Qualifikation zur Europa League:Zornigers schneller, wilder Fußball funktioniert in Dänemark

Football Soccer - Broendby IF vs Hibernian - UEFA Europa League Second qualifying round

Auf Selbstfindungstrip in dem Land, in dem die Menschen am glücklichsten sind - statistisch gesehen: Fußball-Trainer Alexander Zorniger von Brøndby IF

(Foto: Reuters)

In Stuttgart ist er krachend gescheitert, jetzt setzt Trainer Zorniger seinen Fundamentalstil bei Brøndby Kopenhagen fort - in der Europapokal-Quali gegen Hertha will er sich beweisen.

Von Christof Kneer

Kürzlich, als nach einer Minute das 1:0 für seine neue Mannschaft fiel, hat Alexander Zorniger noch mal an seine alte Mannschaft gedacht. Was aus ihm und dem VfB Stuttgart wohl geworden wäre, wenn vor einem Jahr auch mal ein frühes 1:0 gefallen wäre? Oder wenn seine VfB-Spieler von ihren tausend Torchancen vielleicht fünf oder auch nur drei genutzt hätten? "19:4" habe das Chancenverhältnis am fünften Spieltag gegen Schalke gelautet, Zorniger weiß das bis heute auswendig, und diese "19" war noch defensiv gezählt.

In die Wertung kam keine dieser lächerlichen Torchancen, bei denen jemand aus 22 Metern zwei Meter vorbeischießt. Es waren eher so Chancen, bei denen ein Stuttgarter vor dem leeren Tor genau jene Kickschuhspitze des Gegenspielers trifft, die als letztes Hindernis noch im Weg liegt. Der VfB hat faszinierend gespielt in dieser Zeit, aber er hat aus den ersten fünf Spielen der vorigen Saison null Punkte geholt.

"Es hätte eigentlich nicht besser losgehen können damals", sagt Alexander Zorniger heute: "Aber es hätte auch nicht erfolgloser losgehen können."

Man hätte es kaum besser sagen können als Zorniger, 48, der in der Bundesliga dasselbe Bild hinterlassen hat wie der VfB in den ersten Wochen der vergangenen Saison: irgendwie originell und faszinierend, aber gleichzeitig irritierend erfolglos. Im November hat er den VfB dann verlassen müssen, aber besser wurde es in Stuttgart nur sehr vorübergehend.

Alexander Zorniger hat den VfB jetzt erst mal überholt. Während sich die Stuttgarter gerade auf die zweite Liga vorbereiten, spricht der Verflossene zur selben Zeit mit seinen neuen Spielern über Hertha BSC - in Berlin tritt Zornigers neue Mannschaft Brøndby Kopenhagen am Donnerstagabend zum Hinspiel in der dritten Qualifikationsrunde für die Europa League an. Das klingt noch nicht nach ganz großem Fußball, aber größer als die zweite Liga klingt es allemal, und es ist auch der bisher größte Fußball im Leben des Cheftrainers Alexander Zorniger.

Er ist leidenschaftlicher Ostälbler, er hat in Schwäbisch Gmünd Oberliga trainiert, später war er in Großaspach und Leipzig. "Bei meiner Biografie ist Europacup schon was Besonderes", sagt er. In den ersten Qualifikationsrunden hat sich sein Team gegen Valur Reykjavik und Hibernian Edinburgh durchgesetzt, in Edinburgh fiel jenes frühe Tor, das ihm in Stuttgart nicht vergönnt war.

Zorniger weiß, dass es solche Banalitäten sein können, von denen die Glaubwürdigkeit eines Trainers abhängt. "Frühe Erfolge machen es einem Trainer einfacher", sagt er, "und vielleicht ist die Mannschaft hier auch noch ein Tick überzeugter von meinem Stil als in Stuttgart." Zornigers Stil ist eine Fundamentalvariante der sogenannten Backnanger Schule, er lässt einen radikalen Rangnick spielen, schnell, wild und unter bewusstem Verzicht auf Kontrolle.

Die Dänen rufen "Zorniger, Zorniger"

Vielleicht passe so ein Stil besser zu einem Arbeiterklub wie Brøndby, meint Zorniger, "den Leuten gefällt es, wenn man sich reinhaut, auch mal Fehler macht, aber sofort eine Reaktion zeigt". In Dänemark hat er mit Brøndby gleich die ersten beiden Ligaspiele gewonnen, und die Anhänger haben "Zorniger, Zorniger!" gerufen.

Alexander Zorniger ist ein Spektakel, ein wuchtiges Gesamtkunstwerk, über das man - wie sich das für ein Kunstwerk gehört - wunderbar streiten kann. Für die sogenannten Ex-Profis in der Branche, für die Mehmetscholls und Horstheldts, ist er der Inbegriff des Laptop-Trainers, der g'scheit daherredet, und das auch noch in der brachialen Mundart seiner Heimat. Für die Trainer, die selbst Laptops benutzen, ist Zorniger einer, der unfassbar viel übers Spiel weiß und mit diesem unfassbaren Wissen eine ganze Elf anstecken kann.

Und für Zorniger ist Zorniger "ein richtig guter Trainer", der nun aber in Dänemark seine Karriere noch mal neu überprüft. "Dänemark tut mir vielleicht auch als Trainer gut", sagt er, "ich habe mir gesagt, Alex, geh' irgendwohin, wo du dich auf deine Kernkompetenz konzentrieren kannst."

Zorniger weiß inzwischen, dass er beim VfB "zu viele Baustellen aufgemacht" hat, wie er selbst das nennt. Er hat den Spieler Timo Werner öffentlich kritisiert, um dessen Sinne zu schärfen; er hat den Spieler Georg Niedermeier kritisiert, obwohl ihn niemand nach Niedermeier gefragt hatte. Er weiß, dass er vielleicht besser auch mal gar nix gesagt hätte, aber so ist der Zorniger halt nicht, so tickt er nicht, "und am Ende ist bei den Leuten nicht hängen geblieben, was ich gemeint habe, sondern nur ein, zwei Sätze, die ich gesagt habe".

Im Sommer hat er dann schnell gemerkt, dass die Manager anderer Klubs skeptisch waren, wenn sein Name fiel, "wahrscheinlich haben sie gedacht, dass der Zorniger immer nur mit dem Holzhammer durch die Gegend rennt". Also hat er sich für Dänemark entschieden, obwohl er ursprünglich nicht ins Ausland wollte.

Für ihn gehe es jetzt in Dänemark um Grundsätzliches, sagt er: "Ich will sehen, ob der Zorniger mit seiner Art und mit seinem Gerechtigkeitssinn für den Profifußball taugt." Er wird sich anpassen im fremden Land, aber verbiegen will und wird er sich nicht, so wahr er Zorniger heißt. Aktuell stehen die Prognosen ja sehr gut, und immerhin, sagt Zorniger mit einem Schmunzeln, habe er sich für seinen Selbstfindungstrip ja "das Land ausgesucht, in dem die Menschen statistisch gesehen am glücklichsten sind".

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