Public Viewing in Brasilien:Party im Hochsicherheitstrakt

Fußball-WM, Public Viewing, Salvador

Gedrosselte Stimmung: Fans beim offiziellen Public Viewing der Fifa in Salvador

(Foto: dpa)

Mit dem Charme einer Dauerwerbesendung: Beim offiziellen Public Viewing des Fußball-Weltverbands in Salvador de Bahia stehen vor allem die Sponsoren im Mittelpunkt. Richtige brasilianische Partystimmung kommt nur auf inoffiziellen Fanmeilen auf - trotz absurder Rahmenbedingungen.

Von Thomas Hummel, Salvador

Der Mann verfügt über einen stattlichen Bauch, dennoch tänzelt er leichtfüßig über die Bühne. Er hat eine dieser kehligen, rauchigen Stimmen, über die nur langjährige Whisky- und Zigarrenkonsumenten verfügen. Er spricht sehr schnell, regelmäßig kommen vier Laute aus seinem Mund, die verstärkt durch die Lautsprecher wie vier Schüsse klingen: "Fifafanfest!"

Das Fifafanfest von Salvador da Bahia liegt herrlich gelegen an der Spitze der Stadt am alten Leuchtturm, eingerahmt vom Atlantischen Ozean. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, die WM der Brasilianer beginnt. Die Seleção spielt gegen Kroatien, wobei es egal ist, gegen wenn die Seleção spielt. Es soll ein riesiges, einzigartiges Fest werden.

Es wird ein Fifafanfest.

Der Fußball-Weltverband nötigt dem Ausrichterland einer WM nicht nur auf, in und um die Stadien auf die Präsenz seiner Sponsoren zu achten. Er verpflichtet die Städte zusätzlich, Fifafanfeste zu veranstalten, die den Charme einer Dauerwerbesendung im Hochsicherheitstrakt besitzen.

Am Leuchtturm von Salvador ist das so, und auch an der berühmten Copacabana in Rio de Janeiro. 20.000 sollen es dort sein, in Salvador zählt die Polícia Militar - die Bereitschaftspolizei - 10.000 Menschen, wobei sie die paar Hundertschaften Polizei wohl mitgerechnet hat. Die meisten Besucher haben gelbe Trikots übergestreift, manche auch grüne oder blaue, auf jeden Fall Trikots der Seleção.

Obwohl fast keine Brasilianer hier sind. Sowohl an der Copacabana wie auch am Leuchtturm von Salvador wird das Fifafanfest bevölkert von Touristen aus Deutschland, Spanien, Holland, USA, Mexiko. Fast alle Brasilianer schauen das Spiel zu Hause mit Freunden im eigenen Viertel an.

Das Areal ist rundherum abgesperrt. Am ersten Tor kommt niemand rein, es ist ein Ausgang. Die Ordner schicken die Leute durch das halbe Viertel, um sich am offiziellen Eingang in eine lange Schlange einzureihen. Wer es rechtzeitig zur Eröffnungsfeier auf die Wiese vor dem Leuchtturm schafft, sieht dennoch: nichts. Nur ein Standbild mit den Sponsoren des Fifafanfests. Nachdem sich ein örtlicher Minister später laut der Zeitung A Tarde darüber beschwert, antworten die Organisatoren: Die Fifa habe ihnen lediglich erlaubt, das Spiel zu übertragen.

"Es ist ein Fest, es ist 100 Prozent brasilianisch"

Der Weltverband verweigert den Menschen in Salvador also Jennifer Lopez, Claudia Leitte und den Rapper Pitbull. Dafür können sie zwei Menschen mit Glatzen und Brillen bestaunen, die in der Menge eine Fahne von Fortuna Düsseldorf flattern lassen - und sich dabei fotografieren lassen, als Beweistücke für den Niederrhein. Die Düsseldorfer Stimmungskanonen werden allerdings eine gute halbe Stunde vor Anpfiff wie alle anderen von einem kräftigen Schauer abgekühlt. Nach zehn Minuten ist der Regen vorbei, aber alle sind nun nass. Wenigstens ist es warm.

20 Minuten vor Spielbeginn tänzelt der dickliche Moderator auf die Bühne, schießt dreimal ein Fifafanfest heraus und zählt brav die Sponsoren auf. Die sind wahrlich nicht zu übersehen auf den riesigen Leinwänden, den Absperrungen, einigen Verkaufsständen. Der Moderator liest sie noch einmal vor. Dann wünscht er "muita alegria", viel Freude mit unserer Seleção. Die Menschenmenge jubelt. Zehn Minuten vor dem Anpfiff läuft endlich das Fernsehbild aus dem Stadion in São Paulo. Bis Ortszeit 17:48 Uhr.

Haargenau eine Sekunde, nachdem der einseitig leitende Schiedsrichter die erste Hälfte abgepfiffen hat, sehen die Leute wieder das Standbild mit den Sponsoren. Vermutlich darf man nur das Spiel sehen, nicht die Halbzeitpause. Der Moderator hüpft wieder auf die Bühne, schießt zweimal das Wort Fifafanfest hinaus, zählt zweimal alle Sponsoren auf, ruft ein bisschen "Força Brasil!" Ein paar Leute jubeln, die meisten verstehen ihn nicht.

Als die erste Partie dieser WM vorüber ist, leert sich der Platz vor dem Leuchtturm bald. Wo war die brasilianische Party? In Rio de Janeiro fand sie wie immer auf der Rua Alzira Brandão, einer grün-gelb angemalten Straße im Stadtteil Tijuca, statt. Dort ist kein Fifafanfest, es kommen die Menschen zusammen, um sich gemeinsam das Spiel auf einer Leinwand anzusehen und zu feiern. 20.000 sollen es auch dort sein, beim Elfmeter von Neymar zünden sie Böller und Feuerwerkskörper.

Die Begriffe "Copa" und "Brasil" sind verboten

Dabei wollte die Fifa dieses traditionelle Public Viewing im Norden von Rio verbieten, denn wo sind hier die Sponsoren-Standbilder? 28.000 Reais (rund 9300 Euro) sollten die Veranstalter dem Weltverband überweisen, damit sie bei der WM ihre Leinwand ohne Sponsoren aufstellen dürfen. Mit Unterstützung der lokalen Behörden setzten die Einwohner ihre Party durch. "Es ist ein Fest, es ist Brasilien 2014, es ist 100 Prozent brasilianisch", lautet das Motto. Die Begriffe "Copa" (WM) und "Brasil 2014" dürfen sie nicht benutzen. Die Fifa hat es ihnen verboten.

In Salvador endet der Abend noch angemessen. Die Organisatoren schicken zwei Wagen durch die Menge: Auf dem ersten spielt eine Samba-Gruppe, begleitet von Trommlern und Tänzern, Auf dem zweiten eine hiesige Band. Die wenigen Brasilianer im Publikum singen jedenfalls alle Lieder mit. Die Deutschen, Spanier, Holländer, Amerikaner und Mexikaner holen ihre Smartphones raus, machen Videos und sind glücklich. Es ist doch noch die erhoffte brasilianische Nacht, mit Samba, Fußball, ein bisschen Karneval. Und ohne Fifafanfest.

Mit Material von sid

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