Süddeutsche Zeitung

Problemstelle im deutschen EM-Kader:Sehnsucht nach David Alaba

Im DFB-Kader tummeln sich Begabte, Hochbegabte und wahre Überflieger, aber offenbar nur zwei Außenverteidiger, denen Joachim Löw ernsthaft vertraut. Der derzeit beste linke Außenspieler der Bundesliga fehlt bei der EM - er ist Österreicher.

Christof Kneer

Am Samstag, beim Pokalfinale, wird Joachim Löw ein bisschen neidisch werden. Er wird im Berliner Olympiastadion sitzen und in der einen Halbzeit die Außenverteidiger Philipp Lahm und Marcel Schmelzer vor seiner Tribünenseite herumflitzen sehen. In der nächsten Halbzeit flitzen dann die Außenverteidiger David Alaba und Lukasz Piszczek vor ihm herum. Löw wird gefallen, was er sieht, aber er wird es nicht richtig genießen können.

Wahrscheinlich würde er sich Piszczek und Alaba am liebsten schnappen und heimlich im EM-Reisegepäck verstauen, wobei: Den einen, Piszczek, wird er sogar treffen bei der Europameisterschaft, allerdings im Hemd der polnischen Nationalelf. Den anderen, Alaba, wird er nicht treffen beim Treffen der besten Länderteams. Er spielt für Österreich.

Löw ist erstklassig ausgerüstet, wenn er jetzt bald auf Reisen geht, die Spieler, die ihn begleiten, sind erlesen und kostbar. Nur auf einer Position hat er wie immer nur das Allernötigste dabei: Philipp Lahm gilt als Luxusartikel im Segment "Außenverteidigung", aber sonst? 2006 verteidigte auf der anderen Seite der stocknüchterne Arne Friedrich, der einzige Spieler, dem das sommermärchentrunkene Land von Herzen misstraute. Es gab keinen genauen Grund, außer dem, dass er Arne Friedrich war.

Bei der EM 2008 führten Fritz (rechts) und Jansen (links) ihre Unvollkommenheit vor, bei der WM 2010 musste erst der arme Badstuber (wenigstens Linksfuß), dann der noch ärmere Boateng (Rechtsfuß) links verteidigen. Dazwischen: Gab's mal einen Beck, mal einen Schäfer, angeblich sogar mal einen Compper. Zuletzt wurden ein Aogo und ein Träsch auf den hinteren Flanken gesichtet, aber am Montag fehlten ihre Namen im 27-Mann-Kader des Bundestrainers. "Wir mussten dem aktuellen Formzustand Rechnung tragen", sagte Löw in freundlicher Diplomatie.

Er hätte es auch direkter können: Sie sind zurzeit nicht gut genug für uns. Er hätte es auch noch direkter sagen können: Sie sind nicht gut genug für uns, ohne "zurzeit".

Wer Löws Kader aus der Nähe betrachtet, braucht nicht lang, um die Unwucht zu erkennen. In der Offensive ballen sich feine und feinste Füße, der junge Julian Draxler etwa ist links vorne der Backup des Backups des Back-ups. Podolski spielt dort, nach ihm kommt Schürrle, und auch Götze, diese universelle Leuchte, liebt das Spiel am linken Flügel sehr. Löw hat da mehr Spieler, als er je bringen kann, aber für die Position hinter den feinen und feinsten Füßen hat er nur zwei: Philipp Lahm und Marcel Schmelzer sind die einzigen Außenverteidiger im 27er-Kader.

Er habe "in der Abwehr vielfältige Möglichkeiten", sagt Löw unerschrocken, er meint die Innenverteidiger Boateng und Höwedes, die rechts verteidigen, wenn Lahm links spielt. Löw will aber im Trainingslager noch mal überprüfen, ob er bei seinem Grundsatz bleibt, wonach Lahm - unabhängig von seiner Rolle bei Bayern - im Nationalteam an der linken Bande bleibt.

Löw hat ja genau verfolgt, wie einleuchtend Lahms Spiel in München auf rechts aussieht. Es hängt nun an Schmelzer: Gelingt es ihm, Wucht und Tempo aus Dortmund halbwegs reibungslos in die DFB-Elf zu überführen, würde Lahm womöglich auch bei Löw wieder nach rechts wechseln, "hinter Müller", sagt Löw, "das könnte gut passen."

An dieser traditionellen Kader-Engstelle lässt sich anschaulich erkennen, wie der Bundestrainer Löw tickt. Er ist nicht blind, er sieht genau, dass sein Aufgebot hier an die Grenze der Betriebssicherheit geraten ist. Aber er nimmt das in Kauf. Er geht dieses Risiko sehenden Auges ein. Mit einem sehr soliden Selbstbewusstsein leistet er sich die Luxusmeinung, dass er lieber gar niemanden holt, bevor er jemanden holt, der seinen höchsten Ansprüche nicht genügt.

Löw hat mit Gladbachs Rechtsverteidiger Tony Jantschke geliebäugelt, aber als er ihn am Samstag in Mainz beobachtete, hat er ihm nicht gefallen.

An guten Tagen spielt Jantschke ehrbar und abgeklärt, aber seinem Spiel fehlen die Höhen. Beim Leverkusener Gonzalo Castro liegt der Fall andersherum; ihn halten Löw und sein Trainerstab für einen schöpferisch begabten Fußballer, aber er hat manchmal Löcher im Spiel, er schaltet ab oder wechselt ohne Vorwarnung in den Behäbigkeits-Modus. Löw ist sehr ausdrücklich der Meinung, dass er normal überdurchschnittliche Spieler nicht benötigt. Er würde ihnen im Turnier ja doch nicht vertrauen, und Seriosität in der Not garantieren ihm auch Boateng, Höwedes oder einer der zahlreichen Benders.

Die Wichtigkeit der Außenverteidiger-Rolle ist bekannt, trotzdem wachsen viel zu wenige davon, es ist ein weltweites Problem. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer sagt, dass man im Nachwuchsbereich "die größten Granaten immer noch zu oft auf andere Positionen" schickt, aber häufig sind es auch die Spieler selbst, die es in zentralere Positionen drängt. Diesen Alaba haben sie bei Bayern auch zu seinem Glück zwingen müssen, er wollte lieber ein Sechser sein, aber jetzt ist er links hinten so gut, dass sich der FC Barcelona ernsthaft in den kolossalen Burschen verguckt hat.

Vor drei Jahren haben sie beim DFB angeblich mal heimlich geprüft, ob man dem Dreifach-Staatsbürger (Österreich, Nigeria, Philippinen) nicht einen deutschen Pass besorgen könne. Aber die Österreicher, die Schlingel, haben was gemerkt. Im Oktober 2009 haben sie ihn in einem Pflichtspiel der A-Elf eingesetzt, damit hatten sie ihn sicher. Seitdem ist Alaba jüngster Nationalspieler der österreichischen Fußballgeschichte. Er war damals 17 Jahre und 112 Tage alt.

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SZ vom 09.05.2012/jbe
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