Proteste gegen Anti-Homosexuellen-Gesetz:Provokation, aber keine Revolution

Gold medallists team Russia celebrate at the women's 4x400 metres relay victory ceremony during the IAAF World Athletics Championships at the Luzhniki stadium in Moscow

Russische Staffel in Moskau: Kuss auf dem Podest

(Foto: REUTERS)

Russland freut sich auf die nächste Großveranstaltung, im Februar 2014 werden in Sotschi die Olympischen Winterspiele eröffnet. Von den Protesten gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz, die es bei der Leichtathletik-WM in Moskau gab, wird dann nicht mehr viel übrig sein.

Von Saskia Aleythe

Spektakulär ist das eigentlich nicht: Zwei Frauen küssen sich auf den Mund, einem Fotografen gelingt der Schnappschuss, er schickt das Bild hinaus in die Welt. Plötzlich ist die Sportwelt elektrisiert, denn die Frauen sind Russinnen bei der Leichtathletik-WM in Moskau und sie stehen auf dem Siegerpodest, haben gerade ihre Gold-Medaillen bekommen, als das ganze Stadion auf sie blickt. Ein intimer Moment wird zur Provokation in einem Land, in dem Homosexuelle verfolgt werden können, wenn sie ihre Orientierung öffentlich vor Minderjährigen zur Schau stellen.

Tatjana Firowa und Xenija Ryschowa haben mit der russischen 4x400-Meter-Staffel am Samstag die starken Frauen aus den USA besiegt und das Publikum im Moskauer Luschniki-Stadion in Ekstase versetzt. Zu ihrer Geste bei der Siegerehrung wollten sich Firowa und Ryschowa nicht äußern, aus dem russischen Team hieß es gegenüber Sky News: Der Kuss sollte als "Zeichen der Gratulation" gelten, nicht als politische Botschaft. Das ist zumindest die offizielle Version.

Bei der Leichtathletik-WM ist die Debatte über die Diskriminierung von Homosexuellen in Russland stark in den Fokus gerückt - angetrieben vor allem durch die Schwedin Emma Green-Tregaro die ebenso Regenbogen-Fingernägel trug wie zuvor ihre Landsfrau Moa Hjelmer. Den Auftakt des Protests hatte der Amerikaner Nick Symmonds gebildet, der seine Silbermedaille über 800 Meter seinen schwulen und lesbischen Freunden widmete.

Gegen diese Bekundungen regte sich Widerstand: Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa war vor allem die Aktion von Green-Tregaro zu viel, sie verteidigte das von Präsident Putin getragene Verbot von Homosexuellen-Propaganda, das seit 30. Juni gilt. Homosexuelle werden demnach verfolgt, wenn sie sich gegenüber Menschen unter 18 Jahren über gleichgeschlechtliche Liebe äußern.

Doch wie geht es jetzt weiter? Die Leichtathletik-WM in Moskau war nur der Auftakt einer Reihe von Großveranstaltungen in Russland, denen sich die Weltöffentlichkeit in den kommenden Jahren zuwenden wird. 2018 ist Russland Gastgeber der Fußball-WM und schon in weniger als sechs Monaten guckt die Sportwelt aufmerksam nach Sotschi: Am 7. Februar werden dort die Olympischen Winterspiele eröffnet.

Die Protestäußerungen bei der vergleichsweise "kleinen" Leichtathletik-WM gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz vermitteln den Eindruck, dass etwas in Bewegung gekommen ist, dass Athleten mit unterschiedlichem Eifer ihr Recht auf Meinungsfreiheit auch beim Sport ausüben wollen - auch in weniger demokratischen Staaten wie Russland. Wird es deshalb in Sotschi zu groß aufgezogenen Protestwellen kommen? Gar zu einem Boykott? Wohl kaum.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zunächst zeigt die Erfahrung, dass geplante Boykott-Vorhaben immer wieder abflauten, wie zuletzt bei den Olympischen Spielen in Peking 2008: Im Vorfeld wurde der Völkermord in Tibet angeprangert, es ging um Menschenrechte, auch die harten Zensurvorschriften in China standen in der Kritik. Die Athleten und Verbände fuhren trotzdem zu den Spielen. Es ging schließlich auch um Sport.

Sollte sich das nun anders gestalten, weil das russische Verbot die Olympia-Teilnehmer, Funktionäre und auch Zuschauer direkt betrifft? Eher nicht.

Widerstand von Verbänden nicht zu erwarten

Dass sich nationale oder internationale Sportverbände gegen Russland wenden, ist kaum zu erwarten. In Moskau verwarnten die Offiziellen des Internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF die Schwedin Green-Tregaro - man riet ihr zu einer weniger aufmüpfigen Maniküre, weil sie gegen das russische Gesetz verstoße.

Politische Äußerungen sind im Sinne des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unerwünscht, Sport soll nicht zur subversiven Bühne verkommen. In der Olympischen Charta heißt es in Regel 51.3: "Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt."

IOC-Präsident Jacques Rogge sieht in der Vorschrift keine Sanktion, für ihn ist es eher ein "Mittel, um Athleten zu schützen, damit sie nicht unter Druck gesetzt werden, die Spiele als Plattform zu nutzen." So sagte er es dem Berliner Tagesspiegel am Sonntag. Doch Rogge müht sich auch, als Vertreter westlicher Werte aufzutreten: "Das Internationale Olympische Komitee ist sich darüber im Klaren, dass Sport ein Menschenrecht ist und allen zugänglich sein muss, ungeachtet von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Wir würden uns mit aller Kraft jeglicher Bewegung entgegenstellen, die dieses Prinzip gefährdet."

Alle Kraft heißt bei Rogge zunächst: Abwarten, ob und wie das neue Gesetz in Russland angewandt wird. Das IOC habe schließlich "Zusagen von höchsten Regierungsstellen in Russland, dass diese Gesetzgebung niemand beeinträchtigen wird, der die Spiele besucht oder daran teilnimmt".

Darüber, wie diese Zusagen konkret aussehen, gab es schon vor dem Start der Leichtathletik-WM in Moskau Verwirrung. Zunächst machte es den Anschein, der Kreml wolle das unterschriebene Gesetz für die Zeit der Spiele in Sotschi aussetzen. Dann meldete sich jedoch Sportminister Witali Mutko zu Wort, der die Zugeständnisse relativierte. Homosexuelle dürften sehr wohl zu den Spielen anreisen, doch das Gesetz bleibe auch für diese Zeit bestehen. Wer seine Homosexualität auf der Straße propagiere, werde dafür zur Verantwortung gezogen.

Widerworte kann sich auch der oft schwerfällige Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nicht leisten. Allen voran sieht die Karriereplanung von Präsident Thomas Bach das nicht vor, schließlich will er selbst im September zum neuen IOC-Präsidenten gewählt werden - eine allzu rebellische Haltung wird er sich da eher verkneifen.

Bleibt also nur der Protest einzelner Sportler. Doch die werden vermutlich immer Einzelkämpfer bleiben, zu schnell haftet ihnen das Image des Querulanten an - ob in den eigenen Verbänden oder vor Sponsoren. Athleten sind zu einem hohen Grad abhängig von organisierter Förderung. Widerstandskämpfer sind dagegen nicht gerade die Lieblinge einflussreicher Funktionäre. Wer sich für eine aktive Demonstration seiner Einstellung entscheidet, muss sich auch über die Konsequenzen der eigenen Karriere Gedanken machen. Das ist das Dilemma des Profisports.

So erklärt sich auch der eher zahme Protest in Moskau. Und es wird klar, warum es Ryschowa und Firowa beim Kuss auf dem Podest belassen, ohne Verweis auf ein politisches Statement. Wladimir Putin dürfte das Bild trotzdem nicht gefallen haben. Das ist es, was von den Solidaritätsbekundungen für Homosexuelle bei der Leichtathletik-WM bleiben dürfte: Ein leicht verstimmter Staatschef. Mehr aber auch nicht.

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