Süddeutsche Zeitung

Pyrotechnik im Fußball:Stadionverbote sind zu simpel

So gefährlich das Abbrennen von Pyrotechnik auch ist: Der Ruf nach Stadionverboten klingt nur für Liebhaber scheinbar einfacher Lösungen gut.

Kommentar von Freddie Röckenhaus

In der Nacht zum Donnerstag kamen die Fakten zur Lage. Drei Ingewahrsamnahmen, wie die Polizei das nennt, 28 Strafanzeigen, 15 leicht verletzte Fans durch den Einsatz von Pfefferspray durch Dortmunder Ordnungshüter, sechs leicht verletzte Polizeibeamte, davon fünf Verletzungen durch Böller. Na ja, könnte man sagen: Bei 80 000 in einem Stadion gab's schon Schlimmeres.

Die Fans von Union Berlin sind eher für traditionelle Arbeiter-Werte als für Krawall bekannt, 12 000 von ihnen reisten mit der Bahn aus Berlin an. Ihre Präsenz und Anfeuerungs-Rituale: Das kennt Dortmund nicht mal vom Bayern- oder Schalke-Anhang. Aber zu den beeindruckenden Union-Fans zählen, im harten Kern, auch jene Ultras-Gruppen, für die sich das Abbrennen von Bengalos zum Fetisch entwickelt hat, den wohl nur versteht, wer gerade in der Pubertät ist - oder sie nicht beendet bekommt.

Wer je direkt neben oder unter Bengalos stand, der weiß, mit welchem Masochismus es verbunden ist, in einem funkenstiebenden, stinkenden Pyro-Block zu stehen, unter 1000 Grad heißen Fackeln, von denen man hofft, dass ihr vermeintlich heroischer Träger nicht schon so viel Alkohol intus hat, dass er jemandem die Glut auf den Kopf oder auf die ohnehin von den Funken versengte Kleidung fallen lässt.

Ultras betrachten sich als Elite-Fans

Das Kokettieren mit Gefahr und Verbotenem, mit Risiken und Abgründen - oder der bedingungslosen Hingabe an eine nur scheinbar sinnlose Sache wie einen Fußballverein: Das alles liegt im Wesen von Jugendkulturen. Mit starren Verboten allein heizt man die Anziehungskraft solcher Geheimbündlereien nur an. In Dortmund hat man wieder erlebt, dass keine Sicherheitskontrolle das Einschleusen von Pyros ernsthaft unterbinden kann. Der Ruf nach Stadionverboten klingt nur für Liebhaber scheinbar einfacher Lösungen gut. Der Fußball und die Klubs wollen zu Recht nicht ganze Blocks ihrer besonders engagierten Fans mit Stadionverboten ausgrenzen.

Ultras betrachten sich als Elite-Fans, mit teilweise krude anmutendem Wertesystem, zu dem Feuerregen und Rauch gehören und ein läppisches Räuber-und Gendarm-Spiel mit Polizisten und überforderten Ordnern. Der Ligaverband war lange in Gesprächen mit Fan-Vertretern über Möglichkeiten, Pyro-Feuerwerk kontrolliert, organisiert und legal im Stadion abzubrennen; dort sollten die Parteien wieder anknüpfen. Juristisch scheint das zwar schwierig zu sein, aber Pyros würden durch so ein Agreement ein bisschen wie rezeptpflichtige Drogen aus der Apotheke. Die taugen für Schwerst-Süchtige, aber nicht fürs Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Nur Verbotenes behält schließlich seinen Reiz.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2016/ska
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