Probleme bei Borussia Dortmund:Eingeklemmt in der Knochenmühle

Borussia Dortmund - VfB Stuttgart

Jürgen Klopp findet: Sein Team habe "Quatsch" fabriziert gegen Stuttgart.

(Foto: dpa)

Viele Gegentore, viele Verletzte, viele Baustellen: Vorm Derby gegen Schalke klagt Borussia Dortmund über Belastungen, die ein Spitzenklub auszuhalten hat. Trainer Klopp wirkt unzufrieden, Lösungen sind erst langfristig in Sicht.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Ganz zum Schluss, als sich Borussia Dortmunds Umkleidekabine längst geleert hatte, schlich noch Ilkay Gündogan an den Journalisten vorbei. "Ich sag heut' nichts", sagte der BVB-Nationalspieler schelmisch grinsend. Das späte 2:2 gegen den VfB Stuttgart hatte die Laune nicht vollends verdorben. Und Gündogan personifizierte an diesem Abend des Zwiespalts die Hoffnung auf Besserung. In zwei, drei Wochen dürfte der seit 14 Monaten verletzt ausgefallene Spielmacher wieder einsatzfähig werden. Bis dahin gewöhnt er sich schon mal wieder ans Kabinen-Klima.

"Was wir für Gegentore bekommen haben, das ist einfach Quatsch", hatte Gündogans Trainer Jürgen Klopp eine Viertelstunde vorher bilanziert. Und Mats Hummels, in der zweiten Halbzeit eingewechselt, ließ nach seinen ersten Spielminuten seit dem WM-Finale in Rio wissen, dass "defensive Stabilität" fehle. "Neun Gegentore nach fünf Spielen, vier Spiele mit jeweils zwei Gegentoren - da ist es einfach schwer, ein Spiel zu gewinnen." Ob er am Samstag, beim ewigen Revierderby auf Schalke, schon wieder mithalten kann, mochte er selbst noch nicht beurteilen.

Kaum hat die Saison begonnen, da zeigt sich, dass die alte Fußball-Weisheit nicht mehr recht gilt, wonach der große Bundesliga-Dominator Bayern München am ehesten im Jahr nach einem WM-Turnier zu schlagen sei - und zwar am wahrscheinlichsten von Borussia Dortmund. Stattdessen leiden die Dortmunder nun selbst massiv unter den endlosen englischen Wochen mit Bundesliga, Champions League, Länderspielen und gelegentlichem DFB-Pokal-Einsatz.

Hatten sie beim BVB vor knapp zwei Wochen noch frohlockt, wie passgenau Rückkehrer Shinji Kagawa den erneut verletzten Marco Reus ersetzte und wie breit der BVB-Kader inzwischen sei, so sieht die aktuelle Momentaufnahme zwei Spiele und drei Verletzungen später schon wieder anders aus.

Prognosen und Trends ergeben bei den ständig neuen Verletzungen und Erschöpfungen im Termin-Getöse von Europas Topklubs immer weniger Sinn. Gegen den VfB Stuttgart machte Dortmunds Verteidigung auch deshalb mitunter jenen Quatsch, von dem Klopp sprach, weil kaum noch etwas eingespielt und automatisch wirkte. Marcel Schmelzer quälte sich durch sein erstes Bundesligaspiel der Saison und steckte in beiden Gegentoren übereifrig mit drin. Immerhin leitete Schmelzer mit einem Freistoß das späte Ausgleichstor ein, das Ciro Immobile gelang.

Neben Schmelzer wechselte auch bei den ebenfalls lange verletzten Neven Subotic und Sven Bender die Form im Minutentakt. Und Milos Jojic mühte sich zentral um irgendeine Spielordnung - mit besonders wenig Glück. Jojic ist auf der spielgestaltenden Achter-Position im BVB-Kader nur an Nummer vier gesetzt: Gündogan, Nuri Sahin und der zuletzt starke Oliver Kirch fehlen alle verletzt. Und auch Sebastian Kehl, einer von zwei defensiven Sechsern, ist inzwischen angeschlagen.

Kagawa noch nicht der Alte

Eine offensive Station weiter vorne hatten viele in Dortmund schon gedacht, die Überfüllung des zentralen Mittelfelds könne künftig ein atmosphärisches Problem für Klopp ergeben. Aber nun sind Marco Reus und der eigentliche Lenker des BVB-Spiels, Henrikh Mkhitaryan, gleichzeitig verletzt, Shinji Kagawa ist Klopps letzter Spielmacher - und erwartungsgemäß noch von seiner Bestform entfernt, nach zwei verschenkten Jahren in Manchester. In Dortmund wird schon gewitzelt, dass am Ende immer der unzerstörbare Kevin Großkreutz den Job übernehmen muss. Gegen Stuttgart übte er, als Bender aufgeben musste, schon mal als defensiver Sechser.

Spürbar war im Vergleich mit den bemüht-kämpferischen Stuttgartern, dass der BVB inzwischen selbst zu den Großen gehört, deren Spieler allesamt auf allen Länderspiel-Hochzeiten und in der Champions-League mitrennen. Das Zirkusprogramm der Champions-League-Topklubs gleicht einer Knochenmühle, in der sich neben Bayern auch Dortmund, aber auch die anderen Teilnehmer Schalke und Leverkusen aufreiben.

Das Schleiftempo scheint sich permanent zu erhöhen, und selbst ein inzwischen breit aufgestellter Kader wie der des BVB kommt an immer wieder neue Grenzen, wenn die Hälfte der Spieler in der Reha oder im Aufbautraining hängt. Derby-Gegner Schalke 04 trifft das genauso; dort fehlen bis zu zehn Verletzte.

Jürgen Klopp grummelt inzwischen ebenso wie der Kollege Pep Guardiola

Trotzdem demonstrierte Klopps zersprengte Truppe am Schluss gegen den VfB die größere Energie. Aufgeputscht vom Publikum, aber auch mit der noch immer größeren individuellen Klasse, schossen Dortmunds Stürmer Aubameyang und Immobile noch die Tore zum Ausgleich. In der Nachspielzeit hatte Lukasz Piszczek gar noch den Siegtreffer vor Augen.

Im Verletzungs-Wettlauf mit dem FC Bayern hat der BVB zurzeit zwar leicht das Nachsehen, aber den Münchnern fehlen mehrere Spieler über besonders lange Strecken. Beim BVB dagegen gibt es derzeit mehrere Patienten, die nur noch zwei bis drei Wochen fehlen werden.

Das Grummeln, das die Trainer Pep Guardiola und Jürgen Klopp mit Blick auf die Kalender- und Belastungsordnung im europäischen Top-Fußball zuletzt intoniert hatten, es wird vielleicht wirklich die Meisterschaft entscheiden. Was gestern noch wie ein breiter Kader aussah, kann heute schon das letzte Aufgebot sein.

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