Am Donnerstag gab die Bundesanwaltschaft (BA) der Schweiz bekannt, dass sie eine neue Anklage erhebt: gegen den früheren Generalsekretär im Fußball-Weltverband Fifa, Jérôme Valcke, und gegen den Klubchef von Paris Saint-Germain, Nasser Al-Khelaifi. Angelastet wird dem Duo sowie einem nicht genannten dritten Geschäftsmann Korruption bei der Vergabe von TV-Rechten für die WM-Turniere 2026 und 2030. Al-Khelaifi, auch Geschäftsführer des TV-Senders BeIN in Katar, soll sich wegen "Anstiftung zu der von Valcke begangenen ungetreuen Geschäftsbesorgung" verantworten. Aber tatsächlich hat der Topvertreter des katarischen Staatssports in dieser Sache kaum noch etwas zu befürchten. Dafür hat die Fifa selbst gesorgt - und dem Weltfußball eine neue, undurchsichtige Affäre verschafft.
Die BA hatte seit 2017 ermittelt und Belege gefunden, dass Valcke im Gegenzug für die von ihm auffallend frühzeitig betriebene Rechtevergabe "nicht gebührende Vorteile" von den Mitbeschuldigten erlangt habe: das Alleinnutzungsrecht an einer Villa auf Sardinien, geschätzter Gegenwert bis zu 1,8 Millionen Euro. Valcke, den die Fifa im Herbst 2015 wegen anderer Delikte suspendierte, hatte dem Arbeitgeber diese Vorteile nicht gemeldet. Ein stiller WM-Rechtedeal, ein privates Strandhaus: der Sachverhalt erschien so klar, dass auch die Fifa Klage wegen Bestechung einreichte.
Nun aber kommt dieses mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe belegte Delikt nicht auf den Tisch des Schweizer Bundesstrafgerichts. Die Fifa schlug es der BA in letzter Sekunde aus der Hand - und vereitelt damit möglicherweise die Aufarbeitung eines viel tiefer reichenden Kriminalstücks. Ende Januar zog sie die Klage gegen ihren ehemaligen Spitzenangestellten Valcke und Al-Khelaifi zurück - mit dem schlichtem Verweis auf eine "gütliche Einigung", die man getroffen habe. Aber wer hat sich mit wem geeinigt? Und welche Gründe haben zu dieser jähen Einigung geführt?
Die Schweizer Ermittler sind merklich verstimmt ob des Manövers des Weltverbandes
Das juristische Gaukelspiel, die sportpolitische Gemengelage und der Unmut der Strafbehörde, die anmerkt, dass die Fifa ihren Klage-Rückzug nicht einmal "näher definiert" habe, werfen die Frage auf: Hat Katar den Fifa-Boss Gianni Infantino unter Druck gesetzt? Und falls ja: Womit?
Die BA legt die Prozessvermeidungstaktik der Fifa mit galligen Zwischentönen offen: "Da die Bestechung von Privaten ein Antragsdelikt war, entfiel mit dem Rückzug des Strafantrags eine Prozessvoraussetzung für die weitere Strafverfolgung. Entgegen der bereits erfolgten Ankündigung gegenüber den Parteien wird die BA das Verfahren in Bezug auf diesen Verdacht konsequenterweise einstellen müssen." Heißt: Wir können nicht anders, weil die Fifa unter Infantino plötzlich meint, ihr Ex-General Valcke habe sich mit der Luxusvilla keinen korrupten Vorteil verschafft.
Diese auch aus Behördensicht verdächtige Volte des Weltverbandes nährt Spekulationen in eingeweihten Kreisen. Ohne Frage würde ein Korruptionsprozess der Fifa gegen Katars hohen Fußballmanager die dortige WM 2022 massiv beschädigen. Auch deren Vergabe Ende 2010 steht ja stark im Ruch der Korruption; Strafermittlungen auf drei Kontinenten förderten verdächtige Geldtransfers und andere Hinweise ans Licht. Auch sind vom damaligen, 24 Fifa-Vorstände umfassenden Wahlgremium heute nur noch zwei übrig, die nicht mit irgendwelchen Strafvorwürfen im Fußballkontext belastet sind. Katar selbst wies stets alle Korruptionsvorwürfe zurück.
Fifa-Boss Infantino und Katars Al-Khelaifi: Die beiden haben mehrere brisante Berührungspunkte. Gerade sorgt die Verbannung Manchester Citys für zwei Jahre aus der Champions League durch die Europa-Union Uefa für Schlagzeilen, der englische Erstligist soll gegen die Financial-Fairplay-Regeln (FFP) verstoßen haben. Einen sehr ähnlichen Fall hatte die Uefa 2014 auch gegen Paris Saint-Germain anhängig; aus Daten der Plattform "Football Leaks" geht hervor, dass Infantino, damals Uefa-General, dem Team von PSG-Chef Al-Khelaifi bei der Vermeidung harter FFP-Strafen geholfen habe.
Die Affäre rückt nun aber auch die mysteriösen Drähte zwischen Infantino und BA-Chef Michael Lauber erneut in den Fokus. Lauber ist im Mai 2019 von den Fußballermittlungen der eigenen Behörde suspendiert worden, er hätte deshalb fast den Job verloren. Das Duo hatte sich mindestens dreimal geheim getroffen, ohne Protokoll; insbesondere ein Meeting sticht nun ins Auge. Es fand im Juni 2017 statt, als die Ermittlungen in Sachen Valcke/Katar erst drei Monate alt waren; und es fand Tür an Tür zur Botschaft von Katar statt: im Berner Nobelhotel Schweizerhof, das dem Emirat gehört. Geradezu absurd: Ausgerechnet dieses zweistündige Treffen wollen Lauber, Infantino und zwei Begleiter kollektiv vergessen haben. Nicht nur die Inhalte: das Treffen selbst! Dabei war Katars Hotel schon zuvor Schauplatz eines Treffs zwischen Lauber und Infantino gewesen.
Das Restverfahren gegen Valcke und Al-Khelaifi, sofern es eröffnet wird, dürfte zumindest für den Katarer wenig Risiken bergen. Insidern zufolge soll das Duo die Rechte zu marktüblichen Preisen verkauft haben; das dürfte es schwierig machen, dem Katarer eine Anstiftung zu untreuem Geschäftsgebaren nachzuweisen. Jedoch ist es dem superreichen Emirat nie um den möglichst billigen Erwerb von Fußballrechten gegangen - sondern darum, sich mit viel Geld immer tiefer und auf allen Ebenen im Fußballgeschäft zu verankern.
Licht ins neue Dickicht um Infantino und Al-Khelaifi, um Fifa und Katar, könnte die Uefa bringen. Dort sitzt Al-Khelaifi im Vorstand, angesichts der drohenden Anklage drängt sich eine vorläufige Suspendierung auf. Und bei der Fifa-Sitzung im März könnte die Uefa auf Offenlegung der "gütlichen Einigung" mit Al-Khelaifi/Valcke drängen. Es geht um Fifa-Geld, um Vorteilsnahme in Millionenhöhe, und Infantino erzählt ja ständig von der angeblichen "Nulltoleranz" der Fifa gegen Korruption. Al-Khelaifi, der alle Vorwürfe bestreitet, ist übrigens seit Mai 2019 in Frankreich angeklagt - wegen aktiver Bestechung bei der Vergabe der Leichtahtletik-WM an Katar.