Proteste in Brasilien:Brennpunkt der Sportwelt

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Studentenproteste in Brasília. (Foto: AFP)

Zeitgleich zum Confederations Cup ziehen in Brasilien seit Tagen Protestzüge durch die Straßen. Sogar den fußballnärrischen Brasilianern sind inzwischen die Kosten zu hoch, die Politiker und Funktionäre zu korrupt. Die Fifa schert das nicht. Für sie ist die WM 2014 nur ein weiteres großes Turnier auf Kosten der Steuerzahler.

Von Thomas Kistner, Brasília

Schlangestehen zählt neben Zuspätkommen zu den Kernübungen im Land des Confed-Cups. Die Schlange aber, die sich am Tag vorm Eröffnungsspiel in Brasílias exquisitem Bezirk Lago Sul gebildet hatte, zog die Neugier eingeweihter Kreise am Regierungssitz auf sich. Vor dem Gebäude Centro Sul, das ein Büro des nationalen Fußballverbandes CBF beherbergt, hatten sich Bedienstete von Abgeordneten aufgereiht, schwarze und violettfarbene Akkreditierungen überm Anzugshemd wiesen sie als der "Camera dos Deputados" zugehörig aus.

Geduldig warteten sie auf Freikarten für das Eröffnungsspiel. Angeblich ließ der lokale CBF-Lobbyist Vicente Candido-Vandenberg Hospitality-Tickets springen, die den Zugang zu üppigen Buffets ebnen. Wenn schon mal Leben ist im teuersten der teuren WM-Stadien, das in Expertisen schon heute als "Weißer Elefant" - sprich: Milliardengrab - gelistet wird, wollen auch die Volksvertreter ihren Spaß haben. Schließlich, gab einer zu Protokoll, wisse die Fifa ja genau, wem sie "die Verabschiedung des WM-Gesetzes" in Brasilien zu verdanken habe.

Klar weiß er das, der Weltverband. Dies hier ist nur ein Turnier von vielen, das überwiegend auf Steuerzahlers Kosten gefeiert wird. Mit dem WM-Gesetz wurde unter anderem der einheimische Kleinhändlermarkt verdrängt und der Weg für Fifa-Sponsoren wie den US-Braukonzern Budweiser freigeräumt, der sein Bier in den WM-Arenen ausschenken darf. In Stadien, in denen sonst nicht von ungefähr ein striktes Alkoholverbot für ein manchmal allzu leidenschaftliches Publikum gilt.

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Pfiffe gegen die Staatspräsidentin, Feuerwerkskörper und Festnahmen: Rund um die Eröffnung des Confed-Cups dokumentiert sich, wie brüchig der brasilianische Fußballzauber ist. Dass der WM-Gastgeber sich auf den strikten Kommerzkurs der Fifa einlässt, fällt in eine Zeit, da Brasiliens Wirtschaft ins Stottern gerät.

Von Thomas Kistner, Brasília

Aber der Fußball und seine Lobbyisten durchdringen eben alles. Ein strammes Drittel der 513 Parlamentarier in Brasília gilt als mit der Kickerbranche verlinkt, dazu ein Drittel der 81 Senatoren. Und Ticket-Spender Vandenberg ist einer der meistbeschäftigten Lobbyisten - umso mehr, seit durchgesickert ist, dass sich eine Steuerschuld von vier Milliarden Reais (1,4 Milliarden Euro) auf die 80 Profiklubs des Landes verteilt. Über Rückzahlungen wird da nicht groß nachgedacht.

Vielmehr sei schon ein Vorstoß der Fußball-Lobby bei Sportminister Aldo Rebelo deponiert, heißt es in Kongresskreisen, demnach soll Staatspräsidentin Dilma Rousseff einen Antrag zur Streichung dieser unschönen Lasten einbringen. Was sie tun werden, die Schlangensteher von Lago Sul, wenn ihnen das Begehr zur Abstimmung vorliegt, bedarf wohl keiner Erörterung.

Vorgänge wie diese sind es, die im sportnärrischen Brasilien die Stimmung so eingetrübt haben, dass sich seit Tagen Protestzüge durch die Großstädte wälzen. Wie in Brasília, wo fortan die protzige neue WM-Arena das von Oscar Niemeyer geschaffene Stadtbild mitprägt und beispielhaft für eine recht blindwütige Sportfest-Akquise steht: Mit Kosten in Höhe von 1,2 Milliarden Reais (430 Millionen Euro) und ausgestattet mit 71.000 Sitzplätzen ist der für sieben WM-Spiele errichtete Mané-Garrincha-Tempel ein absurdes Abfallprodukt für den lokalen Fußballklub Brasiliense, der am Tabellenende der zweiten Liga dümpelt. Auch für die Stadien in Manaus, Natal und Cuiabá ist laut einer unabhängigen Universitätsstudie keine echte Nachnutzung erkennbar.

Weil Brasilien zwar eine lange Wachstumsphase hinter sich, es aber nicht geschafft hat, das Geld auf den Bäumen wachsen zu lassen, müssen alle Sektoren zum nationalpolitischen Fußballrausch beitragen. Mit den Ärmsten hielt sich die Regierung nicht auf. Die Zwangsräumungen und Umsiedlungen, teilte zum Turnier-Auftakt die UN-Sonderberichterstatterin Raquel Rolnik mit, verstießen zum Teil gegen Menschenrechtsstandards. Bluten müssen auch Bildung und Gesundheit; wobei hier offenbar dramatischer ausgedünnt wurde als bisher bekannt.

Erschreckende Zahlen schlummern im Wust regierungsamtlicher Dossiers, fanden jetzt Mitarbeiter des Abgeordneten Romario de Faria Souza heraus. Romario, WM-Held von 1994, legt eine erstaunliche Zweitkarriere als Parlamentarier für die Sozialisten in Brasília hin, er stemmt sich gegen die Fußball-Clique. Nun hat sein Team aufgespürt, was eine beim Präsidentenamt angesiedelte Untersuchungskommission ermittelte: Zwischen 2002 und 2010 habe fast die Hälfte aller Schulen dichtgemacht, bevorzugt im ländlichen Raum.

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Immerhin hält sich die Niederlage in Grenzen: Afrikameister Nigeria ist dem krassen Außenseiter Tahiti zwar klar überlegen, die Mannschaft aus Ozeanien zeigt dennoch großen Kampfgeist. Am Ende siegt Nigeria 6:1.

Selbst wenn die Experten stark überdreht hätten, bliebe eine verheerende Zahl. Sie wirft ein Licht auf einen noch charismatischeren Politiker des Landes: Luiz Inácio Lula da Silva, Rousseffs Vorgänger. Lula hat WM und Olympia geholt, in seiner Ägide von 2002 bis 2010 erfuhr das Land zugleich jenen Aufschwung, der nun an Kraft verliert. Weshalb schon geraunt wird, der alte Volkstribun könne zurückkehren, sofern es seine Gesundheit zulässt. 2014 wird gewählt. Die Technokratin Rousseff, vormals Energieministerin, hatte 2010 Lula selbst ins Präsidentenamt gelobt - oder vielmehr gedrängt.

Viel steht auf dem Spiel am Brennpunkt der Sportwelt für die nächsten Jahre. Doch weder Rousseff noch Lula sind Leute, die den mächtigen "Cartolas" ans Leder gehen, wie die Funktionäre hier heißen. Wie diese das Parkett beherrschen, war in Brasília überall zu sehen. Nachts feierten sie in einem Edelrestaurant die Verleihung des Verdienstordens von Brasília durch Gouverneur Agnelo Queiroz an José Maria Marin, den Verbandsboss. Marin war Günstling der Militärdiktatur; er wurde unlängst sogar dabei gefilmt, wie er bei der Siegerehrung eines Jugendturnier eine Medaille in der eigenen Hosentasche verschwinden ließ. Und natürlich will er 2014 mit dann 82 Jahren erneut CBF-Chef werden. Zum Gelage in Brasília ließ er sämtliche Cartolas der Erstligaklubs und aller Verbände einfliegen; sie sind 2014 die Wahlmänner.

Auch Marins Stellvertreter, den er "Bruder" nennt, wurde für Verdienste um Brasilien und Brasília geehrt: Marco Polo del Nero. 2012 waren Haus und Kanzlei des Advokaten von der Bundespolizei durchsucht und er selbst kurzzeitig festgenommen worden. Erst kurz zuvor war Del Nero in den Fifa-Vorstand eingerückt - anstelle Ricardo Teixeiras. Der vormalige CBF-Chef Teixeira setzte sich im Frühjahr 2012 angesichts polizeilicher Ermittlungen nach Miami ab.

Zu Teixeiras Zeit übrigens, als 2000/01 Ausschüsse von Kongress und Senat die Umtriebe des CBF untersuchten und ihn als "kriminellen Ort, wo Desorganisation, Anarchie, Inkompetenz und Verlogenheit herrschen" beschrieben, unterhielt der Verband in Brasília eine diskrete Villa als Anlaufstelle für gestresste Politiker. Damals bangten die Cartolas um ihre Ämter - aber die Lobby hielt dem damaligen Chefermittler stand. Der hieß Aldo Rebelo. Heute ist er Sportminister und treibt die Dinge des Fußballs voran.

© SZ vom 18.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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