Champions League:PSG erstarrt, Neymar motzt, Tuchel hadert

  • Paris St. Germain, der reich alimentierte Klub von Trainer Thomas Tuchel, scheitert erneut früh in der Champions League.
  • Diesmal verhindert der Video-Referee in allerletzter Minute das Weiterkommen gegen ein glückliches Manchester United.

Von Sven Haist, Paris

Nichts rührte sich mehr bei Paris Saint-Germain. Die Spieler, die nicht direkt nach Abpfiff aus dem Stadion geflüchtet waren, hatte der Schock an Ort und Stelle auf dem Platz erstarren lassen. Wie Mumien standen Kylian Mbappé, Marquinhos, Ángel Di Maria, Juan Bernat und Presnel Kimpembe am Strafraum, jeweils unfähig zu kommunizieren. Auf den Tribünen saßen Fans und kauerten vor sich hin, ohne einen Mucks zu machen. Ihr Entsetzen besaß eine Ausprägung, die sie in ihrer Enttäuschung nicht mal weinen ließ. Der Prinzenpark glich für eine Weile einem Friedhof, als würde das aus Katar gelenkte Paris Saint-Germain (mitsamt der Obsession, die Champions League zu gewinnen) gerade für immer und ewig beerdigt werden.

Wenn nicht Eric Maxim Choupo-Moting nach dem Aus im Achtelfinale der Königsklasse gegen Manchester United jedem seiner Mitspieler mit einer Trostspende wieder auf die Beine verholfen hätte, wären sie wohl nach wie vor am selben Rasenfleck zu besichtigen. Der weinende Mbappé benötigte den meisten Zuspruch, zuvor hatte er bei Paris die meisten Chancen vergeben; sein französischer Landsmann Kimpembe musste von Choupo-Moting gar auf dem Weg in die Kabine gestützt werden, nachdem er den entscheidenden Elfmeter verursachte hatte. Am liebsten hätten die Beteiligten wohl sofort auf Nimmerwiedersehen das Weite gesucht.

Denn das von Thomas Tuchel trainierte Paris Saint-Germain hat sich am Mittwoch mit dem größten Malheur der Klubgeschichte zur Lachnummer gemacht. Was gar nicht so einfach war gemessen daran, dass sich Paris fast auf den Tag genau vor zwei Jahren in Barcelona schon richtig blamiert hatte (Hinspiel 4:0, Rückspiel 1:6). "Das ist eine Katastrophe. Nichts hat heute funktioniert", klagte Kapitän Thiago Silva. Selbst seine nach der Halbzeitpause gehaltene Motivationsrede vor der Teamkabine blieb wirkungslos. Die Zeitung L'Équipe titelte: "Ein Alptraum".

Paris kickt laissez-faire vor sich hin

Mit einem 3:1 hat United nach einem 0:2 im Hinspiel im Old Trafford aufgrund der mehr erzielten Auswärtstreffer nach fünf Jahren wieder das Viertelfinale der Champions League erreicht. Die Frage ist nur: Wie zum Teufel? Bis dahin gelang es keinem Verein im Wettbewerb nach einem mit mindestens zwei Toren verlorenen Heimspiel auswärts noch die Runde zu meistern.

Dieses Missgeschick könnte Paris sicherlich wegstecken, aber nicht im Zusammenhang, dass der englische Rekordmeister aufgrund von Sperren und Verletzungen zum Rückspiel anreiste: ohne Kapitän Antonio Valencia, Paul Pogba, Anthony Martial, Jesse Lingard, Alexis Sanchez, Nemanja Matic, Ander Herrera, Juan Mata, Phil Jones und Matteo Darmian. Durch das Fehlen von zehn mehr oder weniger Startelfspielern traf PSG auf eine Notformation, für die es einzig darum ging, sich achtbar aus der Affäre zu ziehen. Stattdessen brachte der Tabellenführer der französischen Ligue 1 das Kunststück fertig, die Gegner groß rauszubringen - und zwar ganz groß.

Als ob vor Anpfiff festgestanden wäre, dass ManUnited generell nicht weiterkommen könnte, kickte Paris in der eigenen Überlegenheit laissez faire vor sich hin. Die Chronologie des Spielverlaufs bewies dann einmal mehr, Prognosen über den Ausgang welcher Begegnung auch immer tunlichst zu unterlassen, weil stets etwas anderes passiert, als gemeinhin angenommen wird. Nach 111 Sekunden stand es 1:0 für United, im Spielaufbau leistete sich Thilo Kehrer einen haarsträubenden Querpass in den Fuß des United-Angreifers Romelu Lukaku.

Bei dessen zweitem Treffer zum 2:1 (für PSG hatte Juan Bernat in der zwölften Minute ausgeglichen) bediente ihn Buffon, der einen harmlosen Schuss aus 25 Metern vor seine Füße prallen ließ (30.). Beinahe hätte Marquinhos vor Ende der ersten Halbzeit ein Eigentor für Paris nachgelegt und Di Maria eine gelb-rote Karte - ehe Kimpembe in der 90. Minute einen meterweit am Tor vorbeigehenden Distanzschuss im Strafraum mit der Hand abwehrte.

Nach Überprüfung der Fernsehzeitlupen entschied der slowenische Schiedsrichter Damir Skomina auf Elfmeter. Unbeeindruckt von den minutenlangen Verzögerungen verwandelte Marcus Rashford in der vierten Minute der Nachspielzeit seinen ersten Strafstoß für United in einem Pflichtspiel. "Eine Schande. Die setzen vier Typen hin, die nichts von Fußball verstehen, um sich das Spiel in Zeitlupe anzuschauen. Das ist surreal. Oh f*ck off", ging Neymar auf Instagram den Schiedsrichtern an den Kragen. Kurz darauf löschte er den Beitrag.

Tuchel kann es nicht fassen

Der am Mittelfußknochen verletzte Brasilianer verfolgte die dramatische Endphase am Spielfeldrand. "Geht mit ihm nicht zu hart ins Gericht. Das ist schnell ins Smartphone getippt. Wenn man emotional ist, werden manchmal Worte benutzt, die man später bereut", sagte Tuchel. In seinen Ausführungen deutete er an, dass er selbst erst mal nachvollziehen müsse, was sich wirklich ereignet hat: "Die schießen drei Tore, ohne anzugreifen. Wenn man auf diese Weise verliert, ist das grausam." Dabei versuchte er , sich vor die Mannschaft zu stellen, wo er nur konnte, indem er auf jede Art von Schuldzuweisung verzichtete.

So wie das auch Vereinsboss Nasser Al-Khelaïfi mit ihm machte. Dessen Schulterklopfer bei der Umarmung erweckten den Eindruck, am Deutschen festhalten zu wollen. "Ich vertraue ihm", sagte Al-Khelaïfi hinterher. Nach dem frühen Knockout in der Champions League geht es für PSG in dieser Spielzeit lediglich um die eingeplanten Titel in Liga und Pokal.

Für Manchester United bedeutet der Erfolg die Fortsetzung des Wiederaufbaus der eigenen Reputation, die nach dem Rücktritt von Sir Alex Ferguson in den vergangenen fünf Jahren gelitten hat. In der Trainerzone umarmte jeder jeden nach dem entscheidenden Treffer, sogar Taktikzettel flogen wild durch die Luft. Endlich hatte ManUnited wiedergewonnen, wie es die eigene DNA vorsieht: in Fergie Time, so dass kein Gegner mehr reagieren kann, weil die Spielzeit jeweils nahezu vorüber ist. Der Sieger unter den Siegern hieß Ole-Gunnar Solskjaer.

Vor den Augen seines Mentors Ferguson brillierte der norwegische Interimstrainer mit ständigen Wechseln zwischen Dreier- und Viererkette, je nachdem was der Spielverlauf gerade erforderte, als wolle er sich für das Hinspiel rehabilitieren, bei dem ihm kaum etwas einfiel. "Das ist eine typische United-Nacht. Wir können den Weg in der Champions League bis zum Ende gehen", sagte Solskjaer. Wie das funktioniert, weiß er aus eigener Erfahrung. Im Finale 1999 erzielte er mit der fast letzten Spielsekunde das Siegtor gegen den FC Bayern. Und ließ damit die Münchner ähnlich paralysiert zurück wie seine Spieler nun 20 Jahre später Paris Saint-Germain.

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