Rad:Misstrauen fährt mit

Am Samstag beginnt die Tour de France. Das Publikum wird wieder größer, doch die Doping-Skepsis bleibt.

Von Johannes Aumüller, Bensheim

Emanuel Buchmann war der Gewinner, aber er wirkte leicht verunsichert. Links und rechts von ihm befanden sich zwei gestandene Profis, breite Schultern, feste Stimmen, und in der Mitte saß er in dem Trikot mit dem schwarz-rot-goldenen Brustring und musste allen erklären, wie er das soeben gemacht hatte auf diesem schweren Kurs im südhessischen Städtchen Bensheim. Wie er die Favoriten John Degenkolb und Andre Greipel distanziert, wie er kurz vor dem Ziel aus einer siebenköpfigen Gruppe heraus attackiert und dann als Solist seinen Überraschungserfolg bei den nationalen Meisterschaften vollendet hatte. Das sollte er nun erklären, oft hat Buchmann solche Situationen noch nicht erlebt, aber er hatte sich eine vernünftige Strategie zurechtgelegt: Wenn er nicht mehr so recht weiter wusste, dann flocht er schnell ein "unglaublich" ein.

Buchmann ist erst 22 Jahre alt, ein schmaler Fahrer mit Qualitäten in den Bergen, er absolviert gerade für die Equipe Bora seine erste Saison als Profi. Und er ist einer von vielen Neuen, von denen sich die Szene hierzulande ein paar schöne Geschichten verspricht.

Der deutsche Radsport hat sich am Wochenende in Bensheim schon mal eingestimmt auf die 102. Frankreich-Rundfahrt, die am Wochenende in Utrecht mit einem Einzelzeitfahren beginnt. Er fühlt sich seit einiger Zeit ja wieder im Aufwind, so gut wie Deutschland sei kaum ein Land in der Breite aufgestellt, lautet die leicht gewagte These von Verbandspräsident Rudolf Scharping. Die anstehende Tour soll jedenfalls der vorläufige Höhepunkt dieses Aufwinds werden. Diverse deutsche Protagonisten könnten eine zentrale Rolle spielen - auch wenn der in den Vorjahren bei acht Etappen erfolgreiche Sprinter Marcel Kittel fehlt, weil ihm sein Giant-Team nach einer längeren Krankheitspause die nötige Fitness abspricht.

Elf in Frankreich

Die deutschen Starter bei der Tour de France

Emanuel Buchmann, 22, Ravensburg, Bora John Degenkolb, 26 Erfurt, Giant Simon Geschke, 29, Berlin, Giant André Greipel, 32, Rostock, Lotto-Soudal Patrick Gretsch, 28, Erfurt, Ag2r Paul Martens, 31, Rostock, LottoNL-Jumbo Tony Martin, 30, Cottbus, Etixx Dominik Nerz, 25, Wangen, Bora Andreas Schillinger, 31, Kümmersbruck, Bora Marcel Sieberg, 33, Castrop-Rauxel, Lotto-Soudal Paul Voss, 29, Rostock, Bora

Aber dafür gibt es andere Akteure wie den Zeitfahr-Experten Tony Martin, der sich für die knapp 14 Kilometer lange Runde zum Start in Utrecht berechtigterweise eine große Chance aufs Gelbe Trikot ausrechnet. Dazu kommen der Sprinter Greipel (Lotto) oder der Klassiker-Spezialist Degenkolb (Giant), der sich auf den vielen mittelschweren Abschnitten einige Hoffnungen auf einen Tagessieg machen und sogar das Grüne Trikot ins Visier nehmen darf. Und in Dominik Nerz (Bora) wirkt anders als im Vorjahr wieder ein deutscher Fahrer mit, der eine vordere Platzierung in der Gesamtwertung anpeilt - ein Rang unter den besten 20 des Klassements soll es nach Meinung seines Teamchefs Ralph Denk sein. Dabei helfen soll ihm unter anderem der neue deutsche Straßenmeister Emanuel Buchmann.

Erstmals seit 2008 stehen zwei Mannschaften mit einer deutschen Lizenz am Start, neben Giant-Alpecin die kleine Bora-Mannschaft aus dem oberbayerischen Raubling, die wie schon vergangenes Jahr dank einer Wildcard der Organisatoren antreten darf. Wenn die Radsportler wie jetzt in Bensheim auf der Straße unterwegs sind, vernehmen sie wieder mehr Begeisterung. Und dazu kehrt die ARD nach mehrjähriger Pause in die Live-Berichterstattung von der Tour de France zurück.

Straßenrad-DM in Bensheim

Gratulation vom Routinier: Der unerwartete deutsche Meister Emmanuel Buchmann wird von John Degenkolb beglückwünscht.

(Foto: dpa)

Das sind schöne Rahmenbedingungen. Wer gemein sein will, kann aber auch sagen: Es sind Rahmenbedingungen wie in den Tagen von Jan Ullrich & Co.

Die Radprofis wissen selbst, dass der Grat schmal ist. Die Skandale von damals wirken bis heute nach. "Es gibt immer noch Betrügereien, und man darf nicht erwarten, dass der Radsport jemals ganz ohne Betrüger sein wird", sagt Giant-Kapitän Degenkolb, und Zeitfahrer Martin empfiehlt "ein gesundes Misstrauen". Beide haben sie in diesen Tagen vor dem Tour-Start ihren Unmut über die Mannschaft Astana und den Umgang des Weltverbandes (UCI) mit den Kasachen ausgedrückt. Die Equipe um den Vorjahressieger und Mitfavoriten Vincenzo Nibali ist hochgradig mit fragwürdigem Personal belastet und hatte in der vergangenen Saison gleich mehrere Dopingfälle; einen Lizenzentzug gab es trotz des angeblich neuen Anti-Doping-Kurses der UCI aber nicht.

Dass die Dopingbereitschaft noch stärker gegeben ist als manche Verantwortlichen suggerieren wollen, hatte zuletzt sogar ein Bericht einer UCI-Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit gezeigt. Danach glaubten zahlreiche aktuelle und frühere Radprofis, dass Doping immer noch weit verbreitet ist; ein Zeuge äußerte gar die Einschätzung, dass 90 Prozent aller Aktiven zu verbotenen Substanzen griffen.

Auch im Umfeld der Fahrer hat sich nur wenig geändert, die Teamchefs und Ärzte von früher sind nicht nur beim anerkannten Skandal-Team Astana noch immer aktiv. Von mindestens 69 vorbelasteten Medizinern ist in dem Bericht die Rede, ein Gesprächspartner erwähnte gar Gerüchte über eine erneute Tätigkeit des berüchtigten spanischen Blutarztes Eufemiano Fuentes.

Und manche aus der Branche verwiesen auf Substanzen und Methoden, die bei Manipulateuren aktuell en vogue seien: von Panschereien mit Blut über Gendoping bis hin zu neueren Epo-Entwicklungen. Nur direkt bei der Frankreich-Rundfahrt überführt wurde in den vergangenen Jahren niemand mehr.

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