Profi bei Norwich City:"Mo" Leitner arbeitet jetzt Fußball

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Stationen einer wechselhaften Karriere: Moritz Leitner als Torschütze für Norwich City gegen Ipswich Town... (Foto: Paul Chesterton/Imago)
  • Betitelt als nächstes großes Talent des deutschen Fußballs haderte Moritz Leitner oft mit den Ansprüchen an ihn.
  • Nach den Stationen Dortmund, Stuttgart, Lazio und Augsburg scheint Leitner sich in der zweiten englischen Liga bei Norwich City eingelebt zu haben.

Von Sebastian Fischer

Es kommt in einem Fußballstadion oft vor, dass Zuschauer raunen, aber er hatte fast vergessen, wie sich das anhört. In England hat es einen eigenen Klang, das ganze Stadion in Norwich rief "Wow", jedenfalls in seiner Erinnerung. Er hatte mit einem Haken einen Gegner umspielt. Und die Fans freuten sich mit ihm, zum ersten Mal seit langer Zeit.

"Mo, das ist es", sagt Moritz Leitner. Das habe er gedacht, im vergangenen Februar, in seinem ersten Heimspiel für Norwich City gegen Middlesbrough. "Das ist das Gefühl, das du wieder haben willst." Seitdem hat er dieses Gefühl regelmäßig. Leitner, 25, in Deutschland als nächstes großes Talent gepriesen, angezählt und abgeschrieben, ist jetzt Stammspieler in Englands zweiter Liga. Er lächelt, als er an einem Abend in dieser Woche in einem Münchner Lokal davon erzählt. Er hatte selbst nicht damit gerechnet.

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Fußballerkarrieren beginnen oft verheißungsvoll, und entsprechend aufgeregt hieß die Branche 2011 einen gerade 18 Jahre alten Münchner willkommen. "Er ist ein herausragendes Talent, wie es nur ganz wenige gibt", sagte Jürgen Klopp, damals Trainer von Borussia Dortmund, jenem Klub, der für dieses Talent 600 000 Euro Ablöse an den TSV 1860 München bezahlte.

Leitner war immer noch erst 18, als er erstmals für die U 21-Nationalelf auflief, ein Mittelfeldspieler mit unverschämt eleganter Ballbehandlung und feinem Gefühl für den Raum. Aber bald wurden die Bundesliga-Einsätze weniger, seit seinem 97. für den FC Augsburg im April 2017 kam keiner mehr dazu. Und ihm haftete das Image eines unverschämt eleganten Fußballers an, der sich in seiner Eleganz unverschämt gut gefiel. Nur dass er lange keinen feinen Pass mehr gespielt hatte.

Ärger mit Huub Stevens - "Immer diese Klappe"

"In Deutschland war ich in einer Schublade drin: Man hatte das Bild von mir, dass ich nicht lernen will, dass ich arrogant bin. Der denkt nur an sich, der arbeitet nicht genügend, der ist nur ein Talent. Ich bin anders als der Stempel, den man mir aufgedrückt hat. Aber ich hätte mehr auf dem Platz stehen müssen, um das zu zeigen", sagt er. Das klingt nach einem Dilemma.

Wer den Fußballer Leitner charakterisieren will, der kommt nicht um eine Anekdote aus dem Jahr 2015 herum, damals war er seit zwei Jahren in Stuttgart. "Immer diese Klappe", soll ihm Trainer Huub Stevens zugerufen haben, als Leitner eine Entscheidung im Training kritisierte. Stevens, das muss man wissen, kann mit feinen Pässen allein nicht viel anfangen. Und von besonderer Fürsorge für ein Talent schien er nicht viel zu halten. "Geh' laufen!", rief Stevens, "morgen läufst du um sechs!" Und wie Leitner dann zur Strafe antreten musste, schien es ins Bild zu passen, das die Leute von ihm hatten: das eines Profis, der nicht vernünftig werden wollte.

Wer den Fußballer Leitner verstehen will, der sollte auch bei Horst Hrubesch nachfragen, einem Talent-Entwickler, der Leitner bei der U 21 zum Kapitän machte, der ihn förderte, ihm vertraute. Hrubesch sagt: "Die Qualität hat Moritz früh nachgewiesen." Aber dann habe er sich zu selten hinterfragt. Beim Spaß sei er immer dabei gewesen. Aber wenn es ernst wurde, habe er zu selten "abgeliefert". Auf dem Platz schien er sich oft dort aufzuhalten, wo wenig Arbeit wartete. Und nachdem Leitner einige Chancen zum Abliefern ausgelassen hatte, bekam er keine mehr.

... im Jahr 2015 als U21-Nationalspieler mit Trainer Horst Hrubesch... (Foto: Imago)

Selbst in Augsburg nicht, wohin er nach einem halben Jahr bei Lazio Rom 2017 wechselte und wo ihn sein früherer Realschullehrer Manuel Baum trainierte. Leitner, heißt es in Augsburg, habe sich nicht auf die Taktik ohne viel Ballbesitz einlassen, sondern lieber ein klassischer Spielmacher sein wollen. Doch ein solcher war beim FCA nicht vorgesehen. "Augsburg", sagt Leitner, "war nicht der optimale Ort. Die Konstellation passte nicht."

Nun klingt die Geschichte bis hierhin wie die eines in Deutschland gescheiterten talentierten Fußballers. Doch aus Leitners Sicht handelt sie auch davon, wie man in Deutschland mit talentierten Fußballern umgeht. "In Norwich", sagt er, "war auch eine Erwartungshaltung da", auch in England kennen sie seinen Lebenslauf. "Aber man hat nicht darüber diskutiert, was ich für Schuhe anhabe, was ich für eine Frisur habe oder ob ich viel lache. Ich kann einfach zeigen, dass ich Fußball spielen kann." Es ist die Ironie der Geschichte, dass er dies nun in einer Liga zeigt, die gar nicht für ihn prädestiniert zu sein schien.

Leitner hatte ein halbes Jahr lang in Augsburg nur auf der Tribüne gesessen, als ihm sein Berater in der vergangenen Winterpause den Wechsel in die zweite englische Liga vorschlug; eine Liga, die zwar von Ruhm und Reichtum der Premier League profitiert, aber auch für ihre typisch britische Spielweise berüchtigt ist: physisch, rustikal, die Saison 46 Spiele lang. Er ist 1,74 Meter groß, 69 Kilogramm leicht, schon in der Bundesliga war seine Physis eher ein Argument gegen ihn gewesen. "Ich gegen Spieler, die zwei Meter groß sind, in Kopfballduellen, ist es das wirklich?", das habe er sich gefragt. Die Antwort kannte er nicht. Vielleicht war es genau diese Ungewissheit, die er brauchte.

... und 2017 als Bankdrücker beim FC Augsburg mit Jan-Ingwer Callsen-Bracker (re.). (Foto: Peter Fastl/Imago)

Andererseits ist Norwich kein Klub, in dem ein deutscher Profi einen Kulturschock befürchten müsste. Trainer ist der frühere Dortmunder Nachwuchscoach Daniel Farke, der Leitner kannte. Im Kader stehen neun deutsche Spieler. "All the Germans, so many Germans", singen die Fans. Anders als es das Klischee für Land und Liga besagt, lässt Trainer Farke in Norwich Ballbesitzfußball spielen, gerade reicht das für Platz neun.

Leitner spielt im defensiven Mittelfeld, mit feinen Pässen wie früher. Auf dem Rücken trägt er die Nummer zehn. 27 Spiele hat er gemacht, 22 in der Startelf. Im Sommer hat er einen Vertrag bis 2022 unterschrieben, im September hat er sein erstes Tor geschossen. Er wohnt mit seiner Freundin in einem Haus, 30 Minuten sind es zum Meer.

Ex-Trainer Hrubesch freut sich für Leitner, will aber die Euphorie bremsen

Es sei schön, sagt er, in der Länderspiel-Pause mal wieder in München zu sein, Freunde zu sehen. "Aber ich freue mich auch, wieder arbeiten zu gehen." Vielleicht ist das der größte Unterschied: Fußball spielen nennt Moritz Leitner nun arbeiten.

Ja, sagt er, "ich bin erwachsener geworden". Er versuche nun öfter, das Spiel nicht nur aus seiner Perspektive zu sehen, sondern auch aus der des Trainers. Wo er sich früher schnell im Ton vergriff, versuche er nun, seine Interessen auch mal hintanzustellen. "Ich habe die Reset-Taste gedrückt", sagt er. Leitner würde gerne in der Premier League spielen. Er will auch wieder Nationalspieler werden, wenn auch nicht für Deutschland. Seine Mutter ist Österreicherin, er hat die doppelte Staatsbürgerschaft und noch kein A-Länderspiel für Deutschland bestritten. Er will jetzt für Österreich spielen. "Ich hoffe, dass man mich auf dem Schirm hat", sagt er.

Als Horst Hrubesch neulich durch die Kader der Bundesliga stöberte und beim FC Augsburg ankam, hatte er Leitner nicht mehr auf dem Schirm. Er fragte sich: "Wo ist er auf einmal?" Hrubesch freut sich, dass Leitner regelmäßig spielt, aber er bleibt zurückhaltend: "Reden wir in einem Jahr noch mal. Wenn er kontinuierlich gespielt hat, dann ist er da, wo er hingehört." Moritz Leitner, so meint das sein alter Trainer, soll jetzt erst mal weiterarbeiten.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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