Prozess gegen Blatter und Platini:Der ganze Fall wackelt

Prozess gegen Blatter und Platini: Der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter steht als Angeklagter vor dem Gericht in Bellinzona.

Der ehemalige Fifa-Präsident Sepp Blatter steht als Angeklagter vor dem Gericht in Bellinzona.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Im Verfahren gegen Sepp Blatter und Michel Platini sagen Zeugen zugunsten der ehemaligen Funktionäre aus. Nun hört das Gericht einen Ex-Fifa-Mitarbeiter an, der den Weltverband in Erklärungsnot bringen könnte.

Von Thomas Kistner

Es wird spannend im Prozess um eine Zwei-Millionen-Franken-Zahlung zwischen Sepp Blatter und Michel Platini. Die Bundesanwaltschaft (BA) klagt das Duo wegen dieser Zahlung an. Der Vorwurf: Sie sei nicht nachvollziehbar und betrügerisch. Doch am Freitag sagten zwei frühere Topangestellte des Fußball-Weltverbandes und der Europa-Union vorm Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona zugunsten der früheren Präsidenten von Fifa und Uefa aus, diese hätten mündlich einen Beratervertrag für Platini in Höhe von einer Million Franken per annum über vier Jahre vereinbart.

Nun wackelt der Fall enorm. Und noch mehr gilt das für die brisante Verdachtsfrage hinter dem Verfahren, die da lautet: Wie und warum kam die BA damals nach den Razzien bei der Fifa im Mai 2015 so blitzschnell auf diese Millionenzahlung? So flott, dass sie schon im September eine Strafermittlung gegen Blatter/Platini eröffnen konnte, die den Weltfußball umstürzte. Statt des klaren Thronfavoriten Platini, der ob der Ermittlung gesperrt worden war, stieg aus dem Nichts dessen Generalsekretär bei der Uefa, Gianni Infantino, zum Fifa-Präsidenten auf. Infantino, der dann im Amt allerlei diskrete Treffen mit dem damaligen BA-Chef Michael Lauber abhielt. Und gegen den Laubers Behörde netterweise nicht ermittelte, als sie 2016 ein Strafverfahren zu einem anrüchigen Fernsehvertrag der Uefa eröffnete - ein Kontrakt, den Infantino als zuständiger Uefa-Direktor unterzeichnet hatte. Wegen ihrer Geheimtreffen, an deren letztes sich beide nicht erinnern können, wird gegen Infantino und Lauber ermittelt; der Bundesanwalt hat deshalb mittlerweile sogar sein Amt verloren.

Das ist nun das Dilemma der Fifa und der Bundesanwaltschaft in Bellinzona: Die Blitzermittlung einer sonst nur durch Pleiten und Pannen auffälligen BA gegen Blatter/Platini muss als juristisches Glanzstück dastehen - und sie darf keine Nähe zwischen Laubers BA und Infantinos Fifa aufzeigen.

Wer wird denn vom eigenen Arbeitgeber geschmiert? Geht das überhaupt?

Das ist schon deshalb kompliziert, weil bereits am 8. Juli 2015, also ein paar Wochen nach der Razzia, ein enger Vertrauter Infantinos bei Lauber hockte: nämlich Rinaldo Arnold, Kantonsjurist aus dem Wallis und praktischerweise ein Schulfreund des jetzigen Fifa-Bosses. Arnold trat fortan als heftiger Fürsprecher Infantinos bei der BA auf, er fädelte sogar zwei der späteren Geheimtreffen ein (und nahm selbst daran teil). Parallel wurde ihm Gutes zuteil: Bei der WM 2018 in Russland posierte er mit gekrönten Häuptern in der VIP-Loge. Auch hatte die Fifa schon ein lukratives Pöstchen für Arnold parat, als diese schräge Liaison aufflog. Insofern lautet eine Kernfrage: Was hatte Lauber schon im Juli 2015 ausgerechnet mit Infantinos Intimus zu besprechen?

Das liegt völlig im Dunkeln. Die Teilnehmer des Treffens machten öffentlich und gegenüber der intern untersuchenden Aufsichtsbehörde über der Bundesanwaltschaft (AB-BA) stark abweichende Angaben. Weshalb auch die AB-BA den Verdacht formulierte, das mysteriöse Date könne Interessen Infantinos berührt haben. Das wäre der GAU für Fifa und BA.

Zu alledem passt die merkwürdige Sachlage, die am Donnerstag in Bellinzona der damalige Chefermittler der BA vortrug. Olivier Thormann sagte aus, er habe im Mai 2015 beim Hausbesuch in der Fifa die Herausgabe der Finanzunterlagen zu den damaligen Fifa-Exekutivmitgliedern verlangt. Dabei sei der Fifa-Finanzchef Markus Kattner separat auf ihn zugekommen und hätte zentrale Hinweise auf eine fragliche Zahlung der Fifa an Platini gegeben - also jene Zwei-Millionen-Zahlung, über die nun vor Gericht verhandelt wird. Ist also Kattner der seit Jahren gesuchte Hinweisgeber, der klammheimlich das Duo Blatter/Platini stürzte?

Kattner war stets eng mit Blatter. Und er war ein Widersacher Infantinos. Die Story wäre die Ideallösung für Fifa und BA - doch seltsam: Beide Parteien haben sich vehement gegen eine Vernehmung Kattners gewehrt. Warum? Sie wären doch, falls er Thormanns Version bestätigt, aus dem Schneider. Das Gericht hat Kattner nun dennoch kurzfristig als Zeugen geladen, am Dienstag sagt er aus. Der Verdacht liegt nahe, dass er Thormanns Darstellung widersprechen wird.

Prozess gegen Blatter und Platini: Markus Kattner wird vorm Gericht als Zeuge aussagen.

Markus Kattner wird vorm Gericht als Zeuge aussagen.

(Foto: imago sportfotodienst; x/imago/ITAR-TASS)

Es ist gut, dass das Gericht Skepsis hegt. Denn: Falls Kattner damals zu Thormann ging, um eine fragwürdige Millionenzahlung anzuzeigen - dann hätte er sich selbst mit angezeigt. Er hatte ja als Finanzdirektor den Millionentransfer geprüft und bewilligt. Wird Thormanns Version indes von Kattner erschüttert, gar als Bluff enttarnt - ja, dann würde es eng für Fifa und BA werden. Das Gericht müsste endlich ergründen, was Infantinos Freund Arnold schon im Juli 2015 so Wichtiges mit Lauber zu bereden hatte.

Der Ermittlungsansatz der Bundesanwaltschaft ist höchst originell

Daneben könnte das Gericht eine andere Kernfrage erörtern, die bisher auch keine Rolle spielte. Das damalige Ermittlungsverfahren der BA drehte sich ja zunächst nicht um Zahlungen zwischen Blatter und Platini - es ging um Stimmkäufe bei den WM-Vergaben 2018 (Russland) und 2022 (Katar). Stimmen kauft man bei den Sportfunktionären, die ein Votum haben. Derlei gab es öfter bei großen Sportevents, überhaupt: Korruptes Verhalten ist überall in der Geschäftswelt bekannt.

Nur: Wer wird denn vom eigenen Arbeitgeber geschmiert? Geht das überhaupt? Höchst originell ist insofern der Ermittlungsansatz der BA, die die Spur der WM-Schmiergelder angeblich ausgerechnet in der Fifa selbst aufnehmen wollte. Ist im Entferntesten denkbar, dass für ein WM-Turnier nicht die Bewerberländer auf üblichen Wegen - Offshore-Konten, Werbeverträge, Kunstgeschenke, Jobs für Verwandte - Funktionäre bestachen, sondern dass dies die Fifa selbst tat, intern, mit eigenem Geld und auch noch dokumentiert in der eigenen Buchhaltung?

Bellinzona sollte eine lange Märchenerzählung beenden. Sonst hilft dem Publikum nur noch Netflix und Co. weiter. Das Interesse könnte groß sein an einer so bizarren Justizposse mitten in Europa.

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