die keine Ahnung vom Radsport haben'', sagt er vor der Presse, "sondern nur wirtschaftliche Interessen''. Die italienischen Journalisten im Saal klatschen ganz begeistert.

Stefan Schumacher, 26, hört sich das alles nachdenklich an, und doch ist er sehr zufrieden mit sich. "Klar wollte ich zu Hause Weltmeister werden, aber an der letzten Steigung am Birkenkopf habe ich gemerkt, dass Bettini der Stärkste ist'', berichtet der schwäbische Amstel-Sieger: "Aber eine Medaille ist ein großer Erfolg für mich.''

Das sieht sein Teamchef genauso, Hans-Michael Holczer sagt: "Schumi hat keinen Fehler gemacht und ist bis zuletzt cool geblieben.''

Zwölf Kilometer vor dem Ziel hatte Schumachers Gerolsteiner-Kompagnon Fabian Wegmann mit einem Vorstoß aus der Topgruppe die Entscheidung eingeleitet.

Abgehängt war in diesem Moment neben dem wie Bettini umstrittenen Spanier Alejandro Valverde auch dessen Landsmann und dreimaliger WM-Champion Oscar Freie; vor seinen Sprintfähigkeiten am Killesberg hatte sich die Konkurrenz gefürchtet. Vorstöße des Luxemburgers Franck Schleck (4.) und des Titelverteidigers selbst führten dann zur Bildung des Quintetts, dem Schumacher sowie Kolobnew und Bettinis angriffslustiger Landsmann Davide Rebellin angehörten.

Wegmann verpasste den Anschluss, belegte aber den guten neunten Rang, noch vor Freire (14.) und dem Berliner Politikum der WM, Erik Zabel (18.). Alle hatten sie letztlich für Schumacher gearbeitet, der vor der Abfahrt zu seinen Nürtinger Freunden noch bekennt: "Ich habe noch nie so viele Nerven verloren wie bei diesem Radrennen - das war das reinste Pokerspiel.''

Die deutschen Frauen streiten

Während die deutschen Männer am Ende zufrieden sein durften mit ihrer sportlichen Leistung, lagen die ambitionierten Frauen im Trend der WM: Sie stritten. Im Zentrum stand Zeitfahr-Weltmeisterin Hanka Kupfernagel, die von Bundestrainer Jochen Dornbusch trotz ihrer Hochform dazu auserkoren war, der ersten Fluchtgruppe anzugehören - und damit alle Chancen fürs Finale aufgab (Weltmeisterin: Marta Bastianelli, Italien). "An den Mädels lag es nicht, höchstens an der Teamleitung", schimpfte Kupfernagel, nachdem sie sich lange vor das vordere Feld gespannt und am Ende nur Rang 55 belegt hatte.

Dornbusch hatte alles auf die vorjährige WM-Zweite Trixi Worrack (18.) sowie die zweimal gestürzte Judith Arndt (21.) gesetzt. Nun wird es mit Blick auf Peking 2008 interessant sein zu sehen, inwieweit die Integration seiner prominentesten Fahrerin auf Dauer gelingt.

Nach einem Wortgefecht zwischen der Rückkehrerin Kupfernagel und Arndt hätten sich beide am Abend in der Disco versöhnt, versicherte Dornbusch. Doch er sollte bedenken: Nicht nur Doping ist stilbildend im Radsport dieser Tage. Sondern auch Uneinsichtigkeit und Dissens.

© Süddeutsche Zeitung vom 1.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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