Racing Club in Argentinien:Ein Klub, der mehr Leid als Schalke erlebt hat

Racing Club players and fans celebrate the Superliga title in Buenos Aires

Singend unter dem Regenschirm: Teamleader Marcelo Diaz (stehend) beim Meister-Korso durch die Straßen von Buenos Aires.

(Foto: Agustin Marcarian/Reuters)
  • Viele Niederlagen und auch feindliche Verwünschungen musste der Traditionsklub Racing de Avellaneda ertragen.
  • Auch dank des ehemaligen Stürmers und jetzigen Managers Diego Milito hat der argentinische Verein nun den 18. Meistertitel gewonnen.
  • Neben Milito spielte auch der ehemalige HSV-Retter Marcelo Díaz eine tragende Rolle beim Erfolg.

Von Javier Cáceres

Wenn sich am kommenden Wochenende das Stadion von Racing de Avellaneda füllt, wird der stumme Gast wieder vor sich hin lächeln. So wie er das jeden Tag tut, seit sie ihn auf der Tribüne mit einem Denkmal geehrt haben. Carlos Gardel, der König des Tango, der 1935 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam und von dem sie in Argentinien sagen, dass er jeden Tag besser singt. Sollte er nicht nur in der Vorstellung der Argentinier, sondern tatsächlich fortleben, so würde er wohl wirklich lächelnd dasitzen, und den jüngsten Erfolg des Vereins, den er zu Lebzeiten so liebte und später durch schwere Zeiten trug, still genießen. Denn Racing de Avellaneda wurde in der irrwitzigen argentinischen Liga Meister, zum 18. Mal.

Die schweren Zeiten liegen nicht so lange zurück. "Que veinte años no es nada...", heißt es in Volver, einem der schönsten unter den unsterblichen Tangos Gardels. 1999 lag Racing am Boden, pleite wie nur wenig später das ganze Land. "Racing Club hat aufgehört zu existieren", rief die damalige Konkursverwalterin Liliana Ripoll; der Präsident versicherte vor aufgebrachten Fans, Gesicht zu zeigen - und bekam eine Trommel zugeworfen, voll auf die Zwölf. Racing wurde vom Spielbetrieb ausgeschlossen, aber als die erste abgesagte Partie nach dem Ruin anstand, füllte sich das Stadion mit 30 000 trotzigen Fans, von denen nicht wenige auf Knien zu den Toren rutschten.

Die Mannschaft erschien in Zivil, wurde umjubelt, beziehungsweise: zum Durchhalten animiert. Oder besser: reanimiert. Nun ist Racing so lebendig wie die Legende Gardel. Vor allem wegen eines Mannes, der 1999 bei Racing sein Debüt feierte, mit dem Klub 2001 und 2014 als Stürmer Meister wurde, und nun dem Klub als Manager eine so vielversprechende Zukunft erarbeitet: Diego Milito, der 2010 beim Champions-League-Finalsieg von Inter Mailand gegen den FC Bayern in Madrid (2:0) beide Tore erzielte.

Milito hat dem Klub eine europäische Philosophie verpasst. Das bedeutet unter anderem, dass er die Jugendarbeit pflegen lässt - beim letzten Länderspiel der Argentinier waren fünf Spieler dabei, die Racings Nachwuchsabteilung durchlaufen haben. Zudem professionalisierte Milito die Scouting-Abteilung. Der große Kapitän und Torjäger Racings ist Lisandro "Licha" López, 36, der sich bei jedem Tor den Zeigefinger an die Stirn führt. Als Erinnerung an einen Freund, der ihm mal riet: "Denk vor jedem Abschluss nach."

Ebenso wichtig war für den Titelgewinn ein Chilene, der mal in der Bundesliga gespielt hat: Marcelo Díaz, der 2015 entscheidend dazu beitrug, den mittlerweile zweitklassigen Hamburger SV in der Bundesliga zu halten. Vor einem letztminütigen Freistoß im Relegationsspiel beim Karlsruher SC hatte er sich mit Rafael van der Vaart kurz um die Ausführung eines Freistoßes gestritten, als der Niederländer auf der Ausführung beharrte, bügelte ihn Carepato Díaz, das Entengesicht, wie er in der Heimat genannt wird, mit einem legendären Satz ab: "Tomorrow, my friend." Díaz schoss - und traf.

Mourinho schwärmt von Marcelo Díaz

Díaz war in Mexiko tätig, als sich bei Racing der Mittelfeldlenker Mauricio Martínez verletzte. Den Argentiniern war Díaz zwar wegen der Copa-América-Siege mit der chilenischen Nationalelf geläufig, einen richtigen Begriff hatte er aber nicht. Er debütierte und spielte gut, dann beging Trainer Eduardo Coudet den Fehler, den Chilenen im Copa-Libertadores-Duell gegen River Plate auf der Bank zu lassen. Die Folge: Racing ging unter. Danach war Díaz gesetzt, wurde zum "fundamentalen Spieler", wie es Startrainer José Mourinho aus der Ferne diagnostizierte: "Er spielt in Pantoffeln", lobte der Portugiese. Mit dem Pantoffelhelden wurde Racing Tabellenführer und gab die Spitze 200 Tage lang nicht mehr ab.

Am Sonntag reichte ein 1:1-Remis bei Tigres, zu dem Augusto Solari den Racing-Treffer beisteuerte, um vor dem abschließendem Saisonspiel gegen CSD Defensa y Justicia schon den Titel zu feiern. Sie müssen also nicht mehr bis zuletzt zittern, was eigentlich nicht zu Racings Geschichte passt. Der Klub hat mehr Leid als Schalke 04 oder Atlético Madrid erlebt. In Argentinien wird er auch La Academia genannt, aus der Zeit, als man als vermeintlich erster Klub der Welt sieben Meistertitel aneinanderreihen konnte (1913 bis 1919), bis 1966 folgten acht weitere Titel, dann bis 2001 kein einziger mehr.

Lange wurde das darauf zurückgeführt, dass Fans des Nachbarn und Erzrivalen Independiente de Avellaneda sieben Katzen im Rasen verbuddelt haben sollen; gegen diese vermeintliche Verwünschung wurden zwar sieben Frösche als Gegengift vergraben, was aber zunächst nichts half. Die Tradition der Skurrilitäten wird übrigens beibehalten: Ein Reporter des TV-Senders Sports machte bei den Siegesfeiern am Obelisken in Buenos Aires einen Fan namens Gabriel Aranda aus, der einen Totenschädel in der Hand hielt.

"Das ist mein Opa Valentín", erklärte Aranda dem verblüfften Fernsehmann, er habe ihn aus der Nische geholt und immer ins Stadion mitgenommen, auf dass der Großvater nichts verpasse. "Das war unser Glücksbringer", sagte Aranda, und gab sich gewiss, dass ihm sein Opa das nicht nachtragen würde: "Er wäre stolz auf mich" - und wohl auch auf seine Mannschaft. Wie Gardel.

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