Süddeutsche Zeitung

PSG in der Champions League:Neymar wirft die Motoren an

Zu Beginn der Coronakrise flog Neymar überstürzt nach Brasilien - und arbeitete dort offenbar tatsächlich hart an seiner Fitness. Beim Finalturnier der Champions League kommt es bei Paris vor allem auf ihn an.

Von Javier Cáceres, Lissabon

Mitte März war es, und Monsieur le Président sprach ein paar Worte, die den brasilianischen Stürmer Neymar Jr. dazu verleiteten, die Motoren anwerfen zu lassen. "Nous somme en guerre", wir sind im Krieg, rief Emmanuel Macron der französischen Nation in einer Fernsehansprache zu; das Coronavirus sei ein Feind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. Es klang unbehaglich. Und so gehörten die Motoren, die Neymar anwerfen ließ, einem Privatjet in Paris.

Noch ehe irgendjemand auf die Idee kommen konnte, den Stürmer von Paris Saint-Germain in der französischen Hauptstadt einzusperren, flüchtete Neymar in seine brasilianische Heimat. Begleitet von seinem Landsmann und PSG-Kapitän Thiago Silva, den er in Rio de Janeiro absetzte, ehe er selbst mit dem Helikopter auf sein Anwesen in Mangaratiba weiterflog, knapp 120 Kilometer von der Copacabana entfernt. Fast fünf Monate später ist Neymar längst zurück in Europa, am Dienstagmittag schwebte er zusammen mit dem PSG-Tross nach ein paar Tagen der Vorbereitung in Quinta do Lago an der Algarve durch eine graue Wolkendecke in der portugiesischen Hauptstadt ein.

Und wenn nicht alles täuscht, so hat er nicht nur andere Motoren anwerfen lassen - sondern seinen körpereigenen ebenfalls auf Betriebstemperatur gebracht.

Am Mittwoch startet PSG gegen Atalanta Bergamo in Lissabon ins Champions-League-Turnier, und nach allem, was man zuletzt aus Frankreich hörte, sah und las, scheint Neymar sich mit dem Gedanken angefreundet zu haben, in Lissabon zu brillieren. Nach der überstürzt anmutenden Flucht und der abgebrochenen französischen Meisterschaft hatte es gedauert, bis die Verantwortlichen bei PSG Kontakt zu Neymar hatten. Aber Neymar hatte diesmal nicht nur die unvermeidlichen Buddies mitgenommen, die, gern auch nach Mitternacht, für seine Belustigung sorgen.

Neymar hielt sich in der Heimat fit

Sondern eben auch: seinen persönlichen Fitnesscoach Ricardo Rosa, mit dem er auch bei PSG zusammenarbeitet. Er respektierte die Quarantäneregeln und frönte sogar einem modernen Patchwork-Familienleben. Er holte die Mutter seines Sohnes und deren neuen Lebensgefährten ins Haus. In den sozialen Netzwerken waren keine kompromittierenden Partyfilme zu sehen, sondern Dokumente der körperlichen Ertüchtigung. Und für die Übungen, bei denen er einen Partner brauchte, Futvoley etwa, rekrutierte er einen abgelegten Freund der Schwester namens Lucas Lima, dem Neymars Vater als Manager einen üppigen Vertrag bei Palmeiras São Paulo verschaffte. Und siehe, es half. Bei den Endspielen um den Pokal (gegen St. Etienne) und den Ligapokal (gegen Olympique Lyon) wirkte Neymar fit - und ambitioniert.

Das sind nicht die schlechtesten Nachrichten für PSG-Trainer Thomas Tuchel. Denn ein paar Personalsorgen hat der frühere Coach von Mainz 05 und Borussia Dortmund dann doch. So wie der nach Dortmund abgewanderte Verteidiger Thomas Meunier lehnte es auch der uruguayische Stürmer Edinson Cavani ab, den zum 30. Juni auslaufenden Vertrag bei PSG für die Dauer des Champions-League-Turniers zu verlängern. Marco Veratti fehlt verletzt; der argentinische Flügelstürmer Ángel Di María ist gesperrt.

Und Kylian Mbappé, der genialisch veranlagte französische Weltmeister, laboriert an einer Verletzung, nachdem er Ende Juli im Pokalfinale von St. Etiennes Verteidiger Loic Perrin brutal zusammengetreten wurde. Es gilt den Franzosen als Segen, dass er wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen ist, gegen Atalanta dürfte er aber nur auf der Bank sitzen. Bleibt also tatsächlich nur Neymar, der vor der großartigen Chance steht, einem Turnier - das auch in seiner brasilianischen Heimat verfolgt wird - seinen Stempel aufzudrücken.

Die Gelegenheit könnte auch insofern günstig sein, als er kaum Ablenkungen ausgesetzt zu sein scheint. Das laufende Transferfenster ist das erste seit langem, das frei ist von Neymar-Gerüchten. Der Brasilianer war 2017 für die Rekordablösesumme von 222 Millionen nach Paris gewechselt; und auch wenn es sich in Paris bei einem Jahresgehalt von knapp 40 Millionen Euro ganz gut leben lässt, so besteht sein Wunsch, zum FC Barcelona zurückzukehren, fort. Es hätte auch eine Option gegeben, die Ablöse durch die Fifa festlegen zu lassen, anhand eines Schlüssels, in den unter anderem die Vertragsrestlaufzeit (bis 2022) und das Alter (28) einfließen. Der Betrag hätte bei circa 180 Millionen Euro gelegen, sagen Juristen. Aber: Barça signalisierte dem Vater und Manager Neymar Sr. vor Monaten, dass man das Geld für eine solche Operation nicht habe. Im Grunde bleibt Neymar also gar nichts anderes übrig, als in Paris zu triumphieren.

Dass er die Voraussetzungen dafür hat, steht außer Frage. Obwohl seine Zeit in Paris vor allem von langwierigen Verletzungen geprägt war, hat er in 82 Spielen 70 Tore und 39 Assists gesammelt. Darunter waren auch spielentscheidende Treffer, gegen Dortmund im Achtelfinale der Champions League oder beim 1:0-Sieg im Pokalfinale gegen St.-Etienne. Doch seine "Stunde des Ruhms", wie die L'Équipe mit Blick auf das Spiel gegen Atalanta schrieb, sie kommt erst jetzt.

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SZ vom 12.08.2020/jki
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