Rad-Weltmeisterschaft:Schnell wie eine Vespa

Lesezeit: 3 min

Der Spezialist und Riis-Schüler Fabian Cancellara dominiert die Zeitfahr-WM. Bronze gewinnt Tony Martin, der schon bei der Tour de France für Aufsehen sorgte.

Andreas Burkert

In modischen Slippern, grauer Jeans und tongleichem Blouson saß Bjarne Riis auf seiner schicken Vespa, anfangs schien die Sonne. Doch später regnete es teils fürchterlich im Tessin, und Riis sagte zu seinem Begleiter, es sei nun wohl Zeit umzukehren. Aber Fabian Cancellara lehnte ab, dabei war er im dünnen Trikot unterwegs und auf seinem Rennrad. Siebeneinhalb Stunden und 240 Kilometer, so haben es der Sportchef Riis und sein Profi Cancellara hinterher allen erzählt, sind sie letztlich am vergangenen Samstag im Training unterwegs gewesen, der eine als Schrittmacher auf dem Motorroller und der andere einen halben Meter dahinter, auf dem Velo mit dem Schweizerkreuz auf dem Rahmen.

Der Radsport lebt von Legenden, gerade im Tessin, einem "Schmelztiegel des Radsports", wie die "NZZ" diese Woche schrieb. Zum vierten Mal findet im südlichsten Kanton die Rad-WM statt. Und dort, wo Cancellara am Donnerstag unter dem Jubel tausender Landsleute als Zeitfahrweltmeister ankam, nahe der Geraden von Vignalunga, bekämpften sich 1971, bei der ersten WM im Mendrisiotto, Eddy Merckx und Felice Gimondi, zwei Rivalen von einst. Es siegte im Sprint Merckx, genannt "der Kannibale".

51,6 km/h im Schnitt

Cancellara, 28, nennen sie in seiner Heimat "Fäbu", er ist hier ein Held. Nicht ganz so groß wie Roger Federer, der erfolgreichste Tennisspieler des Planeten, das bemerkt Cancellara besonders dann, wenn er bei seinem Manager die Offerten für Werbeverträge abruft. Viel ist da nicht außer einem Kontrakt mit einer Rabattmarkenkette. Dabei gewann der Berner zuletzt sogar die Sportlerwahl vor Federer, eine Anerkennung für Olympiagold im Zeitfahren von Peking, wo er zudem Bronze im Straßenrennen gewann. Doch auch in der Schweiz, wo sie 2006 die einzige ProTour-Equipe (Phonak) verloren wegen inflationärer Dopingfälle, lassen die Firmen im Zweifel die Hände vom Velo.

In Mendrisio werden trotzdem bis Sonntag 250000 Zuschauer erwartet. Nicht nur wegen der Nähe zum Radsport-verrückten Italien - Cancellara sei Dank. Er hat 2009 erstmals die Tour de Suisse gewonnen, in Frankreich und auch bei der Vuelta trug er tagelang das Leadertrikot. Am Donnerstag gewann er souverän den dritten WM-Titel nach 2006 und 2007 in seiner Spezialdisziplin, dem Kampf gegen die Uhr - die Konkurrenz war chancenlos. Der Kraftathlet hatte der deutschen Hoffnung Tony Martin schon nach der ersten Schleife bis nach Lugano und zurück (17km) 38 Sekunden abgenommen. Mit einem Schnitt von 51,6 km/h raste er über den welligen Rundkurs - schneller als eine kleine Vespa. Dabei fuhr er am Ende die Zielgarade freihändig ab und berührte stolz das weiße Kreuz auf seiner Brust.

Martin lag im Ziel 2:30 Minuten zurück, was für Bronze reichte hinter dem Schweden Larsson (+1:27). Während Titelverteidiger Bert Grabsch als Zehnter sich selbst enttäuschte ("es lief überhaupt nicht"), feierte Martin, 24, sein wertvollstes Resultat in seinem zweiten Profijahr. "Das war sicherlich mein bislang größter Erfolg, auf den ich sehr stolz bin", sagte der Eschborner, der beim Team Columbia bis 2012 verlängert hat.

Cancellara möchte nun auch noch das schwere Straßenrennen über 262,2 km gewinnen, "heute habe ich gezeigt, dass ich bereit für Sonntag bin", sagte er mit der Goldmedaille um den Hals. Die neuen Ambitionen für anspruchsvolle Tagesrennen erklärt er mit viel Training und dem Verlust von drei Kilogramm. Wenn das nur so einfach wäre in der Radszene, wo auch der stets akkurat unrasierte Familienvater Cancellara als einer derjenigen gilt, an deren Geschichte man ja gerne glauben will. Wenn denn nicht Indizien die Glaubwürdigkeit einschränkten.

Bei Fabian Cancellara hat ein Indiz ein Faible für Roller: Riis. Für den Dänen, der wegen der Enthüllungswelle um das Team Telekom Doping zu seiner aktiven Zeit einräumen musste, fährt Cancellara seit 2006. Ihre Beziehung ist eng. In der Vorbereitung auf die WM wich der in den Hügeln über Lugano lebende Teammanager des Saxo-Rennstalls nicht von Cancellaras Seite; auch Masseure, Mechaniker und ein Sportchef von Saxo sind für Cancellaras Heimspiel ins eidgenössische Nationalteam eingerückt.

Merkwürdige Zufälle

Seine Profikarriere begann Cancellara bei den affärenerprobten italienischen Rennställen Mapei und Fassa Bortolo. Und Riis, sein jetziger Mentor, verweist zwar gerne darauf, dass sein Team keinen Dopingfall zu beklagen habe. Ebenso schwer wiegt allerdings der Umstand, dass gleich zwei seiner Kapitäne als Kunden des spanischen Blutarztes Eufemiano Fuentes enttarnt wurden: der Italiener Ivan Basso und Franck Schleck aus Luxemburg.

Cancellara haben all diese merkwürdigen Zufälle um seinen Chef Riis und die Kameraden bislang nichts anhaben können. Gerüchte über Verbindungen zu Fuentes wurden nie bestätigt, wie auch die Meldung der belgischen Zeitung Le Soir. Dort hieß es vor genau einem Jahr, in Nachuntersuchungen von Proben der Tour 2008 seien auch Cancellaras Blutwerte auffällig gewesen.

Von alledem spricht niemand, als in Mendrisio die WM-Fanfare erklingt. Cancellara winkt selig zur vollbesetzten Tribüne und sagt hinterher: "Danke Mendrisio, danke an die Schweiz für die tolle Unterstützung, und danke an die Erfahrung von Bjarne Riis."

© SZ vom 25.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: