Pyeongchang:Die Südkoreaner interessieren sich kaum für Olympia

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Olympische Vorfreude: Models in Seoul zeigen die Kleider, in denen sie den Sportlern bei den Winterspielen in Pyeongchang im Februar die Medaillen überreichen werden.

(Foto: imago/Kyodo News)
  • Die Winterspiele in Südkorea finden in Retortenorten statt, in denen außer Köchen, Kellnern und Zimmermädchen sonst niemand wohnt.
  • In Pyeongchang dagegen finden keine Olympiaveranstaltungen statt.
  • Vor allem die jungen Menschen sehen die Spiele kritisch.

Reportage von Christoph Neidhart, Pyeongchang

Sieben Zuschauer mussten neulich von einem Testkonzert im Olympiastadion für die Winterspiele 2018 ins Krankenhaus gebracht werden: Sie litten an Erfrierungen. Im November. Während der Eröffnungsfeier im Februar wird es viel kälter sein. Die Veranstalter bauen nun in aller Eile Gasöfen in das Freiluftstadion ein. Dazu transparente Zwischenwände gegen den Wind. Den 55 000 Zuschauern sollen Wolldecken ausgehändigt werden, den 160 VIP-Gästen besonders dicke.

"Sind das nicht Winterspiele?", fragt ein Mann lachend im "Bau" an der Olympia-Plaza vor dem Stadion, einem im September eröffneten Bioladen mit Café und Kochschule. War es in Vancouver und Sotschi nicht zu warm? Das Dorf Daegwallyeong in der Provinz Gangwon, in dem das Stadion steht, ist Südkoreas Kältepol.

Kälte bedeutet hier nicht unbedingt Schnee. Die Biathlon-WM 2009 fand im Grünen statt, nur die Loipe war ein weißes Band. Am Montag vor Weihnachten treibt ein scharfer Wind tiefe Wolken vor sich her, der Turm der Skisprungschanze verschwindet in den Schwaden. Aber es schneit nur ganz fein; der Wind wirbelt den Pulverschnee wieder auf und trägt ihn davon, auf die Parkplätze, wo er weggeschippert wird. Als das Wetter gegen Abend aufklart, dröhnt von der Langlaufanlage her Lärm wie von Flugzeugen: Schneekanonen.

Olympische Spiele sollen kompakt sein. Das Olympische Komitee (IOC) verlangt kurze Wege. Pyeongchang wird so kompakt sein, wie es seit Sarajevo 1984 keine Winterspiele mehr waren. Damals waren sie noch halb so groß. Alle Wettkampfstätten liegen nun in einem Umkreis von 35 Kilometern vom Olympiastadion. Alpensia und Yongpyong, die Ferienorte, wo die nordischen Wettbewerbe, Biathlon, Bob, Skeleton, Schlitteln- und alpinen Skirennen (außer den Speed-Disziplinen) ausgetragen werden, wirken gar zu kompakt. Und fast zu perfekt. Wie eine Modelleisenbahn, auf der alles zu dicht beieinander liegt.

Die Bobbahn von Alpensia ist eng wie eine Passstraße in den steilen Hang gefaltet, die Sprungschanzen ragen etwas weiter nördlich aus dem Berg. Ihr Auslauf ist ein Fußballstadion, der Golfplatz daneben die Biathlon- und Langlaufanlage. In der nächsten Schlaufe des Seongcheong-Flusses stehen sieben neue Wohntürme: das olympische Dorf. Im Drachental im Rücken des Bobhangs, auch nur ein Spaziergang entfernt, liegt Yongpyong mit den Hängen für Riesenslalom und Slalom. Die Pisten sind eingezäunt, der Auslauf von Hochhäusern gesäumt. Die unwegsamen Wälder des Taebaek, wie das Gebirge heißt, gehören zu einer anderen Welt: Man darf die Pisten nicht verlassen.

Die Kompaktheit ergibt sich, weil Alpensia und Yongpyong Retorten-Orte sind, die in unbewohnten Tälern aus dem Boden gestampft wurden. Außer Köchen, Kellnern, Zimmermädchen und weiteren Servicepersonen wohnt hier niemand. Nur Gäste. Yongpyong wurde 1975 als erste Skistation Koreas gebaut, Alpensia folgte 2003. Die Namen von Restaurants - Mont Blanc und Edelweiss - verraten ihr Vorbild. Auf einem Parkplatz steht ein gelbes Wanderschild: Schweiz 8956 km.

Bis heute fahren nur wenige Südkoreaner Ski. Yongpyong kennen sie von der Wintersonata, einer populären Seifenoper, die hier gedreht wurde. Daegwallyeong ist fürs Eisfischen bekannt. Unter winzigen Zelten, die sie vor Wind schützen, angeln hier Männer aus Eislöchern Forellen. Stundenlang.

Auf Yongpyongs Pisten tummeln sich im Dezember Studentengruppen, meist Anfänger, die in der Früh mit ihrer Uni in Bussen aus Seoul für einen Skitag hergereist sind. Dazu einige Touristen, vor allem aus Hongkong. Sie kämen jedes Jahr, erzählt Familie Wang, während die zwei Kinder sich auf Gimbap stürzen, die koreanischen Sushi. Die beiden gehen in die Skischule, die Eltern fahren für sich, das philippinische Kindermädchen wartet unten am Hang mit warmen Jacken. "Aber viele Hongkonger probieren Skifahren nur einmal, dann haken sie es ab", so Vater Wang.

Im Umkreis von zwei Stunden leben eine Milliarde Menschen

Das Motto der Spiele lautet "Neue Horizonte". Es könnte auch "Neue Märkte" heißen. Das Hyundai-Forschungsinstitut sagte der Gegend in den kommenden zehn Jahren knapp 50 Milliarden Euro zusätzliche Tourismus-Einnahmen voraus. Im Umkreis von zwei Flugstunden leben eine Milliarde Menschen, die zum Wintersport animiert werden sollen. Die Prognose gilt inzwischen als viel zu optimistisch.

Das Café Bau beim Olympiastadion verdankt seine Existenz Geldern, die für die Spiele in die Gegend fließen. Die zwei Frauen, die aus Großstädten hierher geheiratet haben und nun das Café führen, lachen, nein, die Spiele interessierten sie nicht.

Der Nordosten Südkoreas ist arm und überaltert, die Jungen wandern ab. In abgelegenen Seitentälern gibt es keine Kinder mehr, die Schulen wurden geschlossen. Daegwallyeong, das Zentrum der Spiele, war ein Straßendorf am gleichnamigen Pass zur Küste hinunter. Seine 6000 Einwohner leben von Schafzucht, Kohl, Kartoffeln, von Windenergie und vom Tourismus. Olympia soll ihnen helfen, Bioprodukte - Maulbeer- und Shisandra-Wein aus Spaltkörbchen-Beeren, Ginseng, Heilkräuter und Hwangtae, luftgetrockneter Seelachs - unter der Marke Pyeongchang zu verkaufen. In jener Kreisstadt 40 Kilometer südlich, die den Spielen ihren Namen gegeben hat, finden keine Olympiaveranstaltungen statt.

Es gibt schon Streit um die Kosten nach den Spielen

Korea ist ein geteiltes Land; nicht nur in Nord und Süd, auch Südkorea selbst: in arm und wohlhabend, nach Dialekten und Regionen, politisch und vor allem in Stadt und Land. Die Hälfte der 50 Millionen Südkoreaner leben im Großraum Seoul, trinken Milchkaffee und zahlen mit Karte. Dieses urbane, weltgewandte Korea dringt mit Olympia in die bäuerliche Provinz. Neben dem Café Bau in Daegwallyeong sind Sportboutiquen entstanden. Dahinter wohnen die Menschen weiter in schäbigen Hanok, wie die traditionellen eingeschossigen Häuser genannt werden. Eine ältere Frau zum Beispiel, die - wie die meisten Koreaner - kein Englisch spricht, aber ein Samsung-Handy besitzt. Ich stelle meine Fragen dem Handy, es übersetzt. Sie antwortet via Handy, und man versteht sich: Für Olympia habe sie keine Zeit, sagt sie. Und später: Sie könnte sich ein Ticket gar nicht leisten, die seien fürchterlich teuer.

Der Kartenverkauf für die Spiele läuft zäh, bisher wurde kaum die Hälfte der für Korea reservierten Tickets abgesetzt. Eine amerikanische Agentur erklärte das mit der Angst der Leute vor Nordkorea. Das ist absurd, der internationale Ticketverkauf läuft besser als jener in Korea. Nordkorea ist für die Südkoreaner im Zusammenhang mit Pyeongchang kein Thema. Südkoreas Präsident Moon Jae-in, der die USA aufgefordert hat, Manöver bis nach den Spielen zu verschieben, hofft, dass Pyongyang auch eine Mannschaft schickt. Seine Landsleute hat Moon aufgefordert, Tickets zu kaufen. Und weil das nicht reicht, die Stadien zu füllen, zahlen nun Schulen und Firmen für ganze Blöcke.

Für das geringe Interesse gebe es viele Gründe, weiß die Studentin Park Jiwon. Die Jungen sähen die Spiele kritisch. Nicht nur, weil ein heiliger Wald am Gariwang-Berg für die Abfahrt abgeholzt wurde, mehr noch wegen der Kosten von mehr als elf Milliarden Euro. "Die Vorstellung, die Spiele würden der Provinz Gangwon Wohlstand bringen, ist eine Illusion. Wir leben nicht mehr im Jahr 1988." Für die Sommerspiele von Seoul wurden damals neue U-Bahn-Linien gebaut, die Wohnungen im olympischen Dorf waren begehrt.

Da es im Korruptionsskandal um die geschasste Präsidentin Park Geun-hye nun auch um Geld für Pyeongchang 2018 ging, "haben die Spiele einen schlechten Beigeschmack", sagt Park. "Aber da wir die Spiele nun mal haben, müssen wir alles unternehmen, dass sie zum Erfolg werden." Wintersport interessiere die Koreaner schon, so die Studentin. "Jedenfalls Eislaufen, wo wir gut sind." Doch selbst Medaillenhoffnungen werden sie nicht vor den Fernseher locken: "Ich sehe mir die Clips an, wenn ich weiß, dass wir gewonnen haben."

Für Südkoreas Star - die Eiskunstläuferin Kim Yu-na, die Eislaufen in Korea bekannt gemacht hat, 2010 Gold gewann und in Sotschi von den Preisrichtern zugunsten einer Russin um den Sieg geprellt wurde, wie viele glauben - kommt Pyeongchang zu spät. Sie hat aufgehört, eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. Auch im Eisschnelllaufen ist Korea eine Macht, vor allem im Short-Track werden Medaillen erwartet. Doch auch diese Sportarten haben keine Breite. Für Koreas Eishockeymannschaft rekrutierte der Verband koreanischstämmige Nordamerikaner.

Zwei Welten, die sich kaum berühren

In der Küstenstadt Gangneung sind für die Spiele auf einem Hügel drei glitzernde Eishallen gebaut worden. Im Hang dahinter kräht vor einem Hagwon ein Hahn, Hühner staksen durch den Kohl. Zwei Welten, die sich kaum berühren. Im Stadtzentrum wird an diesem Tag die Schnellbahnlinie nach Seoul eingeweiht, das einzige nachhaltige Infrastrukturprojekt der Spiele. Ohne sie hätte Gangneung lange auf eine Netzanbindung gewartet.

Bereits jetzt streiten die Provinz Gangwon und Seoul um die Kosten nach den Spielen, etwa den Unterhalt der Wettkampfstätten. Für die Provinz sind die Spiele ein Projekt der Zentralregierung. Also des urbanen Korea. Es soll zahlen. Aber die Regierung hat dafür kein Geld.

Nur die Zukunft des Olympiastadions, das jedem Dorfbewohner von Daegwall-yeong acht Plätze bieten würde, ist bereits entschieden. Die 61 Millionen Euro teure Arena, gebaut einzig für Eröffnungs-, Schlussfeier und Siegerehrungen, wird wieder abgerissen. Der Wind wäre für Winterveranstaltungen ohnehin zu kalt.

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