Es war laut im Stadion um 15:30 Uhr, mehr als 27 000 Menschen waren gekommen, die Fernsehkameras zur besten Sendezeit auf den Anstoßpunkt gerichtet. Die Indizienlage war klar: Es war ein Bundesligaspiel, das die Mannschaften vom FSV Mainz 05 und dem FC Ingolstadt am Samstagnachmittag bestritten. Doch den Ingolstädtern waren die Indizien egal, sie taten einfach so, als wäre das hier immer noch die zweite Liga und Mainz nicht Mainz, sondern Sandhausen oder Heidenheim.
Trainer Ralph Hasenhüttl stellte elf Spieler auf, die in der vergangenen Saison Zweitligameister geworden waren, und er gab ihnen dieselbe Taktik mit auf den Weg, die am Ende zum Aufstieg geführt hatte: Pressing bis zum Umfallen. Dem Gegner zwar den Ball geben, ihn aber so selten wie möglich über die Mittellinie kommen lassen. Ein fahrlässiger Plan, oder tollkühn? Nach dem Spiel schallte eine Hymne durchs Stadion, "Fußballdeutschland, wir sind soweit", lautet der Text, es ist die Hymne des FSV Mainz. Doch auf dem Rasen, da tanzten die Ingolstädter zur Mainzer Musik. Sie hatten die ersten drei Punkte in der Bundesliga der Vereinsgeschichte geholt, und 1:0 (0:0) gewonnen. "Das ist Wahnsinn, sensationell. Wir haben mit dieser geilen Truppe Geschichte geschrieben", rief Hasenhüttl.
Ingolstadt spielt radikaler als Mainz
Und weiter: "Ich weiß nicht wie viele daran geglaubt haben. Aber dass wir dran geglaubt haben, hat man von Beginn an gesehen." Das traf durchaus zu. Das Spiel hatte mit Vorschusslorbeeren für die Mainzer begonnen, die im Gegensatz zum FCI siegreich aus der ersten DFB-Pokalrunde hervorgegangen waren, mit 3:0 hatten sie den Drittligisten Energie Cottbus geschlagen. Ingolstadt hatte dagegen 1:2 in Unterhaching verloren, bei einem Viertligisten.
Von einer gut eingestellten und organisierten Mannschaft war danach die Rede gewesen. Und von einem synchronen Pressingverhalten, das einem Schwarm von Fischen gleiche, hatte Trainer Martin Schmidt gesprochen. Es war ein recht passendes Bild für das, was dann am Samstag geschah. Ingolstadt hat einen ähnlichen Plan wie Mainz, Hasenhüttl eine ähnliche Idee vom Fußball wie Schmidt, nur radikaler. Wenn die Mainzer sich wie Fische verhielten, dann waren die Ingolstädter Jagdhunde.
Während die Mainzer einander fremd wirkten und mit der Aufgabe, das Spiel bestimmen zu müssen, überfordert schienen, habe bei den Gästen jeder Schachzug wie geplant funktioniert, referierte Hasenhüttl. "Man hat gesehen, dass die Mannschaft die Automatismen verinnerlicht hat. Wir haben in fast allen Phasen des Spiels aufmerksam gegen den Ball gespielt." Das sah dann so aus: Von Euphorie getragen und ihrem an der Seitenlinie turnenden Trainer angetrieben, sprinteten die Ingolstädter den Mainzern oft schon an deren eigenem Strafraum entgegen, gewannen den Ball dann spätestens an der Mittellinie.
Das ist zwar nicht die hohe Fußballkunst, aber jener Fußballkampf, den der FCI seinen Gegner ab sofort regelmäßig bieten möchte. "Keinen Ball verloren geben, jeden Zweikampf suchen, so sind wir konkurrenzfähig", sagte Kapitän Marvin Matip Minuten nach dem Abpfiff noch keuchend.
Kein Zugang in der Startelf
Das Ingolstädter Spiel braucht, um erfolgreich zu sein, allerdings die Ideen von Mittelfeldspieler Pascal Groß, der so etwas ist wie der Dompteur der Horde Jagdhunde. Ideen hatte der feine Techniker und Freistoßspezialist Groß, als vor ihm die lechzenden Matthew Leckie, Moritz Hartmann oder Lukas Hinterseer in Position liefen. In der ersten Hälfte gerieten seine Anspiele allerdings noch zu unpräzise. Sein Einsatz war am Samstagmorgen noch fraglich gewesen. "Das war eine schlimme Schrecksekunde, eine ziemliche Keule", gab Hasenhüttl später zu. "Ich habe die Mannschaft volle Kanne auf Pasci eingestellt." Groß spielte dann angeschlagen mit. Und seine zehn Kollegen spielten volle Kanne.
"Ich war selbst überrascht, wie gut das heute funktioniert hat", sagte Tobias Levels, der bundesligaerfahrene Außenverteidiger: "Jetzt haben alle gesehen, dass wir in der Bundesliga spielen können." Allerdings können das auch die Mainzer, sie zeigten das ein paar Minuten lang zu Beginn der zweiten Halbzeit, und plötzlich sah jeder im Stadion, dass Ingolstadt nur einen Plan A hatte.
"Einer muss das Tor halt machen"
"Jetzt geht's los!", riefen die Mainzer Fans, nun war auf einmal die Kreativität des Mainzers Yunus Malli sichtbar und Florian Niederlechner hatte die beste Chance des Spiels. Doch Ramazan Öczan hielt, und dann, nach 66 Minuten, kam Lukas Hinterseer. Nahm einen Pass von Alfredo Morales nach einem Ingolstädter Konter im Mainzer Strafraum auf, sah kurz hoch und schoss ihn in die rechte Ecke. 600 Ingolstädter auf den Rängen jubelten wie von Sinnen.
Der Österreicher Hinterseer, 24, war der Spieler des Spiels, nicht nur wegen seines Treffers. Neun Tore hat er in der zweiten Liga geschossen, keine überragende Marke. Im Sturm wollte sich der FCI verstärken, Manager Thomas Linke holte Elias Kachunga aus Paderborn. Doch schon im Sommer hatten er und Hasenhüttl stets wie ein Mantra wiederholt, den Aufstiegshelden ihre Chance geben zu wollen. "Es geht nicht um neu oder alt", sagte Hasenhüttl auch am Samstag wieder: Sondern darum, dass die Spieler ihre Laufwege verstehen. Kachunga braucht dafür noch etwas, also spielte Hinterseer. Er wurde nach 86 Minuten völlig erschöpft ausgewechselt und sagte: "Jetzt ist erst mal der Druck weg." Und: "Einer muss das Tor halt machen."
Hinter ihm wankte ein Mann in Richtung Kabine, fröhlich grinsend, und sang ein Lied: "Hinterseer, Hinterseer, hey!" Es war sein Trainer.
