Blatter-Platini-Prozess:Eine helvetische Telenovela

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Dass Michel Platini gesperrt wurde und ein Schweizer Quereinsteiger namens Gianni Infantino dem Franzosen den Fifa-Thron wegschnappte: Auch das ist offenkundig das Resultat der Berner Justizarbeit. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Das Verfahren rund um eine ominöse Zwei-Millionen-Franken-Zahlung in Bellinzona wirft neue, heikle Fragen auf. Der Ruf der Schweizer Justiz steht mehr denn je auf dem Spiel.

Kommentar von Thomas Kistner

Dass die Schweizer Justiz in weiten Teilen Vetterleswirtschaft ist, zeigt sich filmreif in ihren Fußballverfahren. Der frühere Bundesanwalt Michael Lauber zum Beispiel, ein selbstgewisser Mensch, riss Ende 2014 die Hoheit über den Fifa-Verfahrenskomplex an sich. Als die Vergaben der WM-Turniere 2018 (an Russland) und 2022 (Katar) immer klarer vom Verdacht der Korruption umweht wurden, drängte der Chef der Berner Strafbehörde den Weltverband zu einer Anzeige gegen unbekannt. Das half auch der Fifa: Sie konnte sich jetzt als Opfer stilisieren, was hilfreich war angesichts der heranpreschenden US-Justiz.

Lauber genoss die globale Strahlkraft der Fußballfälle. Dass seine Bundesanwaltschaft (BA) herumstümperte; dass er seine Behörde dank geheimer Treffen mit dem schillernden Fifa-Boss Gianni Infantino ins Image-Desaster führte und schließlich selbst zum Ermittlungsziel wurde, gemeinsam mit Infantino - das verleiht dieser eidgenössischen Justizgeschichte das Odeur einer sizilianischen Telenovela.

Eine mit Fortsetzung: Die Causa Lauber/Infantino liegt heute bei einem reaktivierten Rentnerduo der Zürcher Staatsanwaltschaft, das als Meister der Verfahrenseinstellung gilt. Jetzt aber müssen die Veteranen richtig ran - und zwar an die ominösen Dates des Bundesanwalts mit dem Fußballboss. Sonst ist der Ruf der heimischen Justiz vollends ramponiert. Eingebrockt hat ihnen das der andere, intakte Teil der Schweizer Justiz. Erst hatte die Aufsichtsbehörde (AB-BA) über Laubers lustigem Detektivladen eine haarsträubende Skandalchronik recherchiert und den Abgang des Bundesanwalts initiiert. Dann, Stichwort Telenovela, verschwanden mit ihm seine Dienstmails aus der heiklen Zeit.

Bleiben die Sonderermittler passiv, machen sie die Schweiz endgültig zur Spielwiese für die ansässigen Sportverbände und Patrone

Seriös wirkt auch das Strafgericht in Bellinzona. Dort wird ja gerade eine Millionenzahlung verhandelt, die der Fifa-Chef Sepp Blatter im Jahr 2011 seinem Europa-Pendant Michel Platini anweisen ließ. Aber im Grunde geht es darum, wie diese Strafermittlung im Jahr 2015 überhaupt in Gang kam. Und als der einstige BA-Ermittler Olivier Thormann in Bellinzona jüngst eine luftige Erzählung präsentierte, wie er seinerzeit auf die Zahlung gestoßen sein will, dabei sogar den Ex-Finanzdirektor der Fifa zum Hinweisgeber machte, geschah das Unerhörte: Das Gericht lud den Mann vor! Obwohl die BA und Fifa dies strikt abgelehnt hatten.

Und sieh an: Markus Kattner, der einstige Fifa-Finanzchef, zerriss Thormanns Aussage, weshalb dieser nun eine Klage Platinis am Hals hat. Platini glaubt ja seit Langem, was die Aktenlage nun heftig insinuiert: dass die Ermittler des Strippenziehers Lauber damals um jeden Preis ein Verfahren gegen Platini lostreten wollten - damit nicht der Franzose, sondern ein anderer Fifa-Präsident werden konnte. Ob es so war, ist weiter zu recherchieren. Dass der Franzose wegen einer bizarr begründeten Ermittlung, in der er nicht einmal Beschuldigter war, gesperrt wurde und ein Schweizer Quereinsteiger namens Gianni Infantino seinen Thron wegschnappte: Das ist das Resultat dieser BA-Arbeit.

Dank Bellinzona müssen nun die Sonderermittler äußerst heikle Fragen klären: Warum saß ein enger Vertrauter Infantinos im Herbst 2015, nur Wochen nach der Razzia im Fifa-Quartier, in Laubers Büro? Was hatte Infantinos Intimus mit dem Bundesanwalt besprochen; warum begannen gleich darauf diskrete Recherchen bei Platinis Bank? Und warum führte Laubers BA eine Strafermittlung zu einem anrüchigen TV-Vertrag, den Infantino signiert hatte, nie gegen den Unterzeichner?

Bleiben die Sonderermittler passiv, machen sie die Schweiz endgültig zur Spielwiese für die ansässigen Sportverbände und ihre Patrone. Wobei das natürlich der passende Schlussakt wäre, für diese helvetisch-sizilianische Telenovela.

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