Probleme beim Hamburger SV:Bundesliga-Dinosaurier in Angst

Großes Zittern in Hamburg: Ausgerechnet der einzige Bundesligist, der von Anfang an immer dabei war, bereitet vor dem Start der 50. Bundesliga-Saison die größten Sorgen. Den einst so edlen Hamburger SV sehen sogar viele seiner eigenen Fans als Abstiegskandidaten - Baustellen gibt es genug.

Jörg Marwedel, Hamburg

Wenn der Spieler mit der Bundesliga-Lizenznummer 001, Harry Bähre, an die erste Saison 1963/64 denkt, dann fühlt er sich wieder wie ein richtiger Hanseat. Der Hamburger SV, sein HSV, galt damals landauf, landab als der edelste Klub von allen. Die HSV-Profis trugen, wie Harry Bähre sich erinnert, maßgeschneiderte Anzüge mit edlen Krawatten.

Uwe Seeler

Das waren Zeiten: Seit Uwe Seeler 1963 nach Bällen hechtete spielte der HSV immer in der Bundesliga. 

(Foto: imago sportfotodienst)

"Wir waren überall sehr beliebt", sagt Bähre. Nicht nur, weil sie Uwe Seeler in ihren Reihen hatten. Seeler war damals der populärste deutsche Fußballer, er wurde mit 30 Toren der erste Bundesliga-Torschützenkönig. Und: der erste "Fußballer des Jahres".

Harry Bähre, Seelers früherer Mitspieler, ist jetzt 71 Jahre alt. Er ist gut drauf und noch immer ein bisschen eitel. Das verrät sein Kamm in der Tasche, den er zuweilen herausholt, um seinen Scheitel in Form zu bringen. Bähre hat viele Ämter im Klub gehabt, vom Co-Trainer und Scout bis zum Vizepräsidenten und Manager der Altliga; jetzt hilft er, der Unternehmer, der HSV-Ikone Manfred Kaltz beim Vertrieb eines pfälzischen Weins aus dessen Heimat. Wie Kaltz hat auch Bähre noch viele Drähte in den Verein. Über den heutigen Vorstand sagt er: "Die haben den schwierigsten Job in der HSV-Geschichte." Er ist wohl nicht der Einzige, der das so sieht.

Noch nie waren die Fans dieses Klubs, der als einziger Verein in allen 49 Bundesliga-Spielzeiten mitspielen durfte, so besorgt um die sportliche Zukunft. "Es geht viel Angst um in der Stadt", sagt Kapitän Heiko Westermann und weicht der Frage, was er denn so beim Einkaufen zu hören kriege, aus: "Ich gehe so früh, da gehen die Leute noch nicht zum Bäcker." In einer Leserumfrage der Hamburger Morgenpost hat jeder dritte Teilnehmer den HSV als direkten Absteiger der 50. Saison getippt, 15 Prozent halten wenigstens Relegationsplatz 16 für realistisch.

Und wenn man die HSV-Idole von Uwe Seeler über Horst Hrubesch bis zu Ditmar Jakobs befragt, lautet deren Antwort ähnlich wie die von Jakobs: "Die Mannschaft hat im Vergleich zur Vorsaison noch an Qualität verloren." Da belegte der HSV nach dramatischem Abstiegskampf Rang 15, die schlechteste Platzierung seiner Geschichte. Stirbt der Dino der Liga, der nach Einschätzung von Uli Hoeneß eigentlich der erste Rivale des FC Bayern sein müsste?

Carl Edgar Jarchow, 57, will davon natürlich nichts wissen. Der Außenhandelskaufmann, Mitglied der FDP, ist seit März 2011 der Vorsitzende des Vorstands. Wer ihm übel will, sagt, ein HSV-Fan wie Jarchow - der als Anhänger sogar beim 1:0 gegen Juventus Turin im Europacup-Finale der Landesmeister 1983 in Athen dabei war - sei nicht die richtige Besetzung, um das wankende Reptil mit den sieben deutschen Meistertiteln auf den Erfolgsweg zurückzuführen. Andere, darunter Bähre, halten ihn für eine gute Wahl, nachdem sein Vorgänger Bernd Hoffmann den Verein mit seiner absolutistischen Führungsart spaltete.

Jarchow sagt über den alten Klubchef nur: "Der wollte mit teuren Spielern schnell etwas erreichen, und das hätte fast geklappt, wie man an den knapp verfehlten Europa-League-Endspielen 2009 und 2010 sieht." Mehr möchte er über den Mann, der ihm ein defizitäres Unternehmen hinterließ, nicht sagen. Außer, dass es finanziell "keine Alternative gab, nun drastisch zu sparen". Sein Problem: Der Experte, der 2011 als Erlöser geholt wurde, der Däne Frank Arnesen, der vom FC Chelsea kam, ist seinem Ruf, ein gutes neues Team mit wenig Geld aufbauen zu können, bisher nicht gerecht geworden.

Hochwertige Verkäufe ohne Ersatz

Gelockt wurde Arnesen allerdings noch von Hoffmann mit der Zusage, 20 Millionen Euro auf dem Transfermarkt ausgeben zu dürfen. Jetzt kann er im Prinzip nur das ausgeben, was er mit Verkäufen eingenommen hat. Die Zweifel daran, dass der frühere Weltklassespieler tatsächlich mit den vorhandenen Mitteln Spieler mit Zukunft findet, wachsen. Von den Vorjahreszugängen - fünf Talente von Chelsea sowie Per Skjelbred und Ivo Ilicevic - haben allenfalls Michel Mancienne und Gökhan Töre halbwegs eingeschlagen, wobei der als schwierig geltende Töre mit Gewinn nach Russland weiterverkauft wurde.

Zuletzt hat Arnesen noch die kostspieligen Mladen Petric, Paolo Guerrero und David Jarolim abgegeben, ohne dass bisher guter Ersatz bereitsteht. Der lettische Stürmer Artjoms Rudnevs gilt der Boulevardpresse schon nach ein paar Testspielen als Fehleinkauf. Torwart René Adler und der aus Düsseldorf heimgeholte Maximilian Beister werden positiver bewertet.

Der neue Abwehrspieler Paul Scharner (mehr als 200 Premier-League-Einsätze) hat sich verletzt, ehe er für den HSV auflief. Und der Mittelfeldspieler Milan Bardelj wird von Dinamo Zagreb erst Ende August freigegeben. Das Schlimmste aber ist: Auch nach dreimonatiger Sommerpause hat Arnesen noch immer keinen Profi verpflichtet, der dem trostlosen Mittelfeldspiel etwas Kreativität geben könnte.

Das macht nicht nur langsam die Vorstands-Kollegen nervös, sondern auch Trainer Thorsten Fink. Er und Arnesen haben sich bislang nicht auf jenen Profi einigen können, der künftig auf dem Feld dirigieren soll. Die sportliche Führung, berichten Insider, sei nicht mehr ganz so innig miteinander wie am Anfang, als Fink dem Sportchef nach einem Tor sogar einen Kuss auf die Wange hauchte.

Arnesen merkt den Gegenwind. Angeblich streute ein Freund die Gerüchte, dass der reiche russische Klub Anschi Machatschkala und das nicht weniger bemittelte Manchester City an ihm interessiert seien. Und als er dieser Tage sagte, der HSV dürfe sich "nicht kaputtsparen", ist Jarchow wohl fast das Frühstück im Hals stecken geblieben.

Er habe zwar immer noch das Ziel, nach zwei defizitären Jahren die Saison - trotz frühem Pokal-Aus bei Drittligist Karlsruhe (2:4) - mit einer schwarzen Null abzuschließen, von Kaputtsparen aber könne beim HSV keine Rede sein, sagt Jarchow. Noch immer sei der HSV nach dem FC Bayern und Borussia Dortmund der am besten vermarktete Bundesligist und stehe vom Etat her auf Rang sechs oder sieben der Liga. Was fehlt, ist nur das Wichtigste: sportlicher Erfolg.

Auch der eigenwillige Milliardär Klaus-Michael Kühne ist deshalb noch nicht aus dem Rennen in seinem Bemühen, seinem Lieblingsklub seinen Lieblingsspieler anzudienen. Das ist Rafael van der Vaart, 29. Ob der Niederländer, der zwischen 2005 und 2008 schon für den HSV spielte und jetzt bei Tottenham Hotspur unter Vertrag steht, wirklich zurückkommen will, ist ungewiss. Im Kontakt mit Kühne hat er das aber offenbar nicht ausgeschlossen.

Ob gerade Rafael van der Vaart dem kränkelnden Dino helfen könnte, das Jubiläumsjahr der Liga zu überleben, das allerdings steht auf einem anderen Blatt.

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