Tuchel bei Paris Saint-German:Entlassung zum Fest

Coach Thomas Tuchel (FC Paris Saint Germain) - Champions League Saison 2020-2021 Gruppenphase RB Leipzig vs. FC Paris Sa

Thomas Tuchel muss bei Paris Saint-Germain gehen.

(Foto: Christian Schroedter/imago images)

"C'est fini": Just an Weihnachten trennt sich Frankreichs Serienmeister PSG von seinem deutschen Coach - der hatte sich zuletzt über fehlende Wertschätzung beklagt.

Von Oliver Meiler

Es war ja nur eine Frage der Zeit gewesen, die Zerrüttung schon weit fortgeschritten, unrettbar: Thomas Tuchel ist nicht mehr Trainer von Paris Saint-Germain. "C'est fini", schreibt L'Équipe mit der lakonischen Fassung eines lange erwarteten Vollzugs. Es ist vorbei. Und wenn man nun dennoch von einer Überraschung spricht, dann nur wegen des präzisen Zeitpunkts - zu Weihnachten, nach einem 4:0 über Straßburg. Tuchels Vertrag wäre im kommenden Sommer ohnehin ausgelaufen - sechs Monate, das hätte man doch noch erdulden können.

Mit dem Sportdirektor von PSG, dem Brasilianer Leonardo, war das Klima aber dermaßen schlecht geworden, dass jeder Vorwand gut genug war für eine schnelle und - die Anspielung sei erlaubt - irgendwie unchristliche Trennung.

Den Vorwand servierte Tuchel mit seinem Interview im deutschen Sender Sport 1 gleich selbst. Vor dem Spiel gegen Straßburg hatte das so viel zu reden gegeben, dass sich TT nach dem Spiel länglich erklären musste.

Zentral waren zwei Passagen. Eine handelte davon, dass der Coach bedauerte, wie wenig Anerkennung seiner Mannschaft (und ihm) zuteil werde, obschon sie doch in der vergangenen Saison "fast alles" gewonnen hat. Da hat er natürlich recht: PSG gewann den Meistertitel in der Ligue 1, die beiden französischen Pokalwettbewerbe, und in der Champions League brachte man es bis ins Finale gegen den FC Bayern. Und trotzdem habe man nie das Gefühl gehabt, sagte Tuchel, dass die Leute die Leistungen schätzten. Das stimme manchmal etwas traurig und bitter. Die Erwartungen seien einfach extrem. Es heiße immer, die haben Di María, Mbappé und Neymar: "Da ist es normal, dass sie in Bordeaux gewinnen."

In der zweiten Passage mit einigem Aufregerpotential reflektierte Tuchel die Rolle, die einer als Trainer von PSG habe. In den ersten sechs Monaten habe er sich gefragt, ob er nun ein Trainer sei oder eher ein Sportpolitiker, ein Sportminister - "was ist meine Rolle als Trainer in einem solchen Verein?" Nach dem Meisterschaftsspiel gegen Straßburg sagte er dann, das sei "ein Witz auf Deutsch" gewesen. "Aber die Übersetzung war nicht korrekt, die Stelle war auch nicht autorisiert."

Ein dummes Missverständnis zum Schluss? Lost in translation?

Im Rückblick lässt sich sagen, dass Tuchels Engagement in Paris trotz offensichtlicher Erfolge, trotz der Titel und Trophäen und des großen Erlebnisses beim Final Eight in Lissabon mit dem plötzlich entdeckten Kollektivsinn eines Teams aus hoch bezahlen Individualisten am Ende ein großes Missverständnis war. Als die katarischen Besitzer von PSG 2018 den früheren Coach des BVB nach Paris holten, hofften sie, dass der seinem Ruf alle Ehre machen würde und - unbeeindruckt von großen Namen - dem Team einen tollen, modernen Fußball beibringt, der sie endlich ganz an die Spitze hebt: an die einzige, die zählt, nämlich an die europäische. Seit 2011 jagen der katarische Emir und seine Emissäre dem Ziel nach, die Königsklasse zu gewinnen. Alles andere ist Beigemüse.

So nahe wie Tuchel kam dem Ziel noch kein Trainer der katarischen Ära, weder Carlo Ancelotti, noch Laurent Blanc, auch Unai Emery nicht. Und doch war man nie wirklich zufrieden. Tuchel gelang es nicht, der Mannschaft eine Spielidentität zu geben, sie war selten spektakulär. Am Ende entschied oft die Einzelklasse der Superstars, von einem orchestrierten Ensemble spürte man nicht viel. Auch seine Führungsqualitäten gerieten schnell in Zweifel: Die Weltprominenz in der Umkleide schwebte immer einige Sphären über ihm, so jedenfalls machte es den Eindruck. Zuweilen zeigten die Spieler ihren Unmut recht unverblümt.

Richtig prekär wurde Tuchels Lage aber im Sommer 2019, als die Katarer Leonardo nach Paris zurückholten, wieder einmal. "Leo" spielte früher für PSG, als der junge Verein noch fußballerische Provinz war - Provinz in der sonst schon provinziellen Ligue 1. Der alte und neue Sportdirektor verstand sich nie mit Tuchel, da prallten zwei Welten aufeinander. Leonardo ist seit seiner Zeit beim AC Mailand eng mit dem Calcio verbunden: Die meisten Transfers in seinem ersten und nun auch in seinem zweiten Mandat als "Directeur sportif" tätigte er im italienischen Fußballmarkt. Über den jüngsten, Mercato, war Tuchel alles andere als glücklich und tat das auch öffentlich kund, was nicht eben zur Klimaverbesserung beitrug.

Ohne den Henkelpott ist alles nichts

Nach dem verlorenen Finale in der Champions League ließ PSG einige verdiente Stützen ziehen, unter anderem den Kapitän und Abwehrchef, den Brasilianer Thiago Silva, zudem Mittelstürmer Edinson Cavani und den Außenverteidiger Thomas Meunier. Tuchel fand, die Italiener Alessandro Florenzi und Moise Kean sowie Last-Minute-Verpflichtung Rafinha machten den Verlust in keiner Weise wett. Die zwei Rivalen trafen sich zur Aussprache, doch es gab wohl schon nichts mehr zu kitten.

Seither hieß es in den französischen Medien, Tuchel werde seinen Vertrag wohl zu Ende bringen, weil man sich kein zweites Trainersalär leisten wolle in der Krise. Verlängert würde der Vertrag aber ganz sicher nicht, egal, was noch komme. Und was kam, war beileibe nicht berauschend. PSG ist derzeit Dritter der Ligue 1, einen Punkt hinter Lyon und Lille. In der Champions League konnten sich die Pariser zwar für das Achtelfinale qualifizieren, am Ende sogar als Gruppenerster, aber dennoch nur mit Mühe. Und nun steht der FC Barcelona an, einmal mehr. Die Erinnerungen an 2017, an jenes memorable, monumentale 1:6 im Camp Nou, hallt noch immer nach. Der Emir in Doha soll sich damals einen Moment lang überlegt haben, ob er dieses teure Abenteuer hinschmeißen sollte. Eineinhalb Milliarden Euro haben die Katarer bisher allein für spielendes Personal ausgegeben.

Als möglicher Nachfolger von Tuchel wird der Argentinier Mauricio Pochettino gehandelt, der früher Tottenham Hotspur coachte und es mit den Londonern ebenfalls bis ins Finale der Champions League schaffte, 2019. Das glauben wenigstens die italienische Gazzetta dello Sport, die dann und wann von Leonardo exklusiv informiert wird, und L'Équipe - unisono. Auch Pochettino war einmal Spieler bei PSG, Verteidiger, lange her. Herumgereicht wird jetzt auch der Name von Massimiliano Allegri, dem ehemaligen Trainer von Juventus Turin. Zu beneiden ist keiner, der den Job dann mal erhält: Unter vier Trophäen ist alles nichts, und eine davon muss der Henkelpott sein.

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