Prozess in Dortmund:Ginters Tränen vor Gericht

Prozess um den Sprengstoffanschlag auf den BVB-Bus

Matthias Ginter als Zeuge beim Prozess um den Anschlag auf den BVB-Teambus.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)
  • Der Ex-Dortmunder Matthias Ginter tritt als Zeuge im Prozess um den Anschlag auf den BVB-Teambus auf.
  • Er spricht über Gedanken ans Aufhören und das Trauma, das noch immer nachwirkt.

Von Annette Ramelsberger, Dortmund

Gerade sitzt der Mann noch da, volle Körperspannung, klarer Blick. Matthias Ginter, 24 Jahre alt, Profifußballer, erst bei Borussia Dortmund, nun in Mönchengladbach, ist als Zeuge vor Gericht geladen. Er soll berichten, wie es war vor einem Jahr, damals am 11. April 2017, als direkt neben dem Mannschaftsbus des BVB drei Bomben explodierten und die Spieler in Todesangst versetzten.

Ginter fängt an, ganz sachlich, er erzählt, dass er noch mit seinem Kollegen Marc Bartra gesprochen hat, dass es dann einen lauten Knall gab. Splitter, Nebel. Und dann zucken die Schultern von Ginter. Das Mikro überträgt ein Schluchzen in den Saal, Richter und Staatsanwalt sehen ihn an, dann sehen sie weg. Dann schalten sie das Mikro aus. Es reicht auch so.

Da sitzt ein großer, starker Junge, der weint. Und zwei Meter neben ihm der Angeklagte, der zugegeben hat, die Bomben gezündet zu haben.

"Wie fanden Sie das, dass Sie am nächsten Tag spielen sollten?" - "Nicht gut."

Ginter ist nicht der erste aus dem Mannschaftsbus, der vor dem Landgericht Dortmund als Zeuge auftritt. Vor ihm waren schon der frühere BVB-Trainer Thomas Tuchel da, BVB-Spieler Roman Weidenfeller und als erster Marc Bartra. Der Spieler, den die Splitter am Arm verletzt hatten, der operiert werden musste. Alle anderen wurden nicht verletzt, zumindest nicht körperlich. Doch noch immer ist es so, als wäre der Anschlag erst ein paar Tage vorbei.

Matthias Ginter fängt sich, er wischt sich die Tränen aus den Augen. Er hatte auch schon den Anschlag von Paris im Herbst 2016 miterlebt, als die deutsche Mannschaft stundenlang im Stadion ausharren musste. Dann kam Dortmund. "Ein paar haben geschrien: ,Legt euch auf den Boden!' War nicht klar, ob noch was kommt", sagt er. Er sah Marc Bartra bluten, zu Boden gehen. Und dann, zwei Stunden später, eröffnete ihnen die Vereinsführung, dass sie gleich am nächsten Tag gegen Monaco wieder spielen müssen.

"Wie fanden Sie das, dass Sie am nächsten Tag spielen sollten?" fragt Richter Peter Windgätter. "Nicht gut", sagt Ginter, "ich glaube, dass niemand aus der Mannschaft spielen wollte. Aber wir haben dann gesagt, wir müssen das gemeinsam durchstehen." Entweder gemeinsam absagen oder gemeinsam durchziehen. Absagen kam freilich nicht in Frage. Es wurde ihnen zwar freigestellt zu spielen. Aber natürlich wurde ihnen auch deutlich gemacht, was es bedeutet, wenn sie nicht spielen: drei Punkte für Monaco, null für sie. Und dass es doch eine Chance sei für sie, bei einem Champions-League-Spiel aufzulaufen.

"Ich wollte nicht das aufgeben, was mir Spaß macht."

Ginter erzählt auch, dass Trainer Tuchel dagegen war, dass die Mannschaft gleich wieder spielt. Tuchel selbst hatte vor Gericht gesagt, die Entscheidung für dieses Spiel sei der Anfang vom Ende seiner Zeit beim BVB gewesen. Auch der Torwart Weidenfeller hatte erzählt, dass die Mannschaft gegen das Spiel war. Doch dann kamen eben die Terminschwierigkeiten. Und die Umstände. Und die Zusicherung, dass sie keine Angst haben müssen. "Hatten Sie eine Alternative?", wird Ginter gefragt. "Es wollte keiner. Keiner war in der Lage, seine beste Leistung zu geben." Das heißt: Nein, es gab keine Alternative.

Auch heute noch wirkt das Trauma nach. Wenn es irgendwo laut wird, zuckt Ginter zusammen. Wenn er in Düsseldorf am Rhein entlangschlendert und ein LKW kommt auf ihn zu - da wechselt er die Seite. Die Bilder der Terroranschläge gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und er hat sich überlegt, mit dem Profisport aufzuhören. Weil bei Großereignissen immer ein Risiko herrscht: "Ich habe mich gefragt, ob es das wert ist." Er hat lange gegrübelt. Dann hat er weitergemacht: "Ich wollte nicht das aufgeben, was mir Spaß macht."

Aber dann fragt ein Anwalt: "Wie ging es der Mannschaft nach dem Spiel gegen Monaco?" Ginter setzt an: "Viele haben geweint, waren am Boden zerstört, froh, dass das Spiel vorbei war." Dann überwältigt ihn die Erinnerung. Die Schultern zucken, der junge Mann schluchzt.

Neben ihm sitzt der Angeklagte Sergej W., 28 Jahre alt. Der Mann, der sagt, er habe niemanden verletzen wollen, niemanden töten. Nur den Aktienkurs von Borussia Dortmund drücken und damit Geld machen. Sergej W. schaut auf den Boden, die ganze Zeit. Bei Marc Bartra hatte er sich noch entschuldigt. Zu Matthias Ginter sagt er nichts.

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