Putin-Spiele oder Patriotismus?:Olympia spaltet die Russen

Russian President Vladimir Putin watches from the stands during the Team Ladies Free Skating Program at the Sochi 2014 Winter Olympics

Russlands Präsident Wladimir Putin in Olympia-Kluft bei den Eiskunstlaufwettbewerben in Sotschi

(Foto: REUTERS)

In Russland tobt ein olympischer Bürgerkrieg der Meinungen: Während die Umfragewerte von Staatspräsident Wladimir Putin steigen sollen, werden Parallelen zu den 1936er-Spielen in Berlin diskutiert.

Von Julian Hans, Moskau

Es war am Sonntag im Sportpalast "Eisberg", die 15 Jahre alte Julia Lipnizkaja hatte gerade mit ihrem Auftritt für die Mannschaft der russischen Eiskunstläufer das erste Gold geholt, und Wladimir Putin, im roten Overall, hatte sich von seinem Platz auf der Tribüne erhoben und applaudierte ausdauernd. Da taten es ihm die anderen Zuschauer gleich und der Kommentator des russischen Staatsfernsehens sagte: "Wenn der Präsident des Landes aufsteht, stehen alle auf."

Nachhilfe in Patriotismus ist in diesen Tagen in Russland eigentlich nicht mehr nötig. Hatten vor dem Start der Spiele Berichte über Korruption, Sklavenarbeit, Terrorgefahr und zerstörte Natur viele Russen erzürnt, ist spätestens seit der prächtigen Eröffnungsfeier die Stimmung umgeschlagen.

Während im Fischt-Stadion bunte Zwiebeltürme orthodoxer Kirchen tanzten und die rote Lokomotive der Revolution durch die Luft rauschte, schrieb der Kreml-Gegner Alexej Nawalny auf Twitter, mehr noch als über die Zeremonie selbst freue er sich darüber, dass jetzt alle schrieben: "was für eine coole Eröffnung". Noch wenige Tage zuvor hatte er einen Bericht veröffentlicht, der detailliert aufschlüsselte, wer von Putins Freunden in der russischen Wirtschaft wie viel von den umgerechnet 51 Milliarden Dollar abbekommen hat, die für die Spiele ausgegeben wurden.

Den letzten Impuls, näher zusammenzurücken, hat womöglich ausgerechnet die Kritik aus dem Ausland geliefert. Spöttische Kommentare über unfertige oder bereits wieder baufällige Hotels wurden nicht mehr als Ergebnis der alles durchdringenden Korruption aufgefasst, wegen der jeder Türgriff fünffach überteuert bezahlt, aber nie eingebaut wurde, sondern als Beleidigung der Gastgeber.

Seitdem tobt in russischen Medien, vor allem aber im Internet, ein erbitterter Streit darüber, was die richtige Einstellung zu den Wettkämpfen in Sotschi sei, die auf der ganzen Welt den Stempel "Putins Spiele" bekommen haben. Freunde werfen sich gegenseitig vor, wahlweise nicht kritisch oder nicht patriotisch genug zu sein.

Der Schriftsteller Boris Akunin, eine der Integrationsfiguren während der Proteste gegen Wahlfälschungen vor zwei Jahren, schimpfte über den "Facebook-Masochismus", als dort hämische Berichte über Zwillings-Toiletten und rostbraunes Leitungswasser die Runde machten. Er sei kein Sportfan, er hoffe einfach, dass es keine Anschläge geben werde und das Land sich nicht blamiere: "Ich schwöre bei Gott, ich werde nicht nach dem Prinzip leben: Was schlecht für Putin ist, ist gut für uns."

"Jetzt müssen wir mit dieser Schizophrenie leben"

Anfang dieser Woche nun ist der Streit um den Umgang mit Putins Spielen eskaliert. Einen "olympischen Bürgerkrieg" nannte der Satiriker und Journalist Wiktor Schenderowitsch die Auseinandersetzung im Netz und brachte die Kernfrage auf den Punkt: "Wo hört ihr Staat auf - und wo fängt mein Land an?" Putin habe Lew Tolstoi, die Künstler der Avantgarde und den ersten Kosmonauten Jurij Gagarin vor seinen Karren gespannt, alles, was die Russen an ihrem Land lieben - "und jetzt müssen wir mit dieser Schizophrenie leben".

Lipnizkaja, dieses "kleine Mädchen auf Schlittschuhen" gefalle ihm wirklich sehr. Aber auch den Deutschen hätte 1936 der junge Kugelstoßer Hans Woellke sehr gefallen, der damals die erste Leichtathletik- Medaille holte und "die Jugend des neuen Deutschland" symbolisierte. Natürlich sei er nicht schuld gewesen an den Vernichtungslagern, "aber es hat sich so ergeben, dass er dazu beigetragen hat".

Wladimir Wasiljew, der Fraktionsvorsitzende der Kreml-Partei Einiges Russland, forderte eine Entschuldigung. Ein Abgeordneter der rechtsliberalen LDPR empfahl, Schenderowitsch in die Psychiatrie einzuweisen. Dieser habe "unseren modernen, demokratischen Staat mit dem faschistischen Deutschland verglichen", sagte Michail Legtjarew der Zeitung Izwestia. Für einen Bericht über den Fall kramte der Sender Rossija alte Bilder hervor, die mit versteckter Kamera gedreht wurden und Schenderowitsch beim Besuch einer Prostituierten zeigen sollen. Der Jude Schenderowitsch wurde als Faschist beschimpft und erhielt SMS-Drohungen: "Für Lipnizkaja reißen wir Dir den Kopf ab!"

Sowohl er als auch Alexej Wenediktow, der Chefredakteur des liberalen Senders Echo Moskaus, auf dessen Website Schenderowitschs Beitrag erschienen war, lehnen es ab, sich zu entschuldigen. Man solle nicht so tun, als ginge es bei den Olympischen Spielen nur um Sport, sagte Schenderowitsch. Ob er mit seiner Annahme recht hat, dieses "geniale Mädchen, könnte bei ihrem Flug über das Eis auch Putins Umfragewerte mit in die Höhe nehmen", ist derzeit noch offen.

Umfragen darüber, wie sich die Olympischen Spiele auf das Ansehen Russlands und des Präsidenten auswirken, sollen erst nach der Abschlussfeier am 23. Februar veröffentlicht werden. Ein Sprecher des staatlichen Meinungsforschungsinstituts Wziom ließ aber bereits jetzt durchblicken, dass Sotschi Wladimir Putin tatsächlich den erwarteten Aufschwung bringen könnte. Putins Ratings zeigten eine "Dynamik", wie sie nur sehr selten zu beobachten sei, sagte Stepan Lwow der New York Times.

Laut dem unabhängigen Lewada-Institut halten 23 Prozent der Russen die Spiele für "würdig und wichtig für unser Land", 38 Prozent sind überzeugt, dass die Spiele überwiegend dazu dienten, Geld aus der Staatskasse abzuzweigen. Allerdings wurde die Erhebung noch vor der Eröffnung durchgeführt. In einer Online-Umfrage der Nachrichtenagentur Ria Nowosti antworteten auf die Frage: "Was erwarten Sie von den Olympischen Spielen?" 32 Prozent: "Ein würdiges Auftreten der russischen Mannschaft." An zweiter Stelle stand mit 23 Prozent die Antwort: "dass sie bald zu Ende gehen".

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