Bayern-Gegner PSG:Der Zirkus hat die Stadt verlassen

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Schutzschild für die Küken: Luis Enrique gibt sich gegenüber Journalisten oft knorrig, könnte bei einer Niederlage in München aber gehörig unter Druck geraten. (Foto: Abdul Saboor/REUTERS)

Mit Trainer Luis Enrique setzt Paris ohne Glamour-Spieler auf die Jugend und spielt pragmatischen Fußball. In der Ligue 1 klappt das gut, aber in der Champions League fehlen entscheidende Dinge - in der Partie in München könnten erneut ein paar Teenager auflaufen.

Von Stefan Galler

Schon vor mehr als 20 Jahren hat Uli Hoeneß seinen Standpunkt klargemacht: Fußball und Zirkus haben nichts miteinander zu tun. Genauer gesagt: Sie sollten nichts miteinander zu tun haben. Jedenfalls empfahl Hoeneß, seinerzeit noch als Manager des FC Bayern im ständigen Attacke-Modus, dem damaligen Dortmunder Otto Addo eine Umschulung: „Der soll in den Zirkus Sarrasani gehen. Der hat auf dem Fußballplatz nichts zu suchen“, polterte Hoeneß nach einem emotionalen Duell seiner Bayern mit dem BVB.

Ausgerechnet vor dem für beide Mannschaften ziemlich wichtigen Champions-League-Spiel der Bayern am Dienstagabend gegen Paris Saint-Germain erweist sich nun der PSG-Trainer Luis Enrique als Hoeneß-Bruder im Geiste: „Um unglaubliche Dinge zu sehen, muss man in den Cirque de Soleil gehen“, sagte er am Freitagabend. Seine Mannschaft hatte gerade gegen Toulouse ziemlich schnörkellos 3:0 gewonnen, inklusive zweier später Tore.

Es war ein Auftritt, der typisch war für das neue PSG. Pragmatisch wird auf Ergebnis gespielt, die Mannschaft arbeitet im Kollektiv und praktiziert alles andere als Hurra-Fußball. Prompt war der heimische Prinzenpark gegen das graumäusige Toulouse gefühlt erstmals seit Jahren nicht ausverkauft. Zaubershows wie in den vergangenen Jahren, als Neymar, Lionel Messi und Kylian Mbappé das Fußballvolk regelmäßig mit Hacke, Spitze, Tralala zum Jauchzen brachten, sind mittlerweile in Paris die Ausnahme.

Die Verantwortlichen des seit 2011 vom Emirat Katar finanzierten Klubs haben ihre Lektion gelernt.  Denn wie beim Vorbild Real Madrid, das etwa zu jener Zeit, als Hoeneß seinen Zirkus-Vergleich anstellte, mit den „Galaktischen“ Zidane, Beckham, Ronaldo und Figo antrat und immer wieder unsanft ins Irdische zurückgeholt wurde, platzten auch die Pariser Träume vom Gewinn der Champions League bisher Jahr für Jahr.

Abgesehen vom Erreichen des Endspiels in der Corona-Saison 2019/20, das PSG gegen die Bayern durch ein Tor des in Paris ausgebildeten Kingsley Coman 0:1 verlor, sind die Erfolge in der Königsklasse überschaubar. Das lag auch an der Disziplin der prägenden Leute: Neymar war ständig verletzt oder machte regelmäßig die Nacht zum Tag, indem er entweder bis zum Morgengrauen Online-Poker spielte oder durch die Diskotheken zog. Messi vermittelte nie das Gefühl, er fühle sich in Paris wohl. Und Mbappé war zwar bis zum unschönen Bruch mit dem Verein im vergangenen Frühjahr der Effektivste aus dem Trio, er verweigerte aber schon allein deshalb irgendwann jede Defensivarbeit, weil das die beiden anderen schillernden Mitspieler auch taten. Was in der heimischen Ligue 1 nicht (titel-)entscheidend ins Gewicht fiel, brachte PSG international stets ins Straucheln.

PSG setzt neuerdings auf Jugendarbeit – gerne auch mal auf die anderer Vereine

Deshalb nun der radikal neue Kurs, den Paris mit der Trennung von Neymar und Messi sowie der Verpflichtung des knorrigen asturischen Trainers Luis Enrique im Sommer 2023 einläutete und den der Klubpräsident Nasser Al-Khelaifi als Abkehr vom „Bling-Bling“ bezeichnete. Fortan sollte mehr Wert auf Teamgeist und Jugendarbeit gelegt werden, übrigens gerne auch mal auf die anderer Vereine, weshalb man beispielsweise vor gut einem Jahr den damals 20-jährigen Flügelstürmer Bradley Barcola aus Lyon holte – und im jüngsten Transfersommer Joao Neves, 20, von Benfica Lissabon, Desiré Doué, 19, aus Rennes und Willian Pacho, gerade 23 geworden, von der Frankfurter Eintracht.

Gesetzt ist bei Luis Enrique der 18 Jahre alte Mittelfeldspieler Warren Zaïre-Emery, auch andere Teenager wie Mittelfeldspieler Senny Mayulu, Rechtsverteidiger Yoram Zague oder der erst 16-jährige Flügelstürmer Ibrahim Mbaye erhalten regelmäßig Spielpraxis. Angeleitet werden sie von ein paar Routiniers, die aus der alten Ära übrig geblieben sind – wie Kapitän Marquinhos oder der Marokkaner Achraf Hakimi. Der Coach gibt dabei den menschlichen Schutzschild für die Küken und legt sich immer wieder mit der Presse an, etwa als er neulich sagte, bei seiner anstehenden Vertragsverlängerung würde er sogar Gehaltseinbußen hinnehmen, wenn er im Gegenzug weniger mit Reportern reden müsste.

In der Liga stürmt PSG auch in der neuen Formation ungeschlagen der Konkurrenz davon, aktuell liegt man sechs Punkte vor Adi Hütters AS Monaco und neun vor dem runderneuerten, hoch gewetteten Olympique Marseille von Roberto de Zerbi. „Mit dem Ball sind wir außergewöhnlich. Ich wiederhole: außergewöhnlich“, sagt Luis Enrique. Und doch muss er einräumen, dass zwischen den Leistungen in der Liga und jenen in der laufenden Champions League ein himmelweiter Unterschied besteht. In Europa fehlt es an Abgeklärtheit und Effektivität – mit nur vier Punkten nach vier Partien und angesichts des heftigen Restprogramms (Bayern, Salzburg, Manchester City, Stuttgart) ist nicht mal die Teilnahme an der Zwischenrunde der Plätze neun bis 24 für Paris sichergestellt.

Nimmt man die Vorsaison hinzu, in der PSG trotz einer unscheinbaren Kampagne erst im Halbfinale an Borussia Dortmund abprallte, hat Luis Enrique als Paris-Trainer bisher nur sechs von 16 Champions-League-Spielen gewonnen – 37,5 Prozent. Das ist die schwächste Bilanz alles PSG-Übungsleiter seit dem Einstieg der Scheichs, schlechter als Carlo Ancelotti, Laurent Blanc, Unai Emery, Thomas Tuchel, Mauricio Pochettino und Christophe Galtier.

Pochettino gelang es als einzigem aus dieser Reihe, mit PSG in München zu gewinnen – im April 2021 (3:2), als man die Bayern im Viertelfinale aus dem Wettbewerb warf. Diesmal sollte nun auch Luis Enrique aus Fröttmaning dringend etwas mitnehmen. Sonst könnte sein angeblich unterschriftsreifer neuer Vertrag doch noch im Reißwolf landen – und der Zirkus nach Paris zurückkehren.

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